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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Noch einer Erscheinung müssen wir hier Erwähnung thun, die bis jetzt
wohl noch nie so klar ans Licht gezogen worden ist, und welche, insofern man
im Kriege doch auch wesentlich mit moralischen Größen zu rechnen hat, uns
nicht weniger bedenklich erscheint, als die so eben besprochene. Wir wissen aus
der Geschichte was es zu bedeuten hat, wenn ein Hofkriegsrath vom grünen
Tische aus Schlachten liefern will. Fast noch gefährlicher aber halten wir es,
wenn nicht direkte Befehle, sondern gute und schlechte Rathschläge ans
dem Kabinet, so wie Machinationen aller Art sich in die Heeresleitung einmischen.
Sowohl Caurobert als sein Nachfolger Pelissier, standen unter dem Banne sol¬
cher Einflüsse. Der Kaiser war mit der obersten Heeresleitung nicht einverstanden,
wagte es jedoch nicht, direkt einzugreifen. Daß dadurch die im Heere selbst vor¬
handenen widerstrebenden Elemente sich ermuthigt fühlten, darf nicht Wunder
nehmen. Nicht umsonst versuchten sie im Kabinet des Kaisers ihren Einfluß
geltend zu macheu, und so sehen wir das Auftreten geheimer Mächte, die in
gewissen Kreisen immerhin ihr Wesen treiben möge", aus dem Kriegslager jedoch
ein für alle Mal verbannt werden müssen. Solchen im Dunkeln gesponnenen
Intriguen muß man es zuschreiben, daß General Forey, der sich durch seiue
Strenge, mit welcher er Zucht und Disziplin aufrecht erhielt, in gewissen
Kreisen unbeliebt gemacht hatte, in Ungnade siel und schließlich, im Anfang des
Jahres 1855, als Kommandant der Provinz Orca nach Afrika geschickt wurde.
Um dieselbe Zeit traf auch der Ingenieur-General Niet, der bevorzugte Adjutant
des Kaisers, dessen Vertrauter und Berather in militärischen Dingen, vor Se-
bastvpol ein. Ohne mit einem bestimmten Kommando betraut zu sein, sollte er
jedenfalls im Namen des Kaisers sehen und prüfen, so wie auch wohl nicht
weniger dessen Ansichten, die den seinigen entsprachen, zur Geltung bringen.
In dieser Beziehung herrschte aber ein vollständiger Gegensatz zwischen ihm und
den beiden Höchstkommandireudeu, General Canrobert und Lord Raglan. Diese
wollten erst die Südfront der Festung mit Sturm nehmen und dann den Feind
außerhalb derselben bekämpfen, während Niet, und mit ihm der Kaiser, jeden
Sturm, ohne die russische Feldarmee vorher geschlagen und die Festung von aller Ver¬
bindung uach Außen, auch im Norden, abgeschlossen zu haben, sür ein abenteuer¬
liches, mörderisches Unternehmen hielt. Niet verließ die Armee nicht wieder
und wurde später nach dem Tode des Generals Bizot Chef des Genies. Mit
seinem Bleiben wuchs der Zwiespalt, und Canrobert, der sich vom Adjutanten
des Kaisers beeinflussen ließ, während Lord Raglan fest blieb, fiel solchem Zwie¬
spalt zum Opfer. Er suchte um Enthebung von seinem Posten nach, jedoch mit
der ausdrücklichen Bitte, seine frühere Division wieder übernehmen zu dürfen.
Welche Einflüsse bei der Entscheidung mitwirkten, dafür giebt ein chiffrirtes
Telegramm Zeugniß, daß zu derselben Stunde, als Canroberts Gesuch beim


Grenzboten IV. 1877. 62

Noch einer Erscheinung müssen wir hier Erwähnung thun, die bis jetzt
wohl noch nie so klar ans Licht gezogen worden ist, und welche, insofern man
im Kriege doch auch wesentlich mit moralischen Größen zu rechnen hat, uns
nicht weniger bedenklich erscheint, als die so eben besprochene. Wir wissen aus
der Geschichte was es zu bedeuten hat, wenn ein Hofkriegsrath vom grünen
Tische aus Schlachten liefern will. Fast noch gefährlicher aber halten wir es,
wenn nicht direkte Befehle, sondern gute und schlechte Rathschläge ans
dem Kabinet, so wie Machinationen aller Art sich in die Heeresleitung einmischen.
Sowohl Caurobert als sein Nachfolger Pelissier, standen unter dem Banne sol¬
cher Einflüsse. Der Kaiser war mit der obersten Heeresleitung nicht einverstanden,
wagte es jedoch nicht, direkt einzugreifen. Daß dadurch die im Heere selbst vor¬
handenen widerstrebenden Elemente sich ermuthigt fühlten, darf nicht Wunder
nehmen. Nicht umsonst versuchten sie im Kabinet des Kaisers ihren Einfluß
geltend zu macheu, und so sehen wir das Auftreten geheimer Mächte, die in
gewissen Kreisen immerhin ihr Wesen treiben möge«, aus dem Kriegslager jedoch
ein für alle Mal verbannt werden müssen. Solchen im Dunkeln gesponnenen
Intriguen muß man es zuschreiben, daß General Forey, der sich durch seiue
Strenge, mit welcher er Zucht und Disziplin aufrecht erhielt, in gewissen
Kreisen unbeliebt gemacht hatte, in Ungnade siel und schließlich, im Anfang des
Jahres 1855, als Kommandant der Provinz Orca nach Afrika geschickt wurde.
Um dieselbe Zeit traf auch der Ingenieur-General Niet, der bevorzugte Adjutant
des Kaisers, dessen Vertrauter und Berather in militärischen Dingen, vor Se-
bastvpol ein. Ohne mit einem bestimmten Kommando betraut zu sein, sollte er
jedenfalls im Namen des Kaisers sehen und prüfen, so wie auch wohl nicht
weniger dessen Ansichten, die den seinigen entsprachen, zur Geltung bringen.
In dieser Beziehung herrschte aber ein vollständiger Gegensatz zwischen ihm und
den beiden Höchstkommandireudeu, General Canrobert und Lord Raglan. Diese
wollten erst die Südfront der Festung mit Sturm nehmen und dann den Feind
außerhalb derselben bekämpfen, während Niet, und mit ihm der Kaiser, jeden
Sturm, ohne die russische Feldarmee vorher geschlagen und die Festung von aller Ver¬
bindung uach Außen, auch im Norden, abgeschlossen zu haben, sür ein abenteuer¬
liches, mörderisches Unternehmen hielt. Niet verließ die Armee nicht wieder
und wurde später nach dem Tode des Generals Bizot Chef des Genies. Mit
seinem Bleiben wuchs der Zwiespalt, und Canrobert, der sich vom Adjutanten
des Kaisers beeinflussen ließ, während Lord Raglan fest blieb, fiel solchem Zwie¬
spalt zum Opfer. Er suchte um Enthebung von seinem Posten nach, jedoch mit
der ausdrücklichen Bitte, seine frühere Division wieder übernehmen zu dürfen.
Welche Einflüsse bei der Entscheidung mitwirkten, dafür giebt ein chiffrirtes
Telegramm Zeugniß, daß zu derselben Stunde, als Canroberts Gesuch beim


Grenzboten IV. 1877. 62
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[0493] Noch einer Erscheinung müssen wir hier Erwähnung thun, die bis jetzt wohl noch nie so klar ans Licht gezogen worden ist, und welche, insofern man im Kriege doch auch wesentlich mit moralischen Größen zu rechnen hat, uns nicht weniger bedenklich erscheint, als die so eben besprochene. Wir wissen aus der Geschichte was es zu bedeuten hat, wenn ein Hofkriegsrath vom grünen Tische aus Schlachten liefern will. Fast noch gefährlicher aber halten wir es, wenn nicht direkte Befehle, sondern gute und schlechte Rathschläge ans dem Kabinet, so wie Machinationen aller Art sich in die Heeresleitung einmischen. Sowohl Caurobert als sein Nachfolger Pelissier, standen unter dem Banne sol¬ cher Einflüsse. Der Kaiser war mit der obersten Heeresleitung nicht einverstanden, wagte es jedoch nicht, direkt einzugreifen. Daß dadurch die im Heere selbst vor¬ handenen widerstrebenden Elemente sich ermuthigt fühlten, darf nicht Wunder nehmen. Nicht umsonst versuchten sie im Kabinet des Kaisers ihren Einfluß geltend zu macheu, und so sehen wir das Auftreten geheimer Mächte, die in gewissen Kreisen immerhin ihr Wesen treiben möge«, aus dem Kriegslager jedoch ein für alle Mal verbannt werden müssen. Solchen im Dunkeln gesponnenen Intriguen muß man es zuschreiben, daß General Forey, der sich durch seiue Strenge, mit welcher er Zucht und Disziplin aufrecht erhielt, in gewissen Kreisen unbeliebt gemacht hatte, in Ungnade siel und schließlich, im Anfang des Jahres 1855, als Kommandant der Provinz Orca nach Afrika geschickt wurde. Um dieselbe Zeit traf auch der Ingenieur-General Niet, der bevorzugte Adjutant des Kaisers, dessen Vertrauter und Berather in militärischen Dingen, vor Se- bastvpol ein. Ohne mit einem bestimmten Kommando betraut zu sein, sollte er jedenfalls im Namen des Kaisers sehen und prüfen, so wie auch wohl nicht weniger dessen Ansichten, die den seinigen entsprachen, zur Geltung bringen. In dieser Beziehung herrschte aber ein vollständiger Gegensatz zwischen ihm und den beiden Höchstkommandireudeu, General Canrobert und Lord Raglan. Diese wollten erst die Südfront der Festung mit Sturm nehmen und dann den Feind außerhalb derselben bekämpfen, während Niet, und mit ihm der Kaiser, jeden Sturm, ohne die russische Feldarmee vorher geschlagen und die Festung von aller Ver¬ bindung uach Außen, auch im Norden, abgeschlossen zu haben, sür ein abenteuer¬ liches, mörderisches Unternehmen hielt. Niet verließ die Armee nicht wieder und wurde später nach dem Tode des Generals Bizot Chef des Genies. Mit seinem Bleiben wuchs der Zwiespalt, und Canrobert, der sich vom Adjutanten des Kaisers beeinflussen ließ, während Lord Raglan fest blieb, fiel solchem Zwie¬ spalt zum Opfer. Er suchte um Enthebung von seinem Posten nach, jedoch mit der ausdrücklichen Bitte, seine frühere Division wieder übernehmen zu dürfen. Welche Einflüsse bei der Entscheidung mitwirkten, dafür giebt ein chiffrirtes Telegramm Zeugniß, daß zu derselben Stunde, als Canroberts Gesuch beim Grenzboten IV. 1877. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/493>, abgerufen am 23.07.2024.