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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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würdevolle Meinung vorträgt, daß alle Korruption und Niedertracht/welche
die türkische Regierung und Bevölkerung vergiftet, der Gesundheit der Nation
nichts geschadet hätten, daß die Türkei ohne alle Einmischung des Auslandes
sich selbst helfen werde!

Besonders fühlbar sind in den europäischen Provinzen, zumal in der
Gegend zwischen Konstantinopel und Adrianopel die Raub- und Beutezüge der
Tscherkessen. Dieses einst aus Rußland ausgewanderte Diebsvolk plündert
nicht nur ungestraft seine ihm irgend erreichbaren Nachbarn, sondern treibt
namentlich auch den Raub von Knaben und Mädchen im Großen und ohne
daß bisher Seiten der Regierung irgend eine wirksame Abhülfe geleistet worden
Wäre. Die Tscherkessen sind der Hohen Pforte für ihre militärischen Bedürfnisse
Zu wichtig, als daß man sich mit ihnen, wegen so eines bischens Landfriedensbruchs
und wegen des ihnen zur Gewohnheit gewordenen Menschenraubes und Sklaven¬
handels in Friedenzeiten verfeinden sollte. Selbst die nichtswürdige Behandlung
der tscherkessischen Stammesgenossen durch ihre Häuptlinge hat zwar zum
Einschreiten der Pforte und zu Truppenaufgeboten geführt; Aber die Häupt¬
linge behandeln ihre Stammesgenossen nach wie vor wie Sklaven und schalten
über all dem Laud, das die Pforte dem ganzen Stamm zugleich überwiesen,
so als ob es den Häuptlingen allein gehöre. Diese Verhältnisse sind natürlich
mit der Entfesselung aller Leidenschaften feit dem bulgarischen Aufstand und
seit dem Kriege noch um vieles schlimmer geworden. Es ist eines der rühm¬
lichsten Zeugnisse für die Unparteilichkeit des Verfassers, daß er über die
Bulgaren so günstig urtheilt wie er thut - er nennt sie "fast ausnahmslos
arbeitsam, willig, mäßig, gehorsam und geduldig" - - und daß er die furcht¬
baren Gräuel, mit denen sich im Vorjahre die ottomanische Regierung nach
Niederwerfung des bulgarischen Aufstandes befleckt hat, unumwunden und mit
schmerzlichem Bedauern einräumt, während bekanntlich das gesittete und fromme
Wbion lange Zeit gar nichts von den Gräueln der Tscherkessen und Baschi-
Bozuk in Bulgarien sehen und hören wollte.

Nachdem der Verfasser dann noch einige sehr lehrreiche Züge von Regiernngs-
willkühr und -Ohnmacht aus Varna, der Provinz Salonichi und Brussa
mitgetheilt, wendet er sich zu eiuer eingehenden und höchst lesenswerthen
Schilderung der türkischen Mißwirthschaft auf der Insel Cypern. Er weist
"ach, daß die Herrschaft der Osmanen, vor allem die Geldgier und Indolenz
der Vali ans der Königin des Mittelmeeres mit ihren einst gefeierten wald¬
bewachsenen Gebirgen und wasserreichen Geländen eine Einöde gemacht haben,
die sich der zwei furchtbaren Feinde ihrer Fruchtbarkeit, der Heuschrecken und
der Dürre nicht mehr erwehren kann. Jährlich sinkt die Steuerkraft des
Eilandes zusehends. Die Hungersnoth der Jahre 1874 und 75 hat hier fürchterlich


Grenzboten lo. 1877.

würdevolle Meinung vorträgt, daß alle Korruption und Niedertracht/welche
die türkische Regierung und Bevölkerung vergiftet, der Gesundheit der Nation
nichts geschadet hätten, daß die Türkei ohne alle Einmischung des Auslandes
sich selbst helfen werde!

Besonders fühlbar sind in den europäischen Provinzen, zumal in der
Gegend zwischen Konstantinopel und Adrianopel die Raub- und Beutezüge der
Tscherkessen. Dieses einst aus Rußland ausgewanderte Diebsvolk plündert
nicht nur ungestraft seine ihm irgend erreichbaren Nachbarn, sondern treibt
namentlich auch den Raub von Knaben und Mädchen im Großen und ohne
daß bisher Seiten der Regierung irgend eine wirksame Abhülfe geleistet worden
Wäre. Die Tscherkessen sind der Hohen Pforte für ihre militärischen Bedürfnisse
Zu wichtig, als daß man sich mit ihnen, wegen so eines bischens Landfriedensbruchs
und wegen des ihnen zur Gewohnheit gewordenen Menschenraubes und Sklaven¬
handels in Friedenzeiten verfeinden sollte. Selbst die nichtswürdige Behandlung
der tscherkessischen Stammesgenossen durch ihre Häuptlinge hat zwar zum
Einschreiten der Pforte und zu Truppenaufgeboten geführt; Aber die Häupt¬
linge behandeln ihre Stammesgenossen nach wie vor wie Sklaven und schalten
über all dem Laud, das die Pforte dem ganzen Stamm zugleich überwiesen,
so als ob es den Häuptlingen allein gehöre. Diese Verhältnisse sind natürlich
mit der Entfesselung aller Leidenschaften feit dem bulgarischen Aufstand und
seit dem Kriege noch um vieles schlimmer geworden. Es ist eines der rühm¬
lichsten Zeugnisse für die Unparteilichkeit des Verfassers, daß er über die
Bulgaren so günstig urtheilt wie er thut - er nennt sie „fast ausnahmslos
arbeitsam, willig, mäßig, gehorsam und geduldig" - - und daß er die furcht¬
baren Gräuel, mit denen sich im Vorjahre die ottomanische Regierung nach
Niederwerfung des bulgarischen Aufstandes befleckt hat, unumwunden und mit
schmerzlichem Bedauern einräumt, während bekanntlich das gesittete und fromme
Wbion lange Zeit gar nichts von den Gräueln der Tscherkessen und Baschi-
Bozuk in Bulgarien sehen und hören wollte.

Nachdem der Verfasser dann noch einige sehr lehrreiche Züge von Regiernngs-
willkühr und -Ohnmacht aus Varna, der Provinz Salonichi und Brussa
mitgetheilt, wendet er sich zu eiuer eingehenden und höchst lesenswerthen
Schilderung der türkischen Mißwirthschaft auf der Insel Cypern. Er weist
"ach, daß die Herrschaft der Osmanen, vor allem die Geldgier und Indolenz
der Vali ans der Königin des Mittelmeeres mit ihren einst gefeierten wald¬
bewachsenen Gebirgen und wasserreichen Geländen eine Einöde gemacht haben,
die sich der zwei furchtbaren Feinde ihrer Fruchtbarkeit, der Heuschrecken und
der Dürre nicht mehr erwehren kann. Jährlich sinkt die Steuerkraft des
Eilandes zusehends. Die Hungersnoth der Jahre 1874 und 75 hat hier fürchterlich


Grenzboten lo. 1877.
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[0477] würdevolle Meinung vorträgt, daß alle Korruption und Niedertracht/welche die türkische Regierung und Bevölkerung vergiftet, der Gesundheit der Nation nichts geschadet hätten, daß die Türkei ohne alle Einmischung des Auslandes sich selbst helfen werde! Besonders fühlbar sind in den europäischen Provinzen, zumal in der Gegend zwischen Konstantinopel und Adrianopel die Raub- und Beutezüge der Tscherkessen. Dieses einst aus Rußland ausgewanderte Diebsvolk plündert nicht nur ungestraft seine ihm irgend erreichbaren Nachbarn, sondern treibt namentlich auch den Raub von Knaben und Mädchen im Großen und ohne daß bisher Seiten der Regierung irgend eine wirksame Abhülfe geleistet worden Wäre. Die Tscherkessen sind der Hohen Pforte für ihre militärischen Bedürfnisse Zu wichtig, als daß man sich mit ihnen, wegen so eines bischens Landfriedensbruchs und wegen des ihnen zur Gewohnheit gewordenen Menschenraubes und Sklaven¬ handels in Friedenzeiten verfeinden sollte. Selbst die nichtswürdige Behandlung der tscherkessischen Stammesgenossen durch ihre Häuptlinge hat zwar zum Einschreiten der Pforte und zu Truppenaufgeboten geführt; Aber die Häupt¬ linge behandeln ihre Stammesgenossen nach wie vor wie Sklaven und schalten über all dem Laud, das die Pforte dem ganzen Stamm zugleich überwiesen, so als ob es den Häuptlingen allein gehöre. Diese Verhältnisse sind natürlich mit der Entfesselung aller Leidenschaften feit dem bulgarischen Aufstand und seit dem Kriege noch um vieles schlimmer geworden. Es ist eines der rühm¬ lichsten Zeugnisse für die Unparteilichkeit des Verfassers, daß er über die Bulgaren so günstig urtheilt wie er thut - er nennt sie „fast ausnahmslos arbeitsam, willig, mäßig, gehorsam und geduldig" - - und daß er die furcht¬ baren Gräuel, mit denen sich im Vorjahre die ottomanische Regierung nach Niederwerfung des bulgarischen Aufstandes befleckt hat, unumwunden und mit schmerzlichem Bedauern einräumt, während bekanntlich das gesittete und fromme Wbion lange Zeit gar nichts von den Gräueln der Tscherkessen und Baschi- Bozuk in Bulgarien sehen und hören wollte. Nachdem der Verfasser dann noch einige sehr lehrreiche Züge von Regiernngs- willkühr und -Ohnmacht aus Varna, der Provinz Salonichi und Brussa mitgetheilt, wendet er sich zu eiuer eingehenden und höchst lesenswerthen Schilderung der türkischen Mißwirthschaft auf der Insel Cypern. Er weist "ach, daß die Herrschaft der Osmanen, vor allem die Geldgier und Indolenz der Vali ans der Königin des Mittelmeeres mit ihren einst gefeierten wald¬ bewachsenen Gebirgen und wasserreichen Geländen eine Einöde gemacht haben, die sich der zwei furchtbaren Feinde ihrer Fruchtbarkeit, der Heuschrecken und der Dürre nicht mehr erwehren kann. Jährlich sinkt die Steuerkraft des Eilandes zusehends. Die Hungersnoth der Jahre 1874 und 75 hat hier fürchterlich Grenzboten lo. 1877.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/477>, abgerufen am 22.07.2024.