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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Mit der Fackel du leuchtend,
du voran, Seliger, führe
zu der buntblumigen Ane
die zum Tanz geschürzte Jugend.

In diesem Gedichte ist freilich, wie es sein muß, lauter Heiterkeit, wäh¬
rend die irdische Nachtfeier doch gerade die Klage und Trauer der Demeter
darstellte, also vielfach auch mit Jammergeschrei und Wehklagen und mit An¬
schlagen an ein ehernes Becken, womit man die Schmerzensrufe der Mutter
wiedergab, begangen wurde. Aber der uoch übrige Theil der Feier, die eigentliche
Einweihung, stellte nun das Wiederfinden der geraubten Tochter vor, und
hieran knüpfen sich nun jene erhabenen Ahnungen, um derentwillen diese My¬
sterien so ehrwürdig erscheinen. Vorab bemerke ich, daß nicht nur die Ein¬
weihung in die kleinen Mysterien Vorbedingung für die Zulassung zu den
großen war, sondern auch bei diesen selbst ein zwiefacher Grad der Weihe
bestand; die Mysten oder Eingeweihten, welche den höheren erlangt und das
Letzte und Höchste geschaut, hießen Epopien d. i. schauende. Zwischen der
niederen Weihe und der Epoptie mußte mindestens ein Jahr vergehen, so daß
die gesammte Weihe, die kleinen Mysterien eingerechnet, l'/z Jahr in Anspruch
nahm. Als gegen Ausgang des 4. Jahrhunderts vor Chr. der König Demetrios
der Städteeroberer im Monat Boödromion Athen besuchen wollte und in einem
Schreiben an Rath und Volk verlangte, daß man ihm die gesammte Weihe
^uf einmal verliehe, widersprach zwar dem der Daduch Pythodoros, aber das
stärkete Volk, welches um dieses Demetrios willen alles Heilige besudelte und
entweihte, beschloß, den Bosdromion diesmal so lange Anthesterion zu nennen,
bis man die kleinen Mysterien vorgenommen, und alsdann den König auch in
großen auf einmal einzuweihen.

Was aber uun die Mysten und Epopeen eigentlich geschaut, darüber liegt
natürlich am allermeisten dichtes Dunkel. Man erhielt, sagt an der angeführten
Stelle Jsokrates, für das Eude des Lebens und für die gesammte Zeit und
Ewigkeit süßere Hoffnungen, und damit stimmen die Dichter, welche den Mysten
^n seliges Leben in der Unterwelt verheißen. So schon der homerische Hymnus
auf Demeter:


Selig, wer dieses "geschaut von den erdgeborenen Menschen!
Wer aber "ntheilhaftig der Weihn, wer ihrer entbehret,
Nicht hat er gleiches Geschick als Todter im nebligen Dunkel.

Und darnach Sophokles in einem verlorenen Stücke:


O dreimal beglückt
Die Menschen, die nachdem sie diese Weih'n geschaut
Zum Hades wandeln; denn für sie allein ist dort
Ein Leben, für die Andern alles Ungemach.

Mit der Fackel du leuchtend,
du voran, Seliger, führe
zu der buntblumigen Ane
die zum Tanz geschürzte Jugend.

In diesem Gedichte ist freilich, wie es sein muß, lauter Heiterkeit, wäh¬
rend die irdische Nachtfeier doch gerade die Klage und Trauer der Demeter
darstellte, also vielfach auch mit Jammergeschrei und Wehklagen und mit An¬
schlagen an ein ehernes Becken, womit man die Schmerzensrufe der Mutter
wiedergab, begangen wurde. Aber der uoch übrige Theil der Feier, die eigentliche
Einweihung, stellte nun das Wiederfinden der geraubten Tochter vor, und
hieran knüpfen sich nun jene erhabenen Ahnungen, um derentwillen diese My¬
sterien so ehrwürdig erscheinen. Vorab bemerke ich, daß nicht nur die Ein¬
weihung in die kleinen Mysterien Vorbedingung für die Zulassung zu den
großen war, sondern auch bei diesen selbst ein zwiefacher Grad der Weihe
bestand; die Mysten oder Eingeweihten, welche den höheren erlangt und das
Letzte und Höchste geschaut, hießen Epopien d. i. schauende. Zwischen der
niederen Weihe und der Epoptie mußte mindestens ein Jahr vergehen, so daß
die gesammte Weihe, die kleinen Mysterien eingerechnet, l'/z Jahr in Anspruch
nahm. Als gegen Ausgang des 4. Jahrhunderts vor Chr. der König Demetrios
der Städteeroberer im Monat Boödromion Athen besuchen wollte und in einem
Schreiben an Rath und Volk verlangte, daß man ihm die gesammte Weihe
^uf einmal verliehe, widersprach zwar dem der Daduch Pythodoros, aber das
stärkete Volk, welches um dieses Demetrios willen alles Heilige besudelte und
entweihte, beschloß, den Bosdromion diesmal so lange Anthesterion zu nennen,
bis man die kleinen Mysterien vorgenommen, und alsdann den König auch in
großen auf einmal einzuweihen.

Was aber uun die Mysten und Epopeen eigentlich geschaut, darüber liegt
natürlich am allermeisten dichtes Dunkel. Man erhielt, sagt an der angeführten
Stelle Jsokrates, für das Eude des Lebens und für die gesammte Zeit und
Ewigkeit süßere Hoffnungen, und damit stimmen die Dichter, welche den Mysten
^n seliges Leben in der Unterwelt verheißen. So schon der homerische Hymnus
auf Demeter:


Selig, wer dieses "geschaut von den erdgeborenen Menschen!
Wer aber »ntheilhaftig der Weihn, wer ihrer entbehret,
Nicht hat er gleiches Geschick als Todter im nebligen Dunkel.

Und darnach Sophokles in einem verlorenen Stücke:


O dreimal beglückt
Die Menschen, die nachdem sie diese Weih'n geschaut
Zum Hades wandeln; denn für sie allein ist dort
Ein Leben, für die Andern alles Ungemach.

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[0375] Mit der Fackel du leuchtend, du voran, Seliger, führe zu der buntblumigen Ane die zum Tanz geschürzte Jugend. In diesem Gedichte ist freilich, wie es sein muß, lauter Heiterkeit, wäh¬ rend die irdische Nachtfeier doch gerade die Klage und Trauer der Demeter darstellte, also vielfach auch mit Jammergeschrei und Wehklagen und mit An¬ schlagen an ein ehernes Becken, womit man die Schmerzensrufe der Mutter wiedergab, begangen wurde. Aber der uoch übrige Theil der Feier, die eigentliche Einweihung, stellte nun das Wiederfinden der geraubten Tochter vor, und hieran knüpfen sich nun jene erhabenen Ahnungen, um derentwillen diese My¬ sterien so ehrwürdig erscheinen. Vorab bemerke ich, daß nicht nur die Ein¬ weihung in die kleinen Mysterien Vorbedingung für die Zulassung zu den großen war, sondern auch bei diesen selbst ein zwiefacher Grad der Weihe bestand; die Mysten oder Eingeweihten, welche den höheren erlangt und das Letzte und Höchste geschaut, hießen Epopien d. i. schauende. Zwischen der niederen Weihe und der Epoptie mußte mindestens ein Jahr vergehen, so daß die gesammte Weihe, die kleinen Mysterien eingerechnet, l'/z Jahr in Anspruch nahm. Als gegen Ausgang des 4. Jahrhunderts vor Chr. der König Demetrios der Städteeroberer im Monat Boödromion Athen besuchen wollte und in einem Schreiben an Rath und Volk verlangte, daß man ihm die gesammte Weihe ^uf einmal verliehe, widersprach zwar dem der Daduch Pythodoros, aber das stärkete Volk, welches um dieses Demetrios willen alles Heilige besudelte und entweihte, beschloß, den Bosdromion diesmal so lange Anthesterion zu nennen, bis man die kleinen Mysterien vorgenommen, und alsdann den König auch in großen auf einmal einzuweihen. Was aber uun die Mysten und Epopeen eigentlich geschaut, darüber liegt natürlich am allermeisten dichtes Dunkel. Man erhielt, sagt an der angeführten Stelle Jsokrates, für das Eude des Lebens und für die gesammte Zeit und Ewigkeit süßere Hoffnungen, und damit stimmen die Dichter, welche den Mysten ^n seliges Leben in der Unterwelt verheißen. So schon der homerische Hymnus auf Demeter: Selig, wer dieses "geschaut von den erdgeborenen Menschen! Wer aber »ntheilhaftig der Weihn, wer ihrer entbehret, Nicht hat er gleiches Geschick als Todter im nebligen Dunkel. Und darnach Sophokles in einem verlorenen Stücke: O dreimal beglückt Die Menschen, die nachdem sie diese Weih'n geschaut Zum Hades wandeln; denn für sie allein ist dort Ein Leben, für die Andern alles Ungemach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/375>, abgerufen am 25.08.2024.