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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Göttern gebracht werden, lauter Weihrauchopfer sein, von denen das ganze
Land mit lieblichem Dufte erfüllt ist. Dies erinnert wiederum an die orphischen
Lehren, welche das Schlachten und Verzehren von Thieren für unheilig er¬
klärten, und den Anhängern der Sekte bloß vegetabilische Kost vorschrieben.
Bei den Orphikern treten nun auch die Vorstellungen von einem andern Leben
im Jenseits sehr hervor, jedoch wiederum so, daß es kaum möglich scheint eine
bestimmte Dogmatik daraus zu gewinnen. Denn vielfach wird auch ihnen eine
Lehre von der Seelenwanderung zugeschrieben: die Seele gerathe, heißt es, in
Folge einer anßer dem Leibe begangenen Verschuldung in den Körper und in
den Kreislauf hinein, und der Körper sei ein Gefängniß, in dem sie aufbe¬
halten werde, oder auch, uach einem unübersetzbaren Wortspiele (<5es^,et-<5^ce),
das Grab der Seele; die Befreiung von dem Kreislaufe und die Erlangung
ewiger Seligkeit, ohne die Last des Körpers, geschehe durch die Mysterien des
Dionysos und der Persephone, welche diese Orphiker hatten. Eine ähnliche Lehre
findet sich bei dem priesterlichen Philosophen Empedokles: der Gott oder Dämon, der
sich mit Schuld beflecke, werde in die Elemente hinabgestoßen und müsse sie
alle durchwandern, indem ihn eins ins andere hinausdränge und keines be¬
halten wolle; so werde er der Reihe nach als Fisch, als Vogel, als wildes
Thier, als Mensch geboren, könne aber ans letzterem Zustande durch ein ent¬
sprechendes Leben und durch Reinigungen und Siihnungen allmählich, in
mehreren Generationen, wieder zu einem Gotte werden, wozu die Vorstufe
das Leben eines Sehers, Dichters, Arztes oder hervorragenden Staatsmannes
und' Fürsten sei. Empedokles erwartete jedenfalls für sich selbst nichts Gerin¬
geres, indem er alle vier bezeichneten Stände in sich vereinigte. Den Orphikern
aber werden daneben noch andere Lehren bezüglich der Seele beigelegt, ohne
daß man sähe, wie dieselben mit der zuerst dargestellten verknüpft gewesen.
Die Seele komme in den Körper durch das erste Athemholen, von den Winden
zugeführt; nämlich in jenen alten Zeiten, wo die orphischen Gedichte entstan¬
den, kannte man immer noch keine Scheidung von Materie und Geist, sondern
identifizirte Seele und Athem, oder auch Gedanken und Blut, und verlegte
daher merkwürdigerweise den Sitz des Geistes und des Denkens statt in den
Kopf in Herz und Lunge. Es wurde in dieser Vorstellung nicht mehr der
Geist in die Materie hinabgezogen, als die Materie vergeistigt: die eingeathmete
und überhaupt die umgebende Luft galt als beseelt und göttlich, als Weltseele.
Statt nun aber zu lehren, daß mit dem Tode der menschliche Geist auf dem¬
selben Wege in die Weltseele zurückflöße, stellten die Orphiker und verwandte
selten demselben vielmehr auf das bestimmteste ein anderes Leben in der Unter¬
welt in Aussicht, und zwar den Frommen und Geweihten ein ebenso seliges,
wie den Unfrommen und Ungerechten ein schreckliches. In Gedichten des


Göttern gebracht werden, lauter Weihrauchopfer sein, von denen das ganze
Land mit lieblichem Dufte erfüllt ist. Dies erinnert wiederum an die orphischen
Lehren, welche das Schlachten und Verzehren von Thieren für unheilig er¬
klärten, und den Anhängern der Sekte bloß vegetabilische Kost vorschrieben.
Bei den Orphikern treten nun auch die Vorstellungen von einem andern Leben
im Jenseits sehr hervor, jedoch wiederum so, daß es kaum möglich scheint eine
bestimmte Dogmatik daraus zu gewinnen. Denn vielfach wird auch ihnen eine
Lehre von der Seelenwanderung zugeschrieben: die Seele gerathe, heißt es, in
Folge einer anßer dem Leibe begangenen Verschuldung in den Körper und in
den Kreislauf hinein, und der Körper sei ein Gefängniß, in dem sie aufbe¬
halten werde, oder auch, uach einem unübersetzbaren Wortspiele (<5es^,et-<5^ce),
das Grab der Seele; die Befreiung von dem Kreislaufe und die Erlangung
ewiger Seligkeit, ohne die Last des Körpers, geschehe durch die Mysterien des
Dionysos und der Persephone, welche diese Orphiker hatten. Eine ähnliche Lehre
findet sich bei dem priesterlichen Philosophen Empedokles: der Gott oder Dämon, der
sich mit Schuld beflecke, werde in die Elemente hinabgestoßen und müsse sie
alle durchwandern, indem ihn eins ins andere hinausdränge und keines be¬
halten wolle; so werde er der Reihe nach als Fisch, als Vogel, als wildes
Thier, als Mensch geboren, könne aber ans letzterem Zustande durch ein ent¬
sprechendes Leben und durch Reinigungen und Siihnungen allmählich, in
mehreren Generationen, wieder zu einem Gotte werden, wozu die Vorstufe
das Leben eines Sehers, Dichters, Arztes oder hervorragenden Staatsmannes
und' Fürsten sei. Empedokles erwartete jedenfalls für sich selbst nichts Gerin¬
geres, indem er alle vier bezeichneten Stände in sich vereinigte. Den Orphikern
aber werden daneben noch andere Lehren bezüglich der Seele beigelegt, ohne
daß man sähe, wie dieselben mit der zuerst dargestellten verknüpft gewesen.
Die Seele komme in den Körper durch das erste Athemholen, von den Winden
zugeführt; nämlich in jenen alten Zeiten, wo die orphischen Gedichte entstan¬
den, kannte man immer noch keine Scheidung von Materie und Geist, sondern
identifizirte Seele und Athem, oder auch Gedanken und Blut, und verlegte
daher merkwürdigerweise den Sitz des Geistes und des Denkens statt in den
Kopf in Herz und Lunge. Es wurde in dieser Vorstellung nicht mehr der
Geist in die Materie hinabgezogen, als die Materie vergeistigt: die eingeathmete
und überhaupt die umgebende Luft galt als beseelt und göttlich, als Weltseele.
Statt nun aber zu lehren, daß mit dem Tode der menschliche Geist auf dem¬
selben Wege in die Weltseele zurückflöße, stellten die Orphiker und verwandte
selten demselben vielmehr auf das bestimmteste ein anderes Leben in der Unter¬
welt in Aussicht, und zwar den Frommen und Geweihten ein ebenso seliges,
wie den Unfrommen und Ungerechten ein schreckliches. In Gedichten des


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[0377] Göttern gebracht werden, lauter Weihrauchopfer sein, von denen das ganze Land mit lieblichem Dufte erfüllt ist. Dies erinnert wiederum an die orphischen Lehren, welche das Schlachten und Verzehren von Thieren für unheilig er¬ klärten, und den Anhängern der Sekte bloß vegetabilische Kost vorschrieben. Bei den Orphikern treten nun auch die Vorstellungen von einem andern Leben im Jenseits sehr hervor, jedoch wiederum so, daß es kaum möglich scheint eine bestimmte Dogmatik daraus zu gewinnen. Denn vielfach wird auch ihnen eine Lehre von der Seelenwanderung zugeschrieben: die Seele gerathe, heißt es, in Folge einer anßer dem Leibe begangenen Verschuldung in den Körper und in den Kreislauf hinein, und der Körper sei ein Gefängniß, in dem sie aufbe¬ halten werde, oder auch, uach einem unübersetzbaren Wortspiele (<5es^,et-<5^ce), das Grab der Seele; die Befreiung von dem Kreislaufe und die Erlangung ewiger Seligkeit, ohne die Last des Körpers, geschehe durch die Mysterien des Dionysos und der Persephone, welche diese Orphiker hatten. Eine ähnliche Lehre findet sich bei dem priesterlichen Philosophen Empedokles: der Gott oder Dämon, der sich mit Schuld beflecke, werde in die Elemente hinabgestoßen und müsse sie alle durchwandern, indem ihn eins ins andere hinausdränge und keines be¬ halten wolle; so werde er der Reihe nach als Fisch, als Vogel, als wildes Thier, als Mensch geboren, könne aber ans letzterem Zustande durch ein ent¬ sprechendes Leben und durch Reinigungen und Siihnungen allmählich, in mehreren Generationen, wieder zu einem Gotte werden, wozu die Vorstufe das Leben eines Sehers, Dichters, Arztes oder hervorragenden Staatsmannes und' Fürsten sei. Empedokles erwartete jedenfalls für sich selbst nichts Gerin¬ geres, indem er alle vier bezeichneten Stände in sich vereinigte. Den Orphikern aber werden daneben noch andere Lehren bezüglich der Seele beigelegt, ohne daß man sähe, wie dieselben mit der zuerst dargestellten verknüpft gewesen. Die Seele komme in den Körper durch das erste Athemholen, von den Winden zugeführt; nämlich in jenen alten Zeiten, wo die orphischen Gedichte entstan¬ den, kannte man immer noch keine Scheidung von Materie und Geist, sondern identifizirte Seele und Athem, oder auch Gedanken und Blut, und verlegte daher merkwürdigerweise den Sitz des Geistes und des Denkens statt in den Kopf in Herz und Lunge. Es wurde in dieser Vorstellung nicht mehr der Geist in die Materie hinabgezogen, als die Materie vergeistigt: die eingeathmete und überhaupt die umgebende Luft galt als beseelt und göttlich, als Weltseele. Statt nun aber zu lehren, daß mit dem Tode der menschliche Geist auf dem¬ selben Wege in die Weltseele zurückflöße, stellten die Orphiker und verwandte selten demselben vielmehr auf das bestimmteste ein anderes Leben in der Unter¬ welt in Aussicht, und zwar den Frommen und Geweihten ein ebenso seliges, wie den Unfrommen und Ungerechten ein schreckliches. In Gedichten des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/377>, abgerufen am 25.08.2024.