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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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glücklich darf im vorliegenden Falle die Verwerthung des alten Gedankens be¬
zeichnet werden. Ein "Bilderalbnm zur neueren Geschichte des deutschen Holz¬
schnittes" -- die wenigsten unserer Leser haben wohl sofort eine genügende
Vorstellung davon, welche reizvolle Gabe unter diesem schlichten, beinahe etwas
nach trockner Wissenschaft schmeckenden Titel geboten wird.

Es klingt seltsam: aber die Existenz der heutigen Generation ist ohne das
gedruckte Holzschnittbild eben so wenig denkbar, wie ohne Eisenbahn und Tele¬
graphen; es gehört für sie zum täglichen geistigen Brode, das ihr denn auch
in reichlichem Maaße gespendet wird: in Büchern und Prachtwerken, in illu-
strirten Zeitungen und Kalendern, in Tagesblättern und Bilderbogen. Gehen
wir aber nur um fünfzig Jahre zurück, fo gelangen wir in eine Zeit, die von
alledem nichts, gar nichts hatte; vor einem halben Jahrhundert gab es in
Deutschland keinen Holzschnitt. Die volkstümlichste aller Künste, die
im 15. und 16. Jahrhundert bei uns in höchster Blüthe gestanden hatte, aber
schon im 17. in Verfall gerathen und immer roher und armseliger geworden
war, sie war im 18. Jahrhundert, wenn man absieht von ganz vereinzelten
Regungen, die wohl kulturgeschichtlich von Interesse sind, aber praktisch be¬
deutungslos blieben, todt und begraben und mußte erst in unserm Jahrhundert
wieder zu neuem Leben erweckt werden. Dies geschah Ende der dreißiger
Jahre; der neuere deutsche Holzschnitt ist gegenwärtig just vier Jahrzehnte alt.
Welch unvergleichlichen Aufschwung hat er aber in dieser kurzen Spanne Zeit
genommen! Welche Fülle künstlerischer Kräfte, schöpferischer und nachschaffender,
hat er geweckt, entfesselt, beschäftigt, genährt, welche Summe nationaler Arbeit
nud nationalen Wohlstandes repräsentirt gegenwärtig, was nur innerhalb eines
Jahres auf diesem Gebiete geschaffen wird!

Von dieser erfreulichen und erhebenden Wandlung der Dinge eine Vor¬
stellung zu geben, ist der Zweck des vorliegenden Albums. Es führt eine
Auswahl von Proben des neueren deutschen Holzschnitts vor, an denen wir
die Entwicklung desselben innerhalb der letzten vierzig Jahre verfolgen und
diejenigen, die sich am meisten um sein Wiederemporkommen verdient gemacht
haben -- Zeichner, Holzschneider und Verlagsbuchhändler -- kennen und
schätzen lernen können.

Wie aus der Vorrede des Albums ersichtlich, ist die Idee zur Herstellung
desselben von der kunstsinnigen Verlagshandlung, unter deren Schirm das
Werk entstanden, (E. A. Seemann in Leipzig) schon längst gehegt und dem
Albertverein für dessen Wohlthätigkeitszwecke nur abgetreten worden. Man muß
dem gütigen Zufall dankbar sein; denn was ohne die äußere Anregung viel¬
leicht noch lange Zeit Projekt geblieben wäre, ist so mit raschem Entschlüsse


glücklich darf im vorliegenden Falle die Verwerthung des alten Gedankens be¬
zeichnet werden. Ein „Bilderalbnm zur neueren Geschichte des deutschen Holz¬
schnittes" — die wenigsten unserer Leser haben wohl sofort eine genügende
Vorstellung davon, welche reizvolle Gabe unter diesem schlichten, beinahe etwas
nach trockner Wissenschaft schmeckenden Titel geboten wird.

Es klingt seltsam: aber die Existenz der heutigen Generation ist ohne das
gedruckte Holzschnittbild eben so wenig denkbar, wie ohne Eisenbahn und Tele¬
graphen; es gehört für sie zum täglichen geistigen Brode, das ihr denn auch
in reichlichem Maaße gespendet wird: in Büchern und Prachtwerken, in illu-
strirten Zeitungen und Kalendern, in Tagesblättern und Bilderbogen. Gehen
wir aber nur um fünfzig Jahre zurück, fo gelangen wir in eine Zeit, die von
alledem nichts, gar nichts hatte; vor einem halben Jahrhundert gab es in
Deutschland keinen Holzschnitt. Die volkstümlichste aller Künste, die
im 15. und 16. Jahrhundert bei uns in höchster Blüthe gestanden hatte, aber
schon im 17. in Verfall gerathen und immer roher und armseliger geworden
war, sie war im 18. Jahrhundert, wenn man absieht von ganz vereinzelten
Regungen, die wohl kulturgeschichtlich von Interesse sind, aber praktisch be¬
deutungslos blieben, todt und begraben und mußte erst in unserm Jahrhundert
wieder zu neuem Leben erweckt werden. Dies geschah Ende der dreißiger
Jahre; der neuere deutsche Holzschnitt ist gegenwärtig just vier Jahrzehnte alt.
Welch unvergleichlichen Aufschwung hat er aber in dieser kurzen Spanne Zeit
genommen! Welche Fülle künstlerischer Kräfte, schöpferischer und nachschaffender,
hat er geweckt, entfesselt, beschäftigt, genährt, welche Summe nationaler Arbeit
nud nationalen Wohlstandes repräsentirt gegenwärtig, was nur innerhalb eines
Jahres auf diesem Gebiete geschaffen wird!

Von dieser erfreulichen und erhebenden Wandlung der Dinge eine Vor¬
stellung zu geben, ist der Zweck des vorliegenden Albums. Es führt eine
Auswahl von Proben des neueren deutschen Holzschnitts vor, an denen wir
die Entwicklung desselben innerhalb der letzten vierzig Jahre verfolgen und
diejenigen, die sich am meisten um sein Wiederemporkommen verdient gemacht
haben — Zeichner, Holzschneider und Verlagsbuchhändler — kennen und
schätzen lernen können.

Wie aus der Vorrede des Albums ersichtlich, ist die Idee zur Herstellung
desselben von der kunstsinnigen Verlagshandlung, unter deren Schirm das
Werk entstanden, (E. A. Seemann in Leipzig) schon längst gehegt und dem
Albertverein für dessen Wohlthätigkeitszwecke nur abgetreten worden. Man muß
dem gütigen Zufall dankbar sein; denn was ohne die äußere Anregung viel¬
leicht noch lange Zeit Projekt geblieben wäre, ist so mit raschem Entschlüsse


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[0418] glücklich darf im vorliegenden Falle die Verwerthung des alten Gedankens be¬ zeichnet werden. Ein „Bilderalbnm zur neueren Geschichte des deutschen Holz¬ schnittes" — die wenigsten unserer Leser haben wohl sofort eine genügende Vorstellung davon, welche reizvolle Gabe unter diesem schlichten, beinahe etwas nach trockner Wissenschaft schmeckenden Titel geboten wird. Es klingt seltsam: aber die Existenz der heutigen Generation ist ohne das gedruckte Holzschnittbild eben so wenig denkbar, wie ohne Eisenbahn und Tele¬ graphen; es gehört für sie zum täglichen geistigen Brode, das ihr denn auch in reichlichem Maaße gespendet wird: in Büchern und Prachtwerken, in illu- strirten Zeitungen und Kalendern, in Tagesblättern und Bilderbogen. Gehen wir aber nur um fünfzig Jahre zurück, fo gelangen wir in eine Zeit, die von alledem nichts, gar nichts hatte; vor einem halben Jahrhundert gab es in Deutschland keinen Holzschnitt. Die volkstümlichste aller Künste, die im 15. und 16. Jahrhundert bei uns in höchster Blüthe gestanden hatte, aber schon im 17. in Verfall gerathen und immer roher und armseliger geworden war, sie war im 18. Jahrhundert, wenn man absieht von ganz vereinzelten Regungen, die wohl kulturgeschichtlich von Interesse sind, aber praktisch be¬ deutungslos blieben, todt und begraben und mußte erst in unserm Jahrhundert wieder zu neuem Leben erweckt werden. Dies geschah Ende der dreißiger Jahre; der neuere deutsche Holzschnitt ist gegenwärtig just vier Jahrzehnte alt. Welch unvergleichlichen Aufschwung hat er aber in dieser kurzen Spanne Zeit genommen! Welche Fülle künstlerischer Kräfte, schöpferischer und nachschaffender, hat er geweckt, entfesselt, beschäftigt, genährt, welche Summe nationaler Arbeit nud nationalen Wohlstandes repräsentirt gegenwärtig, was nur innerhalb eines Jahres auf diesem Gebiete geschaffen wird! Von dieser erfreulichen und erhebenden Wandlung der Dinge eine Vor¬ stellung zu geben, ist der Zweck des vorliegenden Albums. Es führt eine Auswahl von Proben des neueren deutschen Holzschnitts vor, an denen wir die Entwicklung desselben innerhalb der letzten vierzig Jahre verfolgen und diejenigen, die sich am meisten um sein Wiederemporkommen verdient gemacht haben — Zeichner, Holzschneider und Verlagsbuchhändler — kennen und schätzen lernen können. Wie aus der Vorrede des Albums ersichtlich, ist die Idee zur Herstellung desselben von der kunstsinnigen Verlagshandlung, unter deren Schirm das Werk entstanden, (E. A. Seemann in Leipzig) schon längst gehegt und dem Albertverein für dessen Wohlthätigkeitszwecke nur abgetreten worden. Man muß dem gütigen Zufall dankbar sein; denn was ohne die äußere Anregung viel¬ leicht noch lange Zeit Projekt geblieben wäre, ist so mit raschem Entschlüsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/418>, abgerufen am 25.08.2024.