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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Und Pindar:


Selig, wer dieses geschaut hat, wenn er steiget
In die hohle Erd'; er kennt des Lebens Ende,
Und kennt much den göttlichen Ursprung.

Wenn es in dieser letzten Stelle heißt: den göttlichen, oder genauer den von
Zeus verliehenen Anfang des Lebens, so ist damit wohl auf die diesem Leben
voransliegende Existenz der Seele hingedeutet, eine Meinung, die das ganze
griechische Alterthum durchzieht, und namentlich eben von Pindar an andern
Stellen und sodann von Platon klar hingestellt wird. Ohne Zweifel hat hier
Aegypten vielfach und stark ans den griechischen Glauben eingewirkt; aber
während dort die Lehre von der Seelenwanderung eine fest bestimmte Gestalt
gewann, so ist bei den Griechen nicht nur zwischen den verschiedenen Vertretern
eines solchen Glaubens, sondern auch zwischen den verschiedenen Stellen, wo
ein Pindar oder Platon darauf zu reden kommt, beträchtliche Abweichung.
Platon konnte hierüber ja keine philosophischen Dogmen haben, und ein reli¬
giöses Dogma gab es in Griechenland nicht. Wo der genannte Dichter seine
Lehre am systematischsten formt, stellt er eine beständige Wanderung und Rück¬
wanderung der Seelen und eine zwiefache, hauptsächlich nnr örtlich verschiedene
Existenzweise derselben auf: bald leben sie in dieser Welt unter der Herrschaft
des Zeus, und empfangen nach dem Tode ihren Lohn für das Gute oder Böse
was sie gethan, und sodann im Reiche des Pluton, wo diese Vergeltung statt¬
findet, leben sie wiederum würdig der Belohnung oder der Bestrafung, und
diesen Lohn empfangen sie in der nächstfolgenden diesseitigen Existenz. Wer
aber dreimal hier und dreimal dort völlig gerecht und fromm gelebt, scheidet
aus dem Kreislaufe aus und genießt auf den Inseln der Seligen, fern im
Ocean, unter dem Szepter des Kronos die höchste Seligkeit. Dort fächeln
ewig milde Lüfte; goldglänzende Blumen ersprießen auf den herrlichen Bäumen
des Landes und andere im Wasser, und mit daraus geflochtenen Kränzen um¬
windet man sich Arm und Haupt. Aber auch schon in der seligen Unterwelt
ist ein thränenloses Dasein in der Gemeinschaft mit großen Göttern; nie geht
dort die Sonne unter; man braucht nicht mühsam das Land zu beackern, noch
das Meer zu befahren um kärglichen Unterhaltes willen. An einer anderen
Stelle läßt der Dichter den Seligen die Sonne dann scheinen, wenn sie uns
verlassen hat; vor der Stadt sind Auen mit purpurnen Rosen und schattigen
Weihranchbänmen und goldenen Früchten. Das Leben der Seligen wird hier
dem irdischen der Frommen und Beglückten ähnlich geschildert: einige ergötzen
sich an Kampfspielen und Rossen, andere an Brettspiel, wieder andere an
Zithern; von Gastmählern jedoch und Trinkgelagen zu reden verwehrt dem
Dichter überall ein feineres Gefühl, und er läßt sogar die Opfer, die dort den


Und Pindar:


Selig, wer dieses geschaut hat, wenn er steiget
In die hohle Erd'; er kennt des Lebens Ende,
Und kennt much den göttlichen Ursprung.

Wenn es in dieser letzten Stelle heißt: den göttlichen, oder genauer den von
Zeus verliehenen Anfang des Lebens, so ist damit wohl auf die diesem Leben
voransliegende Existenz der Seele hingedeutet, eine Meinung, die das ganze
griechische Alterthum durchzieht, und namentlich eben von Pindar an andern
Stellen und sodann von Platon klar hingestellt wird. Ohne Zweifel hat hier
Aegypten vielfach und stark ans den griechischen Glauben eingewirkt; aber
während dort die Lehre von der Seelenwanderung eine fest bestimmte Gestalt
gewann, so ist bei den Griechen nicht nur zwischen den verschiedenen Vertretern
eines solchen Glaubens, sondern auch zwischen den verschiedenen Stellen, wo
ein Pindar oder Platon darauf zu reden kommt, beträchtliche Abweichung.
Platon konnte hierüber ja keine philosophischen Dogmen haben, und ein reli¬
giöses Dogma gab es in Griechenland nicht. Wo der genannte Dichter seine
Lehre am systematischsten formt, stellt er eine beständige Wanderung und Rück¬
wanderung der Seelen und eine zwiefache, hauptsächlich nnr örtlich verschiedene
Existenzweise derselben auf: bald leben sie in dieser Welt unter der Herrschaft
des Zeus, und empfangen nach dem Tode ihren Lohn für das Gute oder Böse
was sie gethan, und sodann im Reiche des Pluton, wo diese Vergeltung statt¬
findet, leben sie wiederum würdig der Belohnung oder der Bestrafung, und
diesen Lohn empfangen sie in der nächstfolgenden diesseitigen Existenz. Wer
aber dreimal hier und dreimal dort völlig gerecht und fromm gelebt, scheidet
aus dem Kreislaufe aus und genießt auf den Inseln der Seligen, fern im
Ocean, unter dem Szepter des Kronos die höchste Seligkeit. Dort fächeln
ewig milde Lüfte; goldglänzende Blumen ersprießen auf den herrlichen Bäumen
des Landes und andere im Wasser, und mit daraus geflochtenen Kränzen um¬
windet man sich Arm und Haupt. Aber auch schon in der seligen Unterwelt
ist ein thränenloses Dasein in der Gemeinschaft mit großen Göttern; nie geht
dort die Sonne unter; man braucht nicht mühsam das Land zu beackern, noch
das Meer zu befahren um kärglichen Unterhaltes willen. An einer anderen
Stelle läßt der Dichter den Seligen die Sonne dann scheinen, wenn sie uns
verlassen hat; vor der Stadt sind Auen mit purpurnen Rosen und schattigen
Weihranchbänmen und goldenen Früchten. Das Leben der Seligen wird hier
dem irdischen der Frommen und Beglückten ähnlich geschildert: einige ergötzen
sich an Kampfspielen und Rossen, andere an Brettspiel, wieder andere an
Zithern; von Gastmählern jedoch und Trinkgelagen zu reden verwehrt dem
Dichter überall ein feineres Gefühl, und er läßt sogar die Opfer, die dort den


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[0376] Und Pindar: Selig, wer dieses geschaut hat, wenn er steiget In die hohle Erd'; er kennt des Lebens Ende, Und kennt much den göttlichen Ursprung. Wenn es in dieser letzten Stelle heißt: den göttlichen, oder genauer den von Zeus verliehenen Anfang des Lebens, so ist damit wohl auf die diesem Leben voransliegende Existenz der Seele hingedeutet, eine Meinung, die das ganze griechische Alterthum durchzieht, und namentlich eben von Pindar an andern Stellen und sodann von Platon klar hingestellt wird. Ohne Zweifel hat hier Aegypten vielfach und stark ans den griechischen Glauben eingewirkt; aber während dort die Lehre von der Seelenwanderung eine fest bestimmte Gestalt gewann, so ist bei den Griechen nicht nur zwischen den verschiedenen Vertretern eines solchen Glaubens, sondern auch zwischen den verschiedenen Stellen, wo ein Pindar oder Platon darauf zu reden kommt, beträchtliche Abweichung. Platon konnte hierüber ja keine philosophischen Dogmen haben, und ein reli¬ giöses Dogma gab es in Griechenland nicht. Wo der genannte Dichter seine Lehre am systematischsten formt, stellt er eine beständige Wanderung und Rück¬ wanderung der Seelen und eine zwiefache, hauptsächlich nnr örtlich verschiedene Existenzweise derselben auf: bald leben sie in dieser Welt unter der Herrschaft des Zeus, und empfangen nach dem Tode ihren Lohn für das Gute oder Böse was sie gethan, und sodann im Reiche des Pluton, wo diese Vergeltung statt¬ findet, leben sie wiederum würdig der Belohnung oder der Bestrafung, und diesen Lohn empfangen sie in der nächstfolgenden diesseitigen Existenz. Wer aber dreimal hier und dreimal dort völlig gerecht und fromm gelebt, scheidet aus dem Kreislaufe aus und genießt auf den Inseln der Seligen, fern im Ocean, unter dem Szepter des Kronos die höchste Seligkeit. Dort fächeln ewig milde Lüfte; goldglänzende Blumen ersprießen auf den herrlichen Bäumen des Landes und andere im Wasser, und mit daraus geflochtenen Kränzen um¬ windet man sich Arm und Haupt. Aber auch schon in der seligen Unterwelt ist ein thränenloses Dasein in der Gemeinschaft mit großen Göttern; nie geht dort die Sonne unter; man braucht nicht mühsam das Land zu beackern, noch das Meer zu befahren um kärglichen Unterhaltes willen. An einer anderen Stelle läßt der Dichter den Seligen die Sonne dann scheinen, wenn sie uns verlassen hat; vor der Stadt sind Auen mit purpurnen Rosen und schattigen Weihranchbänmen und goldenen Früchten. Das Leben der Seligen wird hier dem irdischen der Frommen und Beglückten ähnlich geschildert: einige ergötzen sich an Kampfspielen und Rossen, andere an Brettspiel, wieder andere an Zithern; von Gastmählern jedoch und Trinkgelagen zu reden verwehrt dem Dichter überall ein feineres Gefühl, und er läßt sogar die Opfer, die dort den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/376>, abgerufen am 25.08.2024.