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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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hat, verpflichtet dahin zu gehen, wohin ihn der Ataman sendet; nach zurück¬
gelegtem 50. Lebensjahre hängt es vom reinen Willen des Einzelnen ab, ob
er ferner noch zur Arbeit gehen will. Falls er sich hierzu entschließt, muß
er den Ataman um die Gnade bitten, ihn zur Arbeit zu kommandiren. Die
dermaßen zusammengesetzten Abtheilungen begeben sich mit ihrem Watcischka ans
den Fisch- oder Blutegelfang. Der Unternehmer befindet sich mit in der Ab¬
theilung, aber der Wataschka führt das Kommando und der Schreiber notirt
alle Tage den Fang, Der Wataschka beauftragt einzelne Kosaken mit dem
Verkaufe von frischen Fischen, während die Unternehmer sich im Verein mit
dem Aeltesten mit dem Salzen der Fische, der Zubereitung des Caviars und
der Hausenblase, so wie mit dem Verkaufe dieser Gegenstände besassen. Der
Fischfang beginnt gegen Ende Oktober und dauert bis Ende April, worauf
dann der Blutegelfang beginnt.

Zu Michaelis gelangen alle Kasten nach Bincwl; der Ataman und die
Aeltesten machen die Rechnungen, bezahlen die Fischer und theilen den Gewinn,
wie es das Statut vorschreibt. Alle Jahre bestimmt der Ataman und die
Aeltesten den Tagelohn für die Arbeiter, Aufseher und Beamten. Während
der Arbeit herrscht die strengste Disziplin, und die Arbeiter müssen so gehorchen,
alF ob sie sich im Militärdienste gegenüber dem Feinde befänden. Sie sind
den Wataschken unbedingten Gehorsam und Respekt schuldig. Treibt übrigens
ein Mitglied dieses militärischen Ordens mit andern Gegenständen, z. B. mit
Schundwaren, Schweineborsten, Fellen n. s. w. Handel, so wird der Verdienst
ebenso, wie der mit dem Verkaufe von Fischen erzielte, getheilt. Seit zwei
Jahrhunderten existirt diese militärische Genossenschaft auf türkischem Boden,
ohne daß man bis jetzt von einem Zwiespalte unter den Mitgliedern derselben
etwas gehört hat. Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, daß ein Nekrassower
Kosak vor dem Ausspruche seines Atamans und seiner Aeltesten an die höheren
ottomanischen Behörden appellirt hätte. Es ist dies nicht sowohl der Treff¬
lichkeit der Gesetze, nach welchen die Gemeinde regiert wird, als vielmehr dem
hohen Gemeinsinn dieses Völkchens zuzuschreiben.

Das Statut, welches Nekrassow seiner Gemeinde gegeben hat, verbietet
jedem Mitgliede aufs Strengste mit einer fremden Frauensperson eine
Ehe einzugehen. Ein Nekrassower kann und darf nur eine Frau seines
Stammes und Glaubens heimführen. Auch werden in diese exclusive Gemeinde
für gewöhnlich nnr solche männliche Mitglieder aufgenommen, welche ihre Ab¬
stammung von echten Dorer Kosaken nachweisen können und der Sekte der
Starvwjerzen angehören; ausnahmsweise können auch Kinder anderer Abstam¬
mung aufgenommen werden, die dann adoptirt und im Glanben, den Sitten
und Pflichten der Nekrassower Gemeinde erzogen werden. Die Erziehung der


hat, verpflichtet dahin zu gehen, wohin ihn der Ataman sendet; nach zurück¬
gelegtem 50. Lebensjahre hängt es vom reinen Willen des Einzelnen ab, ob
er ferner noch zur Arbeit gehen will. Falls er sich hierzu entschließt, muß
er den Ataman um die Gnade bitten, ihn zur Arbeit zu kommandiren. Die
dermaßen zusammengesetzten Abtheilungen begeben sich mit ihrem Watcischka ans
den Fisch- oder Blutegelfang. Der Unternehmer befindet sich mit in der Ab¬
theilung, aber der Wataschka führt das Kommando und der Schreiber notirt
alle Tage den Fang, Der Wataschka beauftragt einzelne Kosaken mit dem
Verkaufe von frischen Fischen, während die Unternehmer sich im Verein mit
dem Aeltesten mit dem Salzen der Fische, der Zubereitung des Caviars und
der Hausenblase, so wie mit dem Verkaufe dieser Gegenstände besassen. Der
Fischfang beginnt gegen Ende Oktober und dauert bis Ende April, worauf
dann der Blutegelfang beginnt.

Zu Michaelis gelangen alle Kasten nach Bincwl; der Ataman und die
Aeltesten machen die Rechnungen, bezahlen die Fischer und theilen den Gewinn,
wie es das Statut vorschreibt. Alle Jahre bestimmt der Ataman und die
Aeltesten den Tagelohn für die Arbeiter, Aufseher und Beamten. Während
der Arbeit herrscht die strengste Disziplin, und die Arbeiter müssen so gehorchen,
alF ob sie sich im Militärdienste gegenüber dem Feinde befänden. Sie sind
den Wataschken unbedingten Gehorsam und Respekt schuldig. Treibt übrigens
ein Mitglied dieses militärischen Ordens mit andern Gegenständen, z. B. mit
Schundwaren, Schweineborsten, Fellen n. s. w. Handel, so wird der Verdienst
ebenso, wie der mit dem Verkaufe von Fischen erzielte, getheilt. Seit zwei
Jahrhunderten existirt diese militärische Genossenschaft auf türkischem Boden,
ohne daß man bis jetzt von einem Zwiespalte unter den Mitgliedern derselben
etwas gehört hat. Es ist nicht ein einziger Fall bekannt, daß ein Nekrassower
Kosak vor dem Ausspruche seines Atamans und seiner Aeltesten an die höheren
ottomanischen Behörden appellirt hätte. Es ist dies nicht sowohl der Treff¬
lichkeit der Gesetze, nach welchen die Gemeinde regiert wird, als vielmehr dem
hohen Gemeinsinn dieses Völkchens zuzuschreiben.

Das Statut, welches Nekrassow seiner Gemeinde gegeben hat, verbietet
jedem Mitgliede aufs Strengste mit einer fremden Frauensperson eine
Ehe einzugehen. Ein Nekrassower kann und darf nur eine Frau seines
Stammes und Glaubens heimführen. Auch werden in diese exclusive Gemeinde
für gewöhnlich nnr solche männliche Mitglieder aufgenommen, welche ihre Ab¬
stammung von echten Dorer Kosaken nachweisen können und der Sekte der
Starvwjerzen angehören; ausnahmsweise können auch Kinder anderer Abstam¬
mung aufgenommen werden, die dann adoptirt und im Glanben, den Sitten
und Pflichten der Nekrassower Gemeinde erzogen werden. Die Erziehung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/72>, abgerufen am 05.02.2025.