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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Die Tochter des Hohenpriesters erwürgt sich an ihren Haarflechten, um den
Begierden Domiticms zu entgehen. Bilder wildester Auflösung, die Tvdesboten
eines tausendjährigen Weltreiches jagt der zweite Scenencyclus durcheinander.
Der Kaiser Maxentius liegt lebens- und vergnügungssatt krank, als das von
Hungersnoth und Pest zum Wahnwitz getriebene Volk empört dem Palast
naht und Brod fordert. Der erschrockene Cäsar bietet statt dessen nächtliche
Stiergefechte, und Hungrige und Kranke, Reiche und Gesunde drängen zum
Circus. Mitten in die blutigen Spiele drängen die meuternden Truppen, das
Blut des Cäsars fordernd. Verrathen hat ihn sein Vertrauter Daradas. Mit
Mühe rettet der allmächtige Kaiser das nackte Leben. Auf des großen Beckens
Brüstung hängt sein goldverbrämter Purpurmantel; zum Lager dient er nun
dem trägen Krokodile, das platt ausgestreckt in seinen Falten schläft. Die
Kunst und die quellenmäßige Treue des Verfassers versöhnen mit der auch für
stärkere Nerven etwas üppigen Häufung grauenhafter Bilder.

Schöne Literatur. Von illustrirten Klassikerausgaben er¬
wähnen wir auch dieses Jahr zunächst die bereits im Vorjahr eingehender
besprochenen Ausgaben der G. Grote'schen Verlagshandlung in Berlin, welche
uns bis zum letzten Fest Goethe's, Lessing's und Shakespeare's Werke'
und die erste Hälfte Walter Scott's Romane mit Illustrationen und Kom¬
mentaren geboten hatte, und in diesem Jahre sechs Bände von Walter Scott
und ebensoviele von Schillers Werken hinzugefügt hat. Herausgegeben
sind Schillers Werke von Robert Boxberger, der eine umfangreiche Arbeit
über Schillers Leben vorausschickt, in welcher die neuesten Ergebnisse
niedergelegt siud, die wir den letzten Jahren verdanken. Die Anmerkungen
des Herausgebers weisen bei jeder einzelnen Dichtung die Zeit der Entstehung,
die Zahl und Jahre der Ausgaben, wichtige Varianten u. s. w. nach und
erläutern unserer Zeit fremd gewordene Satz- und Wortformen. Von den
Illustrationen werden wohl einige später einer gelasseneren Herausgabe und
besserer Ueberzeugung weichen müssen. Die Reihenfolge des Inhaltes ist die
übliche. -- Demselben Verlage verdanken wir eine neue Auflage der reizenden
Erzählung Wilhelm Raabe's, "Die Chronik der Sperlingsgasse",
so heiter und sinnig wie alle Erzeugnisse dieses Verfassers, mit Illustrationen
von E. Bosch, und die Dichtungen Carl Sieb el's bereits in zweiter Auflage.
Die Freunde des Frühverstorbenen, den nicht die Sorge, sondern die Freude
am Erdenleben, in der besten Kraft der Jahre getödtet, dessen Muse aber immer
rein und edel zu uns spricht, haben seine Lieder gesammelt; Emil Rittershaus,
der dem Dichter befreundet war, hat sie kräftig eingeleitet. Die neueste prächtige
Dichtung von Julius Wolff "Der wilde Jäger", die in demselben Verlag er¬
schienen ist, besprechen wir in einem besondern Artikel. Die Hinstorff-


Die Tochter des Hohenpriesters erwürgt sich an ihren Haarflechten, um den
Begierden Domiticms zu entgehen. Bilder wildester Auflösung, die Tvdesboten
eines tausendjährigen Weltreiches jagt der zweite Scenencyclus durcheinander.
Der Kaiser Maxentius liegt lebens- und vergnügungssatt krank, als das von
Hungersnoth und Pest zum Wahnwitz getriebene Volk empört dem Palast
naht und Brod fordert. Der erschrockene Cäsar bietet statt dessen nächtliche
Stiergefechte, und Hungrige und Kranke, Reiche und Gesunde drängen zum
Circus. Mitten in die blutigen Spiele drängen die meuternden Truppen, das
Blut des Cäsars fordernd. Verrathen hat ihn sein Vertrauter Daradas. Mit
Mühe rettet der allmächtige Kaiser das nackte Leben. Auf des großen Beckens
Brüstung hängt sein goldverbrämter Purpurmantel; zum Lager dient er nun
dem trägen Krokodile, das platt ausgestreckt in seinen Falten schläft. Die
Kunst und die quellenmäßige Treue des Verfassers versöhnen mit der auch für
stärkere Nerven etwas üppigen Häufung grauenhafter Bilder.

Schöne Literatur. Von illustrirten Klassikerausgaben er¬
wähnen wir auch dieses Jahr zunächst die bereits im Vorjahr eingehender
besprochenen Ausgaben der G. Grote'schen Verlagshandlung in Berlin, welche
uns bis zum letzten Fest Goethe's, Lessing's und Shakespeare's Werke'
und die erste Hälfte Walter Scott's Romane mit Illustrationen und Kom¬
mentaren geboten hatte, und in diesem Jahre sechs Bände von Walter Scott
und ebensoviele von Schillers Werken hinzugefügt hat. Herausgegeben
sind Schillers Werke von Robert Boxberger, der eine umfangreiche Arbeit
über Schillers Leben vorausschickt, in welcher die neuesten Ergebnisse
niedergelegt siud, die wir den letzten Jahren verdanken. Die Anmerkungen
des Herausgebers weisen bei jeder einzelnen Dichtung die Zeit der Entstehung,
die Zahl und Jahre der Ausgaben, wichtige Varianten u. s. w. nach und
erläutern unserer Zeit fremd gewordene Satz- und Wortformen. Von den
Illustrationen werden wohl einige später einer gelasseneren Herausgabe und
besserer Ueberzeugung weichen müssen. Die Reihenfolge des Inhaltes ist die
übliche. — Demselben Verlage verdanken wir eine neue Auflage der reizenden
Erzählung Wilhelm Raabe's, „Die Chronik der Sperlingsgasse",
so heiter und sinnig wie alle Erzeugnisse dieses Verfassers, mit Illustrationen
von E. Bosch, und die Dichtungen Carl Sieb el's bereits in zweiter Auflage.
Die Freunde des Frühverstorbenen, den nicht die Sorge, sondern die Freude
am Erdenleben, in der besten Kraft der Jahre getödtet, dessen Muse aber immer
rein und edel zu uns spricht, haben seine Lieder gesammelt; Emil Rittershaus,
der dem Dichter befreundet war, hat sie kräftig eingeleitet. Die neueste prächtige
Dichtung von Julius Wolff „Der wilde Jäger", die in demselben Verlag er¬
schienen ist, besprechen wir in einem besondern Artikel. Die Hinstorff-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/443>, abgerufen am 02.09.2024.