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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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stellmig erweckte, als ginge es hinab in das Reich der Schatten. Von der
Pforte nun bis zum Tempel war ein weiter und kein grader Weg, und hier
kann uns eine Stelle des Platonischen Phaedon dienen, wo Sokrates in poeti¬
scherer Weise das Loos der Seelen in der andern Welt schildert, indem er,
wie er sagt, von den auf der Oberwelt statthabenden heiligen Branchen auf
das Jenseits seine Schlüsse zieht. Der Weg in den Hades, meint er, sei nicht
derartig wie Aeschylos einmal sage, daß ein einfacher Pfad in die Unterwelt
führe; ihm dagegen scheine weder ein einfacher noch einer zu sein, indem es
ja sonst nicht der Führer bedürfe; vielmehr müßten viele Spaltungen und
Krenz- und Querwege sein. Dieses Herumirren nun unter der Führung der
Priester dauerte in Eleusis gewiß lange Zeit, und war geeignet, das Gemüth
mit Angst und Schauer zu erfüllen. Und diese Gefühle scheinen nach andern
Stellen der Alten noch gesteigert zu sein, durch Vorführung von sonderlichen
Schreckbildern der Unterwelt; dann aber kam überraschend plötzlich der Ueber¬
gang und die eigentliche Weihe, indem man in das Innere des Tempels hin¬
eintrat. Ein außerordentlich Helles, tagartiges Licht strahlte dem Eintretenden
entgegen; er erblickte majestätische Götterbilder, Demeter, Persephone, Jacchos;
die Priester und Priesterinnen standen da in ihrem prachtvollen Ornat, der
auch bei den Männern in einem langen Gewände und einer hohen Kopfbe-
deckung bestand, und heilige Lieder ertönten. Es muß auch eine Art drama¬
tischer Aufführung stattgefunden haben, wo man die Geschichte der Demeter
und Kore darstellte, indem die einzelnen Götter und Göttinnen durch Priester
und Priesterinnen vertreten wurden, und wir können überzeugt fein, daß je
mehr das Fest an Ansehen stieg, der Staat selber wuchs, die Kunst sich ent¬
wickelte, desto reicher auch der Aufwand und desto vollkommener und schöner
die Ausführungen wurden. Der Eindruck aber wurde unendlich verstärkt durch
die vorhergehende Angst und Aufregung; jetzt trat Erleichterung ein, und hohe
Freude und Entzücken erfüllte das Gemüth. Das also war die schaurige,
nächtige Unterwelt, vor der man sich immer so graute; das die schreckliche
Persephoneia, wie Homer sie nennt, nun gezeigt als eine freundliche, liebreizende
Göttin; die Furcht verschwand, und Trost und Zuversicht kehrten in die Seele
ein. Solche Wirkung, die Hinwegnahme der Furcht vor dem Tode, konnte die
Weihe freilich nur bei den dazu prädisvonirten Gemüthern haben; der Glaube
war dazu Voraussetzung. Denn es konnte doch keinem Mysten entgehen, daß
Alles, was mit ihm und um ihn geschah, nur ein Schauspiel war, daß er
sich nicht in der Unterwelt befand, sondern im Tempelhof und Tempel von
Eleusis, daß er keine Götter vor sich sah, sondern Bilder und Priester, welche
letztere ihm aus dem bürgerlichen Leben ganz bekannte Leute waren. Er
mußte sich also der Illusion hingeben, was ihm ja in diesem Falle leicht genug


stellmig erweckte, als ginge es hinab in das Reich der Schatten. Von der
Pforte nun bis zum Tempel war ein weiter und kein grader Weg, und hier
kann uns eine Stelle des Platonischen Phaedon dienen, wo Sokrates in poeti¬
scherer Weise das Loos der Seelen in der andern Welt schildert, indem er,
wie er sagt, von den auf der Oberwelt statthabenden heiligen Branchen auf
das Jenseits seine Schlüsse zieht. Der Weg in den Hades, meint er, sei nicht
derartig wie Aeschylos einmal sage, daß ein einfacher Pfad in die Unterwelt
führe; ihm dagegen scheine weder ein einfacher noch einer zu sein, indem es
ja sonst nicht der Führer bedürfe; vielmehr müßten viele Spaltungen und
Krenz- und Querwege sein. Dieses Herumirren nun unter der Führung der
Priester dauerte in Eleusis gewiß lange Zeit, und war geeignet, das Gemüth
mit Angst und Schauer zu erfüllen. Und diese Gefühle scheinen nach andern
Stellen der Alten noch gesteigert zu sein, durch Vorführung von sonderlichen
Schreckbildern der Unterwelt; dann aber kam überraschend plötzlich der Ueber¬
gang und die eigentliche Weihe, indem man in das Innere des Tempels hin¬
eintrat. Ein außerordentlich Helles, tagartiges Licht strahlte dem Eintretenden
entgegen; er erblickte majestätische Götterbilder, Demeter, Persephone, Jacchos;
die Priester und Priesterinnen standen da in ihrem prachtvollen Ornat, der
auch bei den Männern in einem langen Gewände und einer hohen Kopfbe-
deckung bestand, und heilige Lieder ertönten. Es muß auch eine Art drama¬
tischer Aufführung stattgefunden haben, wo man die Geschichte der Demeter
und Kore darstellte, indem die einzelnen Götter und Göttinnen durch Priester
und Priesterinnen vertreten wurden, und wir können überzeugt fein, daß je
mehr das Fest an Ansehen stieg, der Staat selber wuchs, die Kunst sich ent¬
wickelte, desto reicher auch der Aufwand und desto vollkommener und schöner
die Ausführungen wurden. Der Eindruck aber wurde unendlich verstärkt durch
die vorhergehende Angst und Aufregung; jetzt trat Erleichterung ein, und hohe
Freude und Entzücken erfüllte das Gemüth. Das also war die schaurige,
nächtige Unterwelt, vor der man sich immer so graute; das die schreckliche
Persephoneia, wie Homer sie nennt, nun gezeigt als eine freundliche, liebreizende
Göttin; die Furcht verschwand, und Trost und Zuversicht kehrten in die Seele
ein. Solche Wirkung, die Hinwegnahme der Furcht vor dem Tode, konnte die
Weihe freilich nur bei den dazu prädisvonirten Gemüthern haben; der Glaube
war dazu Voraussetzung. Denn es konnte doch keinem Mysten entgehen, daß
Alles, was mit ihm und um ihn geschah, nur ein Schauspiel war, daß er
sich nicht in der Unterwelt befand, sondern im Tempelhof und Tempel von
Eleusis, daß er keine Götter vor sich sah, sondern Bilder und Priester, welche
letztere ihm aus dem bürgerlichen Leben ganz bekannte Leute waren. Er
mußte sich also der Illusion hingeben, was ihm ja in diesem Falle leicht genug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/380>, abgerufen am 25.08.2024.