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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Diese Fortsetzung der Verhandlungen erfolgte hauptsächlich in Folge des
unermüdlichen Betreibens des Kurfürsten Friedrich I. zu Eger. Die Bemüh¬
ungen des Dr, Tante, Hofkaplans Friedrich I. auf Seiten der Katholiken und
des Predigers Rokyezcma auf Seiten der Hussiten führten endlich zu einer
Einigung, die aber auf Hussitischer Seite nur durch die Utraquisten und nicht
auch durch die Taboriten angenommen wurde. Den Hussiten wurden die vier
Forderungen, welche sie schon im Jahre 1420 zur Bedingung ihrer Unterwer¬
fung gemacht und dann wieder in Basel dem Konzil vorgelegt hatten, jetzt
endlich eingeräumt, aber allerdings mit sehr erheblichen Modifikationen.
Namentlich ward die erste und Hauptforderung der Hussiten, daß das Wort
Gottes von ihren Priestern in ihrer Muttersprache überall ungehindert in
Böhmen und Mähren sollte gepredigt werden dürfen, ihnen nur mit der Ma߬
gabe bewilligt, daß zur freien Predigt des göttlichen Worts nur verordnete
Priester zuzulassen, ohne Nachtheil der höchsten Gewalt des Papstes. Diese
wesentlich modifizirten Bewilligungen der vier Forderungen der Hussiten, bekannt
uuter dem Namen der Prager Kompaetaten, wurden, nach langen Verhand¬
lungen in Eger und Prag, vom Konzil zu Basel und hierauf auch vom
Papste genehmigt.

Die Utraquisten unterwarfen sich nach diesen Bewilligungen den: Konzile
und dem Papste. Die Taboriten verweigerten die Unterwerfung, weil ihnen
die vier Forderungen nicht unbedingt eingeräumt waren. Man hat es häufig
als einen Beweis der Verblendung und des Uebermuths der Taboriten ange¬
sehen, daß sie die Annahme der Prager Kompaktaten verweigert haben, jedoch
mit Recht hat Schleiermacher in seiner Kirchengeschichte ausgeführt, daß die
Taboriten die Prager Kompaktaten nicht annehmen konnten, ohne ihrem Prin¬
zipe untreu zu werden. Denn gerade die hauptsächlichste der vier Forde¬
rungen, die Freiheit der Predigt, war, wie bemerkt, in einer solchen Form
eingeräumt, daß sie eigentlich vom Belieben des Papstes abhängig gemacht,
d. h. abgeschlagen war. Nun befanden sich aber die Taboriten in Bezug auf
die Verhandlung mit dem Papste und dem Konzil in einer ganz andern Lage,
als die Utraquisten. Die Utraquisten wichen nur in Einzelheiten, namentlich
im Ritus des Abendmahls, von der katholischen Kirche ab; wir können sie
wohl den heutigen Alt-Katholiken vergleichen; die Taboriten dagegen hatten
das Prinzip aufgestellt: nur die Bibel sei Grundlage des Glaubens; in der
Bibel selbst aber machten sie einen Unterschied zwischen den einzelnen Büchern
und Aussprüchen, denn -- so sagten sie -- nicht alle Verfasser der biblischen
Bücher seien bei jedem Worte vom heiligen Geiste geleitet worden. In Ge¬
mäßheit dieses Prinzips verwarfen die Taboriten die Autorität der Päpste und
Konzilien, waren also ihrem Prinzipe nach den heutigen Protestanten gleichm-


Diese Fortsetzung der Verhandlungen erfolgte hauptsächlich in Folge des
unermüdlichen Betreibens des Kurfürsten Friedrich I. zu Eger. Die Bemüh¬
ungen des Dr, Tante, Hofkaplans Friedrich I. auf Seiten der Katholiken und
des Predigers Rokyezcma auf Seiten der Hussiten führten endlich zu einer
Einigung, die aber auf Hussitischer Seite nur durch die Utraquisten und nicht
auch durch die Taboriten angenommen wurde. Den Hussiten wurden die vier
Forderungen, welche sie schon im Jahre 1420 zur Bedingung ihrer Unterwer¬
fung gemacht und dann wieder in Basel dem Konzil vorgelegt hatten, jetzt
endlich eingeräumt, aber allerdings mit sehr erheblichen Modifikationen.
Namentlich ward die erste und Hauptforderung der Hussiten, daß das Wort
Gottes von ihren Priestern in ihrer Muttersprache überall ungehindert in
Böhmen und Mähren sollte gepredigt werden dürfen, ihnen nur mit der Ma߬
gabe bewilligt, daß zur freien Predigt des göttlichen Worts nur verordnete
Priester zuzulassen, ohne Nachtheil der höchsten Gewalt des Papstes. Diese
wesentlich modifizirten Bewilligungen der vier Forderungen der Hussiten, bekannt
uuter dem Namen der Prager Kompaetaten, wurden, nach langen Verhand¬
lungen in Eger und Prag, vom Konzil zu Basel und hierauf auch vom
Papste genehmigt.

Die Utraquisten unterwarfen sich nach diesen Bewilligungen den: Konzile
und dem Papste. Die Taboriten verweigerten die Unterwerfung, weil ihnen
die vier Forderungen nicht unbedingt eingeräumt waren. Man hat es häufig
als einen Beweis der Verblendung und des Uebermuths der Taboriten ange¬
sehen, daß sie die Annahme der Prager Kompaktaten verweigert haben, jedoch
mit Recht hat Schleiermacher in seiner Kirchengeschichte ausgeführt, daß die
Taboriten die Prager Kompaktaten nicht annehmen konnten, ohne ihrem Prin¬
zipe untreu zu werden. Denn gerade die hauptsächlichste der vier Forde¬
rungen, die Freiheit der Predigt, war, wie bemerkt, in einer solchen Form
eingeräumt, daß sie eigentlich vom Belieben des Papstes abhängig gemacht,
d. h. abgeschlagen war. Nun befanden sich aber die Taboriten in Bezug auf
die Verhandlung mit dem Papste und dem Konzil in einer ganz andern Lage,
als die Utraquisten. Die Utraquisten wichen nur in Einzelheiten, namentlich
im Ritus des Abendmahls, von der katholischen Kirche ab; wir können sie
wohl den heutigen Alt-Katholiken vergleichen; die Taboriten dagegen hatten
das Prinzip aufgestellt: nur die Bibel sei Grundlage des Glaubens; in der
Bibel selbst aber machten sie einen Unterschied zwischen den einzelnen Büchern
und Aussprüchen, denn — so sagten sie — nicht alle Verfasser der biblischen
Bücher seien bei jedem Worte vom heiligen Geiste geleitet worden. In Ge¬
mäßheit dieses Prinzips verwarfen die Taboriten die Autorität der Päpste und
Konzilien, waren also ihrem Prinzipe nach den heutigen Protestanten gleichm-


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[0384] Diese Fortsetzung der Verhandlungen erfolgte hauptsächlich in Folge des unermüdlichen Betreibens des Kurfürsten Friedrich I. zu Eger. Die Bemüh¬ ungen des Dr, Tante, Hofkaplans Friedrich I. auf Seiten der Katholiken und des Predigers Rokyezcma auf Seiten der Hussiten führten endlich zu einer Einigung, die aber auf Hussitischer Seite nur durch die Utraquisten und nicht auch durch die Taboriten angenommen wurde. Den Hussiten wurden die vier Forderungen, welche sie schon im Jahre 1420 zur Bedingung ihrer Unterwer¬ fung gemacht und dann wieder in Basel dem Konzil vorgelegt hatten, jetzt endlich eingeräumt, aber allerdings mit sehr erheblichen Modifikationen. Namentlich ward die erste und Hauptforderung der Hussiten, daß das Wort Gottes von ihren Priestern in ihrer Muttersprache überall ungehindert in Böhmen und Mähren sollte gepredigt werden dürfen, ihnen nur mit der Ma߬ gabe bewilligt, daß zur freien Predigt des göttlichen Worts nur verordnete Priester zuzulassen, ohne Nachtheil der höchsten Gewalt des Papstes. Diese wesentlich modifizirten Bewilligungen der vier Forderungen der Hussiten, bekannt uuter dem Namen der Prager Kompaetaten, wurden, nach langen Verhand¬ lungen in Eger und Prag, vom Konzil zu Basel und hierauf auch vom Papste genehmigt. Die Utraquisten unterwarfen sich nach diesen Bewilligungen den: Konzile und dem Papste. Die Taboriten verweigerten die Unterwerfung, weil ihnen die vier Forderungen nicht unbedingt eingeräumt waren. Man hat es häufig als einen Beweis der Verblendung und des Uebermuths der Taboriten ange¬ sehen, daß sie die Annahme der Prager Kompaktaten verweigert haben, jedoch mit Recht hat Schleiermacher in seiner Kirchengeschichte ausgeführt, daß die Taboriten die Prager Kompaktaten nicht annehmen konnten, ohne ihrem Prin¬ zipe untreu zu werden. Denn gerade die hauptsächlichste der vier Forde¬ rungen, die Freiheit der Predigt, war, wie bemerkt, in einer solchen Form eingeräumt, daß sie eigentlich vom Belieben des Papstes abhängig gemacht, d. h. abgeschlagen war. Nun befanden sich aber die Taboriten in Bezug auf die Verhandlung mit dem Papste und dem Konzil in einer ganz andern Lage, als die Utraquisten. Die Utraquisten wichen nur in Einzelheiten, namentlich im Ritus des Abendmahls, von der katholischen Kirche ab; wir können sie wohl den heutigen Alt-Katholiken vergleichen; die Taboriten dagegen hatten das Prinzip aufgestellt: nur die Bibel sei Grundlage des Glaubens; in der Bibel selbst aber machten sie einen Unterschied zwischen den einzelnen Büchern und Aussprüchen, denn — so sagten sie — nicht alle Verfasser der biblischen Bücher seien bei jedem Worte vom heiligen Geiste geleitet worden. In Ge¬ mäßheit dieses Prinzips verwarfen die Taboriten die Autorität der Päpste und Konzilien, waren also ihrem Prinzipe nach den heutigen Protestanten gleichm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/384>, abgerufen am 02.10.2024.