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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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18, Juni, ich gestehe es Ihnen ganz offen, war ich wenig gilt auf Sie zu sprechen,
nicht wegen des Mißerfolges an und für sich, vielmehr weil ich von Ihnen
die in solchen Fällen nothwendige Vorsicht vernachlässigt und die unveränder¬
lichen Prinzipien uicht beachtet glaubte. Sie haben diese Fehler in würdiger
Weise wieder gut gemacht und ich spreche Ihnen meine volle Anerkennung
namentlich auch dafür aus, daß Sie so viel Charakterstärke besaßen, um allen
Denen zu widerstehen, welche die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang auf¬
gegeben hatten."

Weniger Anerkennung fand der Kommandirende der englischen Armee,
General Simpson, Nachfolger des der Cholera erlegenen Lord Raglan. Seit
der Stunde, wo die Times seine nachfolgende so schöne Depesche vom 8. September,
"roß in ihrer lakonischer Kürze, gebracht hatte: "Die Allirten haben heute
Mittag die Werke von Sebastopol angegriffen, der Sturm auf den Malakvf ist
geglückt, die Franzosen sind im Besitze dieses Werks, der Angriff der
Engländer auf den Redan wurde abgeschlagen;" seit dieser Stunde war General
Simpson, aufgegeben vou der Regierung, allem Groll der Presse und des
Publikums ausgesetzt. Der General Simpson, ein Mann von Seelenstärke und
tapferen Herzens, hatte große Verdienste, aber was half das? Er hatte keinen
Erfolg gehabt, die verwundete nationale Eitelkeit verlangte ein Opfer. Er ward
ihr geopfert. Nur zu häufig läßt sich die öffentliche Meinung ihr Urtheil durch
die wetterweudische Göttin Fortuna diktiren.

Zur Zeit als die Friedensunterhandlungen bereits im Gange waren, wurde
der in der Krim zurückgebliebene Theil der französischen Armee noch einer harten
Prüfung unterworfen. Während die englischen Soldaten, in soliden, heizbaren
Baracken untergebracht, sich eines vortrefflichen Gesundheitszustandes erfreuten,
füllte die Französische Armee die Lazarethe. Unzweifelhaft trugen hierzu ihre
Unterkunftsräume ganz wesentlich mit bei. Anstatt wie die Engländer in Holz¬
baracken, lagen sie in tief in die Erde eingegrabenen Zelten, und grade dieser
Umstand erwies sich als ganz besonders nachtheilig für die Gesundheit. In der
Nacht vom 19. zum 20. Dezember fiel der Termometer auf dem Plateau
des Chersones bis auf 22° unter Null. Außer Brustaffectionen und Dhssenterie,
richtete der Skorbut Verheerungen an. Bald aber stellte sich auch der Typhus
ein, ein Feind, der schlimmer wüthete, als früher die Kugeln der Russen. Die
Zahl der Kranken steigerte sich von Monat zu Monat. Man evakuirte alle
Tage Kranke nach Konstantinopel, bald reichten jedoch dort die Lazarethe nicht
mehr ans. Im Februar erreichte die Zahl der Typhuskranken allein 3500, davon
starben allein in der Krim 2400 Menschen; im März stieg daselbst die Zahl
der Todten auf 2500. Das Sanitätskorps verlor allein 58 seiner Mitglieder
durch den Typhus und 13 Geistliche und barmherzige Schwestern erlagen


18, Juni, ich gestehe es Ihnen ganz offen, war ich wenig gilt auf Sie zu sprechen,
nicht wegen des Mißerfolges an und für sich, vielmehr weil ich von Ihnen
die in solchen Fällen nothwendige Vorsicht vernachlässigt und die unveränder¬
lichen Prinzipien uicht beachtet glaubte. Sie haben diese Fehler in würdiger
Weise wieder gut gemacht und ich spreche Ihnen meine volle Anerkennung
namentlich auch dafür aus, daß Sie so viel Charakterstärke besaßen, um allen
Denen zu widerstehen, welche die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang auf¬
gegeben hatten."

Weniger Anerkennung fand der Kommandirende der englischen Armee,
General Simpson, Nachfolger des der Cholera erlegenen Lord Raglan. Seit
der Stunde, wo die Times seine nachfolgende so schöne Depesche vom 8. September,
»roß in ihrer lakonischer Kürze, gebracht hatte: „Die Allirten haben heute
Mittag die Werke von Sebastopol angegriffen, der Sturm auf den Malakvf ist
geglückt, die Franzosen sind im Besitze dieses Werks, der Angriff der
Engländer auf den Redan wurde abgeschlagen;" seit dieser Stunde war General
Simpson, aufgegeben vou der Regierung, allem Groll der Presse und des
Publikums ausgesetzt. Der General Simpson, ein Mann von Seelenstärke und
tapferen Herzens, hatte große Verdienste, aber was half das? Er hatte keinen
Erfolg gehabt, die verwundete nationale Eitelkeit verlangte ein Opfer. Er ward
ihr geopfert. Nur zu häufig läßt sich die öffentliche Meinung ihr Urtheil durch
die wetterweudische Göttin Fortuna diktiren.

Zur Zeit als die Friedensunterhandlungen bereits im Gange waren, wurde
der in der Krim zurückgebliebene Theil der französischen Armee noch einer harten
Prüfung unterworfen. Während die englischen Soldaten, in soliden, heizbaren
Baracken untergebracht, sich eines vortrefflichen Gesundheitszustandes erfreuten,
füllte die Französische Armee die Lazarethe. Unzweifelhaft trugen hierzu ihre
Unterkunftsräume ganz wesentlich mit bei. Anstatt wie die Engländer in Holz¬
baracken, lagen sie in tief in die Erde eingegrabenen Zelten, und grade dieser
Umstand erwies sich als ganz besonders nachtheilig für die Gesundheit. In der
Nacht vom 19. zum 20. Dezember fiel der Termometer auf dem Plateau
des Chersones bis auf 22° unter Null. Außer Brustaffectionen und Dhssenterie,
richtete der Skorbut Verheerungen an. Bald aber stellte sich auch der Typhus
ein, ein Feind, der schlimmer wüthete, als früher die Kugeln der Russen. Die
Zahl der Kranken steigerte sich von Monat zu Monat. Man evakuirte alle
Tage Kranke nach Konstantinopel, bald reichten jedoch dort die Lazarethe nicht
mehr ans. Im Februar erreichte die Zahl der Typhuskranken allein 3500, davon
starben allein in der Krim 2400 Menschen; im März stieg daselbst die Zahl
der Todten auf 2500. Das Sanitätskorps verlor allein 58 seiner Mitglieder
durch den Typhus und 13 Geistliche und barmherzige Schwestern erlagen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/497>, abgerufen am 23.07.2024.