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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Einzigen schien zu erbleichen. Jedoch selbst nach den schweren Gewittern, die
bei Jena und Auerstüdt niedergegangen waren, zeigte sich noch das Wetter¬
leuchten Friedericianischen Geistes. Trotz alles aufgehäuften Schuttes, glimmte
es unter der Asche fort, und daß es zur rechten Zeit wieder in hohe Flammen
aufschlug, dazu hat auch Clausewitz das Seine beigetragen. Voll glühenden
Hasses gegen die Unterdrücker, voll edlen Zornes über die Schwäche und Ver¬
kommenheit im eigenen Hause, hört er nicht einen Augenblick auf, an die
Wiederauferstehung Deutschlands zu glauben.

Im Jahre 1807 schreibt er aus der französischen Verbannung an seine
Braut: "Der Geist der Deutschen fängt an, sich immer erbärmlicher zu zeigen;
überall sieht man eine solche Charakterlosigkeit und Schwäche der Gesinnungen
hervorbrechen, daß die Thränen uns in die Augen treten möchten. Ich schreibe
dies mit unendlicher Wehmuth nieder, denn kein Mensch in der Welt hat mehr
das Bedürfniß der National-Ehre und Würde als ich; aber man kann sich
darüber nicht täuschen: die Erscheinung ist nicht zu leugnen. Nur darin denke
ich von den Meisten verschieden, daß mau darum nachgeben und willig
erliegen müsse. Daß die Menschen nicht edler bei uns denken, ist nicht
die Schuld der Natur, sondern die Schuld der Meuschen." Dann fährt er in
patriotischer Zvrnauswallung fort: "Wenn aber die Menschen die menschliche
Natur in uns entadelt haben, so müssen anch Menschen sie wieder erheben
können; ich spreche nicht von dem Zustande des Friedens und seinen schwachen
Mitteln; im Kriege eröffnet sich ein weites Feld energischer Mittel und wenn
ich die geheimsten Gedanken meiner Seele sagen soll, so bin ich für die aller-
Mvciltsamsten- mit Peitschenhieben würde ich das träge Thier aufregen und
die Ketten zersprengen lehren, die es sich feig und furchtsam hat anlegen lassen.
Einen Geist wollte ich in Deutschland ausströmen, der wie ein Gegengift mit
zerstörender Kraft die Seuche ausrottete, an der der ganze Geist der Nation
Zu vermodern droht."

Welch eine gewaltige Sprache! Grade in Clausewitz's Aufzeichnungen
Briefen und Aufsätzen, die aus der Zeit seiner Jnternirung in Frankreich her¬
rühren, erhalten wir ein Bild seines edlen Herzens, seines ganzen inneren
Lebens, seines Fühlens und Wollens. Diese Aufzeichnungen sind ganz be¬
sonders werthvoll. Der Schmerz über das zertretene Vaterland trübt keines¬
wegs seineu Blick. Seine Urtheile über Personen, über politische Verhältnisse,
über Kunst und Natur sind von wunderbarer Klarheit und durchstreut mit
feinen Bemerkungen. Schmerz und Liebe zeitigen in ihm den ganzen Mann.

Zu dem Aufsatz "die Deutschen und die Franzosen" wirft er die Frage
"uf: Worin liegt der Grund zu dem heutigen Zustande Deutschlands? Und
um die Autwort zu finden, sucht er sich ein deutliches Bild beider Nationen,


Einzigen schien zu erbleichen. Jedoch selbst nach den schweren Gewittern, die
bei Jena und Auerstüdt niedergegangen waren, zeigte sich noch das Wetter¬
leuchten Friedericianischen Geistes. Trotz alles aufgehäuften Schuttes, glimmte
es unter der Asche fort, und daß es zur rechten Zeit wieder in hohe Flammen
aufschlug, dazu hat auch Clausewitz das Seine beigetragen. Voll glühenden
Hasses gegen die Unterdrücker, voll edlen Zornes über die Schwäche und Ver¬
kommenheit im eigenen Hause, hört er nicht einen Augenblick auf, an die
Wiederauferstehung Deutschlands zu glauben.

Im Jahre 1807 schreibt er aus der französischen Verbannung an seine
Braut: „Der Geist der Deutschen fängt an, sich immer erbärmlicher zu zeigen;
überall sieht man eine solche Charakterlosigkeit und Schwäche der Gesinnungen
hervorbrechen, daß die Thränen uns in die Augen treten möchten. Ich schreibe
dies mit unendlicher Wehmuth nieder, denn kein Mensch in der Welt hat mehr
das Bedürfniß der National-Ehre und Würde als ich; aber man kann sich
darüber nicht täuschen: die Erscheinung ist nicht zu leugnen. Nur darin denke
ich von den Meisten verschieden, daß mau darum nachgeben und willig
erliegen müsse. Daß die Menschen nicht edler bei uns denken, ist nicht
die Schuld der Natur, sondern die Schuld der Meuschen." Dann fährt er in
patriotischer Zvrnauswallung fort: „Wenn aber die Menschen die menschliche
Natur in uns entadelt haben, so müssen anch Menschen sie wieder erheben
können; ich spreche nicht von dem Zustande des Friedens und seinen schwachen
Mitteln; im Kriege eröffnet sich ein weites Feld energischer Mittel und wenn
ich die geheimsten Gedanken meiner Seele sagen soll, so bin ich für die aller-
Mvciltsamsten- mit Peitschenhieben würde ich das träge Thier aufregen und
die Ketten zersprengen lehren, die es sich feig und furchtsam hat anlegen lassen.
Einen Geist wollte ich in Deutschland ausströmen, der wie ein Gegengift mit
zerstörender Kraft die Seuche ausrottete, an der der ganze Geist der Nation
Zu vermodern droht."

Welch eine gewaltige Sprache! Grade in Clausewitz's Aufzeichnungen
Briefen und Aufsätzen, die aus der Zeit seiner Jnternirung in Frankreich her¬
rühren, erhalten wir ein Bild seines edlen Herzens, seines ganzen inneren
Lebens, seines Fühlens und Wollens. Diese Aufzeichnungen sind ganz be¬
sonders werthvoll. Der Schmerz über das zertretene Vaterland trübt keines¬
wegs seineu Blick. Seine Urtheile über Personen, über politische Verhältnisse,
über Kunst und Natur sind von wunderbarer Klarheit und durchstreut mit
feinen Bemerkungen. Schmerz und Liebe zeitigen in ihm den ganzen Mann.

Zu dem Aufsatz „die Deutschen und die Franzosen" wirft er die Frage
"uf: Worin liegt der Grund zu dem heutigen Zustande Deutschlands? Und
um die Autwort zu finden, sucht er sich ein deutliches Bild beider Nationen,


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[0411] Einzigen schien zu erbleichen. Jedoch selbst nach den schweren Gewittern, die bei Jena und Auerstüdt niedergegangen waren, zeigte sich noch das Wetter¬ leuchten Friedericianischen Geistes. Trotz alles aufgehäuften Schuttes, glimmte es unter der Asche fort, und daß es zur rechten Zeit wieder in hohe Flammen aufschlug, dazu hat auch Clausewitz das Seine beigetragen. Voll glühenden Hasses gegen die Unterdrücker, voll edlen Zornes über die Schwäche und Ver¬ kommenheit im eigenen Hause, hört er nicht einen Augenblick auf, an die Wiederauferstehung Deutschlands zu glauben. Im Jahre 1807 schreibt er aus der französischen Verbannung an seine Braut: „Der Geist der Deutschen fängt an, sich immer erbärmlicher zu zeigen; überall sieht man eine solche Charakterlosigkeit und Schwäche der Gesinnungen hervorbrechen, daß die Thränen uns in die Augen treten möchten. Ich schreibe dies mit unendlicher Wehmuth nieder, denn kein Mensch in der Welt hat mehr das Bedürfniß der National-Ehre und Würde als ich; aber man kann sich darüber nicht täuschen: die Erscheinung ist nicht zu leugnen. Nur darin denke ich von den Meisten verschieden, daß mau darum nachgeben und willig erliegen müsse. Daß die Menschen nicht edler bei uns denken, ist nicht die Schuld der Natur, sondern die Schuld der Meuschen." Dann fährt er in patriotischer Zvrnauswallung fort: „Wenn aber die Menschen die menschliche Natur in uns entadelt haben, so müssen anch Menschen sie wieder erheben können; ich spreche nicht von dem Zustande des Friedens und seinen schwachen Mitteln; im Kriege eröffnet sich ein weites Feld energischer Mittel und wenn ich die geheimsten Gedanken meiner Seele sagen soll, so bin ich für die aller- Mvciltsamsten- mit Peitschenhieben würde ich das träge Thier aufregen und die Ketten zersprengen lehren, die es sich feig und furchtsam hat anlegen lassen. Einen Geist wollte ich in Deutschland ausströmen, der wie ein Gegengift mit zerstörender Kraft die Seuche ausrottete, an der der ganze Geist der Nation Zu vermodern droht." Welch eine gewaltige Sprache! Grade in Clausewitz's Aufzeichnungen Briefen und Aufsätzen, die aus der Zeit seiner Jnternirung in Frankreich her¬ rühren, erhalten wir ein Bild seines edlen Herzens, seines ganzen inneren Lebens, seines Fühlens und Wollens. Diese Aufzeichnungen sind ganz be¬ sonders werthvoll. Der Schmerz über das zertretene Vaterland trübt keines¬ wegs seineu Blick. Seine Urtheile über Personen, über politische Verhältnisse, über Kunst und Natur sind von wunderbarer Klarheit und durchstreut mit feinen Bemerkungen. Schmerz und Liebe zeitigen in ihm den ganzen Mann. Zu dem Aufsatz „die Deutschen und die Franzosen" wirft er die Frage "uf: Worin liegt der Grund zu dem heutigen Zustande Deutschlands? Und um die Autwort zu finden, sucht er sich ein deutliches Bild beider Nationen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/411>, abgerufen am 25.08.2024.