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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Gewerbegehülfeu, Lehrlinge" beschränkt, sondern es werden zu dieser
Klasse auch die "Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter"
hinzugerechnet;
4. Z 30 d erhält die Fassung:
"wenn der Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz hat, oder wenn
"ein solcher sich nicht ermitteln läßt, derjenige Landarmen-
"verband u. s. w.";
5. hinter Z 64 wird neu eingeschaltet als Z 64 g.:
"Falls arbeitsfähigen Personen oder deren nicht arbeitsfähigen An¬
gehörigen öffentliche Unterstützung gewährt werden muß, können die
"ersteres Seitens der Landesbehörde im Wege des Verwaltungsstreit-
"verfahrens zur Arbeit innerhalb oder außerhalb eines Arbeitshauses
"angehalten werden."

Die Vorschläge sind tiefeingreifende, es werden durch sie, falls sie Gesetzes¬
kraft erlangen, die sämmtlichen mit Ausübung der öffentlichen Armenpflege
betrauten Verbande irritirt, und es ist nicht zu verkennen, daß sie, in der Praxis wirk¬
sam geworden, dem großen Gebiete der öffentlichen Armenpflege eine gegen die bis¬
herigen Verhältnisse zwar nicht wesentliche, immerhin aber doch beachtenswerth
veränderte Signatur verleihen werden. Man hat dies sofort in den weitesten
Kreisen theils mehr oder minder klar erkannt, theils auch nur instinktmäßig
gefühlt, und es ist daher begreiflich, wie in der Tagespresse bereits die mannich-
fachsten Erörterungen über den Gesetzesvorschlag gepflogen wurden, als auch'
wie Vereinigungen politischen und volkswirtschaftlichen Charakters, wie Armen¬
verbände und deren Organe sich in Darlegung zustimmender oder ablehnender
Voden förmlich überbieten.

Wenden wir uns zunächst zu der Frage, ob überhaupt und aus welchen
allgemeinen Gründen eine Abänderung beziehungsweise Ergänzung des Unter-
stützungs-Wohnsitz-Gesetzes geboten erscheine. Die Kritiker und die Gegner
unserer derzeitigen Armengesetzgebung theilen sich in zwei Klassen, in die Klasse
derer, welche das System und die prinzipielle Grundlage der Gesetzgebung an¬
tasten und in^die jener, welche, ohne an diesen beiden rütteln zu wollen, ein¬
zelne in der Praxis hervorgetretene Lücken und Unzukömmlichkeiten ergänzt
und beseitigt wünschen. Die Forderungen der ersteren Klasse sind selbstver¬
ständlich in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Betracht gezogen worden.
Wir können uns deshalb in Bezug auf sie auch ganz kurz fassen. Es find
in jener Klasse vor Allem die Vertreter des politischen und, so wenig sie dies
auch Recht haben wollen, des wirthschaftlichen Rückschritts geschaart. Sie
suchen das Heilmittel für die wirthschaftlichen Schäden der Gegenwart in der
Rückkehr zu überlebten Zuständen. Sie schildern die alte "Heimathgemeinde"


Gewerbegehülfeu, Lehrlinge" beschränkt, sondern es werden zu dieser
Klasse auch die „Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter"
hinzugerechnet;
4. Z 30 d erhält die Fassung:
„wenn der Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz hat, oder wenn
„ein solcher sich nicht ermitteln läßt, derjenige Landarmen-
„verband u. s. w.";
5. hinter Z 64 wird neu eingeschaltet als Z 64 g.:
„Falls arbeitsfähigen Personen oder deren nicht arbeitsfähigen An¬
gehörigen öffentliche Unterstützung gewährt werden muß, können die
„ersteres Seitens der Landesbehörde im Wege des Verwaltungsstreit-
„verfahrens zur Arbeit innerhalb oder außerhalb eines Arbeitshauses
„angehalten werden."

Die Vorschläge sind tiefeingreifende, es werden durch sie, falls sie Gesetzes¬
kraft erlangen, die sämmtlichen mit Ausübung der öffentlichen Armenpflege
betrauten Verbande irritirt, und es ist nicht zu verkennen, daß sie, in der Praxis wirk¬
sam geworden, dem großen Gebiete der öffentlichen Armenpflege eine gegen die bis¬
herigen Verhältnisse zwar nicht wesentliche, immerhin aber doch beachtenswerth
veränderte Signatur verleihen werden. Man hat dies sofort in den weitesten
Kreisen theils mehr oder minder klar erkannt, theils auch nur instinktmäßig
gefühlt, und es ist daher begreiflich, wie in der Tagespresse bereits die mannich-
fachsten Erörterungen über den Gesetzesvorschlag gepflogen wurden, als auch'
wie Vereinigungen politischen und volkswirtschaftlichen Charakters, wie Armen¬
verbände und deren Organe sich in Darlegung zustimmender oder ablehnender
Voden förmlich überbieten.

Wenden wir uns zunächst zu der Frage, ob überhaupt und aus welchen
allgemeinen Gründen eine Abänderung beziehungsweise Ergänzung des Unter-
stützungs-Wohnsitz-Gesetzes geboten erscheine. Die Kritiker und die Gegner
unserer derzeitigen Armengesetzgebung theilen sich in zwei Klassen, in die Klasse
derer, welche das System und die prinzipielle Grundlage der Gesetzgebung an¬
tasten und in^die jener, welche, ohne an diesen beiden rütteln zu wollen, ein¬
zelne in der Praxis hervorgetretene Lücken und Unzukömmlichkeiten ergänzt
und beseitigt wünschen. Die Forderungen der ersteren Klasse sind selbstver¬
ständlich in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Betracht gezogen worden.
Wir können uns deshalb in Bezug auf sie auch ganz kurz fassen. Es find
in jener Klasse vor Allem die Vertreter des politischen und, so wenig sie dies
auch Recht haben wollen, des wirthschaftlichen Rückschritts geschaart. Sie
suchen das Heilmittel für die wirthschaftlichen Schäden der Gegenwart in der
Rückkehr zu überlebten Zuständen. Sie schildern die alte „Heimathgemeinde"


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[0046] Gewerbegehülfeu, Lehrlinge" beschränkt, sondern es werden zu dieser Klasse auch die „Fabrikarbeiter, land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter" hinzugerechnet; 4. Z 30 d erhält die Fassung: „wenn der Unterstützte keinen Unterstützungswohnsitz hat, oder wenn „ein solcher sich nicht ermitteln läßt, derjenige Landarmen- „verband u. s. w."; 5. hinter Z 64 wird neu eingeschaltet als Z 64 g.: „Falls arbeitsfähigen Personen oder deren nicht arbeitsfähigen An¬ gehörigen öffentliche Unterstützung gewährt werden muß, können die „ersteres Seitens der Landesbehörde im Wege des Verwaltungsstreit- „verfahrens zur Arbeit innerhalb oder außerhalb eines Arbeitshauses „angehalten werden." Die Vorschläge sind tiefeingreifende, es werden durch sie, falls sie Gesetzes¬ kraft erlangen, die sämmtlichen mit Ausübung der öffentlichen Armenpflege betrauten Verbande irritirt, und es ist nicht zu verkennen, daß sie, in der Praxis wirk¬ sam geworden, dem großen Gebiete der öffentlichen Armenpflege eine gegen die bis¬ herigen Verhältnisse zwar nicht wesentliche, immerhin aber doch beachtenswerth veränderte Signatur verleihen werden. Man hat dies sofort in den weitesten Kreisen theils mehr oder minder klar erkannt, theils auch nur instinktmäßig gefühlt, und es ist daher begreiflich, wie in der Tagespresse bereits die mannich- fachsten Erörterungen über den Gesetzesvorschlag gepflogen wurden, als auch' wie Vereinigungen politischen und volkswirtschaftlichen Charakters, wie Armen¬ verbände und deren Organe sich in Darlegung zustimmender oder ablehnender Voden förmlich überbieten. Wenden wir uns zunächst zu der Frage, ob überhaupt und aus welchen allgemeinen Gründen eine Abänderung beziehungsweise Ergänzung des Unter- stützungs-Wohnsitz-Gesetzes geboten erscheine. Die Kritiker und die Gegner unserer derzeitigen Armengesetzgebung theilen sich in zwei Klassen, in die Klasse derer, welche das System und die prinzipielle Grundlage der Gesetzgebung an¬ tasten und in^die jener, welche, ohne an diesen beiden rütteln zu wollen, ein¬ zelne in der Praxis hervorgetretene Lücken und Unzukömmlichkeiten ergänzt und beseitigt wünschen. Die Forderungen der ersteren Klasse sind selbstver¬ ständlich in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Betracht gezogen worden. Wir können uns deshalb in Bezug auf sie auch ganz kurz fassen. Es find in jener Klasse vor Allem die Vertreter des politischen und, so wenig sie dies auch Recht haben wollen, des wirthschaftlichen Rückschritts geschaart. Sie suchen das Heilmittel für die wirthschaftlichen Schäden der Gegenwart in der Rückkehr zu überlebten Zuständen. Sie schildern die alte „Heimathgemeinde"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/46>, abgerufen am 22.07.2024.