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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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in Stambul beschweren. Der Großvezier ertheilt auch Befehle und Nasen an
den Vali. Aber diese wandern ruhig in den Papierkorb. Und tritt der
schlimmste Fall für den Vali, seine Absetzung, ein, so hat er diese letzte Mög¬
lichkeit längst vorhergesehen und danach seine Maßregeln getroffen. Aber so
leicht tritt diese Eventualität nicht ein. Wozu wäre denn der Provinzialrath
da? Ihm legt der Vali in Fällen, in denen er sich zu verantworten hat eine
Schrift vor, welche die Sache so darstellt, wie der Vali wünscht. Jeder-
männiglich unterzeichnet; außer sämmtlichen Mitgliedern des Provmzmlrathes
auch der Defterdar, alle Primate und Geistlichen sämmtlicher Kulte, auch der
Vali selbst und sein Sekretär, worauf sothanes Schriftstück unter dem hoch¬
trabenden Namen Mazbata (Protokoll) als amtliches unanfechtbares Akten¬
stück an die Hohe Pforte wandert und im ganzen Reiche amtliches Ansehen
genießt. Selbst aus Spezialuntersuchungskoinmissionen, die übrigens selten
genug und nur bei sehr argen Bedrückungen und Klagen von Stambul
abgesandt werden, macht sich der Vali nicht viel. Auch sie werden nut Maz-
bata's abgespeist. Ist doch der Marktpreis für einen falschen Zeugen, wie
der Verfasser an einer andern Stelle mittheilt, in der Türkei nicht höher als
eine Medschidie (3 M. 60 Pf.). Allerdings gibt es auch Untersuchungskommissare,
die sich durch den alten Schwindel nicht blenden ließen, die mit reichem
Material nach Konstantinopel zurückkehrten. Aber "die eingereichten Dossiers
werden wohl noch jetzt in irgend einer Rumpelkammer als schützbares Material
für die Würmer liegen."

Fast mit Bestimmtheit dürfen wir annehmen, daß der Verfasser einen
guten Theil dieses Anklagematerials selbst in Händen gehabt hat. Tue nun
folgenden Blätter bieten wenigstens Enthüllungen, die kaum aus einer anderen
amtlichen türkischen Quelle geflossen sein können, als aus dieser. Schonungslos
werden die großen Ranbmcmöver der Generalgouverneure aufgedeckt. Zunächst
die Getreideausfuhrverbvte, die besonders zur Zeit des Sultans Abdul Medschid
blühten. Der Vali malte die Ernteaussichten seiner Provinz, die recht leidlich
standen, der Regierung in den düstersten Farben und bat um ein Getreide-
Ausfuhrverbot für seinen Bezirk, das um so unbedenklicher ertheilt wurde, als
es keine Proviuzialpresse gab, welche die Wahrheit hätte verrathen können.
Kaum was das Verbot angelangt, so kaufte eine Horde von Agenten des Vali
sämmtliche Vorräthe "auf Befehl und für Rechnung der Regierung" nach
einem willkürlich festgesetzten Preise ans und schleppte sie nach der Hauptstadt
der Provinz. Nun bat der Vali um Aufhebung des Getreide-Ausfuhrverbotes,
da er reichlich genug'und mehr als genug bis zur nächsten Ernte in den Regie-
rnngsmagaziuen aufgespeichert hatte. Natürlich wurde auch das genehmigt und
der Vali theilte dann init seinen Getreuen die dem Schweiße des Landmannes ab-


in Stambul beschweren. Der Großvezier ertheilt auch Befehle und Nasen an
den Vali. Aber diese wandern ruhig in den Papierkorb. Und tritt der
schlimmste Fall für den Vali, seine Absetzung, ein, so hat er diese letzte Mög¬
lichkeit längst vorhergesehen und danach seine Maßregeln getroffen. Aber so
leicht tritt diese Eventualität nicht ein. Wozu wäre denn der Provinzialrath
da? Ihm legt der Vali in Fällen, in denen er sich zu verantworten hat eine
Schrift vor, welche die Sache so darstellt, wie der Vali wünscht. Jeder-
männiglich unterzeichnet; außer sämmtlichen Mitgliedern des Provmzmlrathes
auch der Defterdar, alle Primate und Geistlichen sämmtlicher Kulte, auch der
Vali selbst und sein Sekretär, worauf sothanes Schriftstück unter dem hoch¬
trabenden Namen Mazbata (Protokoll) als amtliches unanfechtbares Akten¬
stück an die Hohe Pforte wandert und im ganzen Reiche amtliches Ansehen
genießt. Selbst aus Spezialuntersuchungskoinmissionen, die übrigens selten
genug und nur bei sehr argen Bedrückungen und Klagen von Stambul
abgesandt werden, macht sich der Vali nicht viel. Auch sie werden nut Maz-
bata's abgespeist. Ist doch der Marktpreis für einen falschen Zeugen, wie
der Verfasser an einer andern Stelle mittheilt, in der Türkei nicht höher als
eine Medschidie (3 M. 60 Pf.). Allerdings gibt es auch Untersuchungskommissare,
die sich durch den alten Schwindel nicht blenden ließen, die mit reichem
Material nach Konstantinopel zurückkehrten. Aber „die eingereichten Dossiers
werden wohl noch jetzt in irgend einer Rumpelkammer als schützbares Material
für die Würmer liegen."

Fast mit Bestimmtheit dürfen wir annehmen, daß der Verfasser einen
guten Theil dieses Anklagematerials selbst in Händen gehabt hat. Tue nun
folgenden Blätter bieten wenigstens Enthüllungen, die kaum aus einer anderen
amtlichen türkischen Quelle geflossen sein können, als aus dieser. Schonungslos
werden die großen Ranbmcmöver der Generalgouverneure aufgedeckt. Zunächst
die Getreideausfuhrverbvte, die besonders zur Zeit des Sultans Abdul Medschid
blühten. Der Vali malte die Ernteaussichten seiner Provinz, die recht leidlich
standen, der Regierung in den düstersten Farben und bat um ein Getreide-
Ausfuhrverbot für seinen Bezirk, das um so unbedenklicher ertheilt wurde, als
es keine Proviuzialpresse gab, welche die Wahrheit hätte verrathen können.
Kaum was das Verbot angelangt, so kaufte eine Horde von Agenten des Vali
sämmtliche Vorräthe „auf Befehl und für Rechnung der Regierung" nach
einem willkürlich festgesetzten Preise ans und schleppte sie nach der Hauptstadt
der Provinz. Nun bat der Vali um Aufhebung des Getreide-Ausfuhrverbotes,
da er reichlich genug'und mehr als genug bis zur nächsten Ernte in den Regie-
rnngsmagaziuen aufgespeichert hatte. Natürlich wurde auch das genehmigt und
der Vali theilte dann init seinen Getreuen die dem Schweiße des Landmannes ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/475>, abgerufen am 22.07.2024.