Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine schöne, gehaltene, wir möchten sagen vornehme Schreibweise, durch eine
große Unparteilichkeit, die zwar die Schwächen, auch im eigne:: Heere, rückhalts¬
los aufdeckt, aber deu Verbündeten ebenso, wie den Gegnern, volle Gerechtigkeit
widerfahren läßt. Von ganz besonderem Interesse find die vielfach eingestreuten
Original-Berichte und Original - Korrespondenzen, die über Personen und
Zustände ein ganz neues Licht verbreiten. Der Verfasser, wenn auch nicht
Militär, giebt ein klares Bild der kriegerischen Ereignisse. Ein beigegebener
Atlas mit zehn vorzüglich gezeichneten Karten gestattet nicht nnr, dem Verlauf der
einzelnen Schlachten und Gefechte zu folgen, sondern sich auch über die Belage-
rungs- resp. Vertheidignngsarbeiten vor und in der Festung im Allgemeinen zu
orientiren.

Der Krimkrieg wird, wie der Verfasser in feiner Vorrede selbst sagt, jetzt
in Frankreich schärfer kritisirt und mit anderen Augen augesehen, als zu der
Zeit, wo die kaiserliche Regierung des militärischen Prestige bedürfte. Man ist des
Glaubens, daß gerade dieser Krieg Rußland den französischen Interessen abwendig
gemacht habe. Dies zugegeben, hat jedoch das Verhalten des Kaisers Napoleon
zur Zeit des polnischen Aufstandes 1863 keinesfalls dazu beigetragen, das
Verhältniß zu bessern. Ganz unzweifelhaft kann man jedoch den Krimkrieg
in einen Kausalzusammenhang mit dem letzten Krieg gegen Deutschland bringen,
und heißen die verschiedenen Etappen: Sewastopol, Solferino, Königgrätz und
Sedan. Das ist sicher ein ganz wesentliches Motiv, wodurch sich die gesunkene
Popularität des Krimkrieges erklären läßt, und wenn der Verfasser gelegentlich
mit den Russen ein Auge spielt, so wollen wir dem patriotischen Franzosen um
so weniger einen Vorwurf daraus machen, als er sich frei davon hält, sein
Werk zu ungerechtfertigten Ausfällen gegen Deutschland zu benutzen. Es fehlt
uns der Raum und es würde zu weit führen, wollten wir den reichen und
interessanten Inhalt des Werkes eingehend besprechen, vielmehr beschränken nur
uns darauf, Einzelnes herauszuheben, was unsern Leser speciell interessiren
möchte, um gelegentlich wieder an die Gegenwart anzuknüpfen.

Zu den mancherlei Schwierigkeiten, die sich bald nach dem Eintreffen der
Verbündeten vor Sebastavol geltend machten und eine energische Kriegführung
mindestens verzögerten, gehörte die geringe Kriegsbereitschaft der Engländer.
Eine der Folgen davon waren die enormen Abgänge dnrch Krankheit, welche
schon im Oktober den Effektivbestand der englischen Armee derart schwachem,
daß der damalige Höchstkommandirende der Franzosen General Canrobert in
einem Briefe am 27. Oktober an den französischen Kriegs-Minister, Marschall
Vaillant, seinen Besorgnissen Ausdruck gab. Auf die mannigfachen Ursachen der
mangelhaften Vorbereitung für den Krieg eingehend, schreibt er: "Während die
englische Marine, blühend, populär, reich dotirt und vortrefflich adnnnistr^t,


eine schöne, gehaltene, wir möchten sagen vornehme Schreibweise, durch eine
große Unparteilichkeit, die zwar die Schwächen, auch im eigne:: Heere, rückhalts¬
los aufdeckt, aber deu Verbündeten ebenso, wie den Gegnern, volle Gerechtigkeit
widerfahren läßt. Von ganz besonderem Interesse find die vielfach eingestreuten
Original-Berichte und Original - Korrespondenzen, die über Personen und
Zustände ein ganz neues Licht verbreiten. Der Verfasser, wenn auch nicht
Militär, giebt ein klares Bild der kriegerischen Ereignisse. Ein beigegebener
Atlas mit zehn vorzüglich gezeichneten Karten gestattet nicht nnr, dem Verlauf der
einzelnen Schlachten und Gefechte zu folgen, sondern sich auch über die Belage-
rungs- resp. Vertheidignngsarbeiten vor und in der Festung im Allgemeinen zu
orientiren.

Der Krimkrieg wird, wie der Verfasser in feiner Vorrede selbst sagt, jetzt
in Frankreich schärfer kritisirt und mit anderen Augen augesehen, als zu der
Zeit, wo die kaiserliche Regierung des militärischen Prestige bedürfte. Man ist des
Glaubens, daß gerade dieser Krieg Rußland den französischen Interessen abwendig
gemacht habe. Dies zugegeben, hat jedoch das Verhalten des Kaisers Napoleon
zur Zeit des polnischen Aufstandes 1863 keinesfalls dazu beigetragen, das
Verhältniß zu bessern. Ganz unzweifelhaft kann man jedoch den Krimkrieg
in einen Kausalzusammenhang mit dem letzten Krieg gegen Deutschland bringen,
und heißen die verschiedenen Etappen: Sewastopol, Solferino, Königgrätz und
Sedan. Das ist sicher ein ganz wesentliches Motiv, wodurch sich die gesunkene
Popularität des Krimkrieges erklären läßt, und wenn der Verfasser gelegentlich
mit den Russen ein Auge spielt, so wollen wir dem patriotischen Franzosen um
so weniger einen Vorwurf daraus machen, als er sich frei davon hält, sein
Werk zu ungerechtfertigten Ausfällen gegen Deutschland zu benutzen. Es fehlt
uns der Raum und es würde zu weit führen, wollten wir den reichen und
interessanten Inhalt des Werkes eingehend besprechen, vielmehr beschränken nur
uns darauf, Einzelnes herauszuheben, was unsern Leser speciell interessiren
möchte, um gelegentlich wieder an die Gegenwart anzuknüpfen.

Zu den mancherlei Schwierigkeiten, die sich bald nach dem Eintreffen der
Verbündeten vor Sebastavol geltend machten und eine energische Kriegführung
mindestens verzögerten, gehörte die geringe Kriegsbereitschaft der Engländer.
Eine der Folgen davon waren die enormen Abgänge dnrch Krankheit, welche
schon im Oktober den Effektivbestand der englischen Armee derart schwachem,
daß der damalige Höchstkommandirende der Franzosen General Canrobert in
einem Briefe am 27. Oktober an den französischen Kriegs-Minister, Marschall
Vaillant, seinen Besorgnissen Ausdruck gab. Auf die mannigfachen Ursachen der
mangelhaften Vorbereitung für den Krieg eingehend, schreibt er: „Während die
englische Marine, blühend, populär, reich dotirt und vortrefflich adnnnistr^t,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139247"/>
          <p xml:id="ID_1396" prev="#ID_1395"> eine schöne, gehaltene, wir möchten sagen vornehme Schreibweise, durch eine<lb/>
große Unparteilichkeit, die zwar die Schwächen, auch im eigne:: Heere, rückhalts¬<lb/>
los aufdeckt, aber deu Verbündeten ebenso, wie den Gegnern, volle Gerechtigkeit<lb/>
widerfahren läßt. Von ganz besonderem Interesse find die vielfach eingestreuten<lb/>
Original-Berichte und Original - Korrespondenzen, die über Personen und<lb/>
Zustände ein ganz neues Licht verbreiten. Der Verfasser, wenn auch nicht<lb/>
Militär, giebt ein klares Bild der kriegerischen Ereignisse. Ein beigegebener<lb/>
Atlas mit zehn vorzüglich gezeichneten Karten gestattet nicht nnr, dem Verlauf der<lb/>
einzelnen Schlachten und Gefechte zu folgen, sondern sich auch über die Belage-<lb/>
rungs- resp. Vertheidignngsarbeiten vor und in der Festung im Allgemeinen zu<lb/>
orientiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1397"> Der Krimkrieg wird, wie der Verfasser in feiner Vorrede selbst sagt, jetzt<lb/>
in Frankreich schärfer kritisirt und mit anderen Augen augesehen, als zu der<lb/>
Zeit, wo die kaiserliche Regierung des militärischen Prestige bedürfte. Man ist des<lb/>
Glaubens, daß gerade dieser Krieg Rußland den französischen Interessen abwendig<lb/>
gemacht habe. Dies zugegeben, hat jedoch das Verhalten des Kaisers Napoleon<lb/>
zur Zeit des polnischen Aufstandes 1863 keinesfalls dazu beigetragen, das<lb/>
Verhältniß zu bessern. Ganz unzweifelhaft kann man jedoch den Krimkrieg<lb/>
in einen Kausalzusammenhang mit dem letzten Krieg gegen Deutschland bringen,<lb/>
und heißen die verschiedenen Etappen: Sewastopol, Solferino, Königgrätz und<lb/>
Sedan. Das ist sicher ein ganz wesentliches Motiv, wodurch sich die gesunkene<lb/>
Popularität des Krimkrieges erklären läßt, und wenn der Verfasser gelegentlich<lb/>
mit den Russen ein Auge spielt, so wollen wir dem patriotischen Franzosen um<lb/>
so weniger einen Vorwurf daraus machen, als er sich frei davon hält, sein<lb/>
Werk zu ungerechtfertigten Ausfällen gegen Deutschland zu benutzen. Es fehlt<lb/>
uns der Raum und es würde zu weit führen, wollten wir den reichen und<lb/>
interessanten Inhalt des Werkes eingehend besprechen, vielmehr beschränken nur<lb/>
uns darauf, Einzelnes herauszuheben, was unsern Leser speciell interessiren<lb/>
möchte, um gelegentlich wieder an die Gegenwart anzuknüpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1398" next="#ID_1399"> Zu den mancherlei Schwierigkeiten, die sich bald nach dem Eintreffen der<lb/>
Verbündeten vor Sebastavol geltend machten und eine energische Kriegführung<lb/>
mindestens verzögerten, gehörte die geringe Kriegsbereitschaft der Engländer.<lb/>
Eine der Folgen davon waren die enormen Abgänge dnrch Krankheit, welche<lb/>
schon im Oktober den Effektivbestand der englischen Armee derart schwachem,<lb/>
daß der damalige Höchstkommandirende der Franzosen General Canrobert in<lb/>
einem Briefe am 27. Oktober an den französischen Kriegs-Minister, Marschall<lb/>
Vaillant, seinen Besorgnissen Ausdruck gab. Auf die mannigfachen Ursachen der<lb/>
mangelhaften Vorbereitung für den Krieg eingehend, schreibt er: &#x201E;Während die<lb/>
englische Marine, blühend, populär, reich dotirt und vortrefflich adnnnistr^t,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0488] eine schöne, gehaltene, wir möchten sagen vornehme Schreibweise, durch eine große Unparteilichkeit, die zwar die Schwächen, auch im eigne:: Heere, rückhalts¬ los aufdeckt, aber deu Verbündeten ebenso, wie den Gegnern, volle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Von ganz besonderem Interesse find die vielfach eingestreuten Original-Berichte und Original - Korrespondenzen, die über Personen und Zustände ein ganz neues Licht verbreiten. Der Verfasser, wenn auch nicht Militär, giebt ein klares Bild der kriegerischen Ereignisse. Ein beigegebener Atlas mit zehn vorzüglich gezeichneten Karten gestattet nicht nnr, dem Verlauf der einzelnen Schlachten und Gefechte zu folgen, sondern sich auch über die Belage- rungs- resp. Vertheidignngsarbeiten vor und in der Festung im Allgemeinen zu orientiren. Der Krimkrieg wird, wie der Verfasser in feiner Vorrede selbst sagt, jetzt in Frankreich schärfer kritisirt und mit anderen Augen augesehen, als zu der Zeit, wo die kaiserliche Regierung des militärischen Prestige bedürfte. Man ist des Glaubens, daß gerade dieser Krieg Rußland den französischen Interessen abwendig gemacht habe. Dies zugegeben, hat jedoch das Verhalten des Kaisers Napoleon zur Zeit des polnischen Aufstandes 1863 keinesfalls dazu beigetragen, das Verhältniß zu bessern. Ganz unzweifelhaft kann man jedoch den Krimkrieg in einen Kausalzusammenhang mit dem letzten Krieg gegen Deutschland bringen, und heißen die verschiedenen Etappen: Sewastopol, Solferino, Königgrätz und Sedan. Das ist sicher ein ganz wesentliches Motiv, wodurch sich die gesunkene Popularität des Krimkrieges erklären läßt, und wenn der Verfasser gelegentlich mit den Russen ein Auge spielt, so wollen wir dem patriotischen Franzosen um so weniger einen Vorwurf daraus machen, als er sich frei davon hält, sein Werk zu ungerechtfertigten Ausfällen gegen Deutschland zu benutzen. Es fehlt uns der Raum und es würde zu weit führen, wollten wir den reichen und interessanten Inhalt des Werkes eingehend besprechen, vielmehr beschränken nur uns darauf, Einzelnes herauszuheben, was unsern Leser speciell interessiren möchte, um gelegentlich wieder an die Gegenwart anzuknüpfen. Zu den mancherlei Schwierigkeiten, die sich bald nach dem Eintreffen der Verbündeten vor Sebastavol geltend machten und eine energische Kriegführung mindestens verzögerten, gehörte die geringe Kriegsbereitschaft der Engländer. Eine der Folgen davon waren die enormen Abgänge dnrch Krankheit, welche schon im Oktober den Effektivbestand der englischen Armee derart schwachem, daß der damalige Höchstkommandirende der Franzosen General Canrobert in einem Briefe am 27. Oktober an den französischen Kriegs-Minister, Marschall Vaillant, seinen Besorgnissen Ausdruck gab. Auf die mannigfachen Ursachen der mangelhaften Vorbereitung für den Krieg eingehend, schreibt er: „Während die englische Marine, blühend, populär, reich dotirt und vortrefflich adnnnistr^t,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/488
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/488>, abgerufen am 23.07.2024.