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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Boden und alle Produktionsmittel gesellschaftliches Gemeineigenthnm sein sollen,
ganz wie es in: "Kapitale" von Marx und im Gothaer Programm geschrieben
steht; sie proklamirten den omnipotenten Staat, der die Produktion und Kon¬
sumtion bis in's Kleinste hinab regeln und nach den Beschlüssen der Volks¬
mehrheit regiert und verwaltet werden soll; "die Minorität muß sich fügen
oder auswandern",'erklärte der Schweizer Greulich den Anarchisten. Diese
Alternative ist sehr euphemistisch formulirt, denn da die sozialistische Gesellschaft
eine nationale Organisation weder sein kann noch sein soll, isondern immer
nur eine oder richtiger die internationale Völkergemeinschaft sein würde, wenn
sie überhaupt möglich wäre, so steht ein Rebell nicht etwa vor dem Dilemma
des Gehorchens oder Auswanderers, fondern des Gehorchens oder Verhungerns.
Die Bakunisten wollten um zwar auch Kollektiveigenthum, aber nicht in den
Händen des Staats, sondern freier Arbeitergruppen, die sich ohne jeden gesell¬
schaftlichen oder staatlichen Zwang ganz nach souveränem Belieben frei bilden
und auseinander gehen. Die Idee ist im Grunde völlig unverständlich: der
Vakunist Guillaume suchte sie zu verdeutlichen, indem er sagte: "Der Kommunis¬
mus ist Gemeinschaft und Regierung; der Anarchismus ist Gemeinschaft
und Anarchie." Nun spitzten sich die Gegensätze so zu. Die Bakunisten
warfen deu Gegnern ein: "Euer Zukunftsstaat ist die abscheulichste Sklaverei,
die je in einem menschlichen Gehirne ausgebrütet worden ist." Worauf die
Marxisten erwiderten: "Aber eure freien Arbeitergruppen führen mit logischem
Zwange zur freien Konkurrenz, das heißt zum Privateigenthum, das heißt
Ma heutige" Staate zurück." Offenbar haben beide Theile Recht bis auf
das Tüpfelchen über dem i. Sie vertraten den Pol und Gegenpol des inneren
und ewig unlöslichen Widerspruchs, der sich Kommunismus nennt. Eine kürzere
und vernichtendere Kritik der ungeheuren Schwindelblase, als sie in dieser
thatsächlichen Gegenüberstellung des baknnistischen und marxistischen Prinzips
enthalten ist, läßt sich absolut nicht denken. Im Uebrigen trugen die Marxisten
den Sieg davon, indem mit 16 gegen 13 Stimmen resolvirt wurde, daß "der
Staat, welcher das ganze Volk vertritt und umfaßt, und innerhalb dessen
die freien Kommunen organisirt sind, Eigenthümer des Landes und
der übrigen Arbeitsinstrumente werde." Die gesperrt gedruckten Worte wurden
"is Konzession der starken Minorität der Bakunisten bewilligt; wie die
"freien Kommunen" innerhalb des projektirten Zwangsstaates organisirt werden
sollen, gehört zu deu Räthseln der sozialistischen Weisheit, über welche sich heute
den Kopf zu zerbrechen kaum lohnt.

Dies war die prinzipielle Differenz. Bezüglich der Taktik waren wiederum
beide Theile darin einig, daß die Gewalt der entscheidende und letzte Hebel
der sozialen Revolution sein muß und wird. Die Marxisten wollen nur durch


Boden und alle Produktionsmittel gesellschaftliches Gemeineigenthnm sein sollen,
ganz wie es in: „Kapitale" von Marx und im Gothaer Programm geschrieben
steht; sie proklamirten den omnipotenten Staat, der die Produktion und Kon¬
sumtion bis in's Kleinste hinab regeln und nach den Beschlüssen der Volks¬
mehrheit regiert und verwaltet werden soll; „die Minorität muß sich fügen
oder auswandern",'erklärte der Schweizer Greulich den Anarchisten. Diese
Alternative ist sehr euphemistisch formulirt, denn da die sozialistische Gesellschaft
eine nationale Organisation weder sein kann noch sein soll, isondern immer
nur eine oder richtiger die internationale Völkergemeinschaft sein würde, wenn
sie überhaupt möglich wäre, so steht ein Rebell nicht etwa vor dem Dilemma
des Gehorchens oder Auswanderers, fondern des Gehorchens oder Verhungerns.
Die Bakunisten wollten um zwar auch Kollektiveigenthum, aber nicht in den
Händen des Staats, sondern freier Arbeitergruppen, die sich ohne jeden gesell¬
schaftlichen oder staatlichen Zwang ganz nach souveränem Belieben frei bilden
und auseinander gehen. Die Idee ist im Grunde völlig unverständlich: der
Vakunist Guillaume suchte sie zu verdeutlichen, indem er sagte: „Der Kommunis¬
mus ist Gemeinschaft und Regierung; der Anarchismus ist Gemeinschaft
und Anarchie." Nun spitzten sich die Gegensätze so zu. Die Bakunisten
warfen deu Gegnern ein: „Euer Zukunftsstaat ist die abscheulichste Sklaverei,
die je in einem menschlichen Gehirne ausgebrütet worden ist." Worauf die
Marxisten erwiderten: „Aber eure freien Arbeitergruppen führen mit logischem
Zwange zur freien Konkurrenz, das heißt zum Privateigenthum, das heißt
Ma heutige» Staate zurück." Offenbar haben beide Theile Recht bis auf
das Tüpfelchen über dem i. Sie vertraten den Pol und Gegenpol des inneren
und ewig unlöslichen Widerspruchs, der sich Kommunismus nennt. Eine kürzere
und vernichtendere Kritik der ungeheuren Schwindelblase, als sie in dieser
thatsächlichen Gegenüberstellung des baknnistischen und marxistischen Prinzips
enthalten ist, läßt sich absolut nicht denken. Im Uebrigen trugen die Marxisten
den Sieg davon, indem mit 16 gegen 13 Stimmen resolvirt wurde, daß „der
Staat, welcher das ganze Volk vertritt und umfaßt, und innerhalb dessen
die freien Kommunen organisirt sind, Eigenthümer des Landes und
der übrigen Arbeitsinstrumente werde." Die gesperrt gedruckten Worte wurden
"is Konzession der starken Minorität der Bakunisten bewilligt; wie die
"freien Kommunen" innerhalb des projektirten Zwangsstaates organisirt werden
sollen, gehört zu deu Räthseln der sozialistischen Weisheit, über welche sich heute
den Kopf zu zerbrechen kaum lohnt.

Dies war die prinzipielle Differenz. Bezüglich der Taktik waren wiederum
beide Theile darin einig, daß die Gewalt der entscheidende und letzte Hebel
der sozialen Revolution sein muß und wird. Die Marxisten wollen nur durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/449>, abgerufen am 27.07.2024.