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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Priester und der von ihnen gesammelten Gemeinden waren. In jenen ersteren
konnte nichts eingerichtet sein, was mit Gesetz und Sitte in offenbarem Wider¬
streit war; und außerdem waren diese Heilsanstalten nicht für Verbrecher, die
ja der Staat vielmehr auszurotten bestrebt war, sondern sie schlössen im Gegen-
theil die Verbrecher aus. Die heidnischen Bestreiter des Christenthumes heben
gerade dies als einen Gegensatz zwischen ihren nationalen Mysterien und denen
der neuen Religion hervor, zur Verunglimpfung, wie sie meinen, der letzteren:
dort nämlich laute die einladende Proklamation: wessen Hände ren: sind von
Blutschuld, oder: wer recht und gerecht gelebt hat; bei den Christen dagegen:
wer nicht reine Hände hat, wer ein Verbrecher, der komme und nehme Theil.
Indeß waren darum die groben Sünder auch im Alterthum nicht ohne religiösen
Trost, solchen freilich, der geeignet war sie nur schlimmer zu machen. Platon
spricht an verschiedenen Stellen von den herumziehenden, besonders die Thüren
der Reichen aufsuchenden Bettelpriester und Wahrsager, welche unter Ausweisung
einer Masse vou Büchern, welche die Namen eines Orpheus und Mnsaios
trugen, magische Formeln und Opfergebräuche zu besitzen vorgaben, womit sie
unter lauter Heiterkeit und Festlust die Sünden zu tilgen, die Strafen derselben
im Diesseits wie im Jenseits aufzuheben vermöchten, und zwar die letzteren
vermittelst gewisser Weihen oder Mysterien, deren Verachtung andrerseits ein
schreckliches Schicksal in der anderen Welt zur Folge Hütte. Der genannte
Philosoph zeigt sich in seinen idealen Gesetzen gegenüber diesen religiösen Be¬
trügern, die er für versteckte Atheisten erklärt, noch strenger als gegen die offen¬
baren Gottesleugner: während er nämlich die letztern auf 5 Jahre in's
Korrektionshaus schickt, beim Rückfall freilich mit der Todesstrafe belegt, so
t'erurtheilt er diese Art von Priestern sofort als unverbesserlich zu lebensläng¬
licher, völlig einsamer Kerkerhaft. Und auch die wirklich bestehenden Staaten, wie
Athen selbst, fällten gegen Winkelpriester und Priesterinnen manches Todesurtheil,
oder aber es fielen dieselben dem öffentlichen Spotte anheim, wie Demosthenes
seinem Gegner Aeschines vorrückt, wie er als Knabe seiner Mutter bei den von
ihr geleiteten Mysterien zu großer Bewunderung der alten Weiber assistirt und
unter anderem das Geschäft gehabt habe, die Einzuweihenden behufs ihrer
religiösen Reinigung mit Lehm und Kleie abzureiben.

Zwischen diesem Unfug und den hochheiligen Eleusinien ist nun allerdings
gewaltiger Unterschied; jedoch dieselbe Idee, die der Reinigung und Erlösung,
liegt schließlich beiden: zu Grunde. Bezeichnend ist schon das, daß wer sich in
Eleusis einweihen ließ, das Opfer eines Ferkels zu bringen hatte: während
nämlich das Schwein sonst wenig zum Opfer benutzt wurde, so geschah dies
doch allgemein bei Reinigungen und Sühnungen, zum Beispiel der Reinigung
von begangener Blutschuld. Es wurden nun in Eleusis, einem vor Alters


Priester und der von ihnen gesammelten Gemeinden waren. In jenen ersteren
konnte nichts eingerichtet sein, was mit Gesetz und Sitte in offenbarem Wider¬
streit war; und außerdem waren diese Heilsanstalten nicht für Verbrecher, die
ja der Staat vielmehr auszurotten bestrebt war, sondern sie schlössen im Gegen-
theil die Verbrecher aus. Die heidnischen Bestreiter des Christenthumes heben
gerade dies als einen Gegensatz zwischen ihren nationalen Mysterien und denen
der neuen Religion hervor, zur Verunglimpfung, wie sie meinen, der letzteren:
dort nämlich laute die einladende Proklamation: wessen Hände ren: sind von
Blutschuld, oder: wer recht und gerecht gelebt hat; bei den Christen dagegen:
wer nicht reine Hände hat, wer ein Verbrecher, der komme und nehme Theil.
Indeß waren darum die groben Sünder auch im Alterthum nicht ohne religiösen
Trost, solchen freilich, der geeignet war sie nur schlimmer zu machen. Platon
spricht an verschiedenen Stellen von den herumziehenden, besonders die Thüren
der Reichen aufsuchenden Bettelpriester und Wahrsager, welche unter Ausweisung
einer Masse vou Büchern, welche die Namen eines Orpheus und Mnsaios
trugen, magische Formeln und Opfergebräuche zu besitzen vorgaben, womit sie
unter lauter Heiterkeit und Festlust die Sünden zu tilgen, die Strafen derselben
im Diesseits wie im Jenseits aufzuheben vermöchten, und zwar die letzteren
vermittelst gewisser Weihen oder Mysterien, deren Verachtung andrerseits ein
schreckliches Schicksal in der anderen Welt zur Folge Hütte. Der genannte
Philosoph zeigt sich in seinen idealen Gesetzen gegenüber diesen religiösen Be¬
trügern, die er für versteckte Atheisten erklärt, noch strenger als gegen die offen¬
baren Gottesleugner: während er nämlich die letztern auf 5 Jahre in's
Korrektionshaus schickt, beim Rückfall freilich mit der Todesstrafe belegt, so
t'erurtheilt er diese Art von Priestern sofort als unverbesserlich zu lebensläng¬
licher, völlig einsamer Kerkerhaft. Und auch die wirklich bestehenden Staaten, wie
Athen selbst, fällten gegen Winkelpriester und Priesterinnen manches Todesurtheil,
oder aber es fielen dieselben dem öffentlichen Spotte anheim, wie Demosthenes
seinem Gegner Aeschines vorrückt, wie er als Knabe seiner Mutter bei den von
ihr geleiteten Mysterien zu großer Bewunderung der alten Weiber assistirt und
unter anderem das Geschäft gehabt habe, die Einzuweihenden behufs ihrer
religiösen Reinigung mit Lehm und Kleie abzureiben.

Zwischen diesem Unfug und den hochheiligen Eleusinien ist nun allerdings
gewaltiger Unterschied; jedoch dieselbe Idee, die der Reinigung und Erlösung,
liegt schließlich beiden: zu Grunde. Bezeichnend ist schon das, daß wer sich in
Eleusis einweihen ließ, das Opfer eines Ferkels zu bringen hatte: während
nämlich das Schwein sonst wenig zum Opfer benutzt wurde, so geschah dies
doch allgemein bei Reinigungen und Sühnungen, zum Beispiel der Reinigung
von begangener Blutschuld. Es wurden nun in Eleusis, einem vor Alters


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[0367] Priester und der von ihnen gesammelten Gemeinden waren. In jenen ersteren konnte nichts eingerichtet sein, was mit Gesetz und Sitte in offenbarem Wider¬ streit war; und außerdem waren diese Heilsanstalten nicht für Verbrecher, die ja der Staat vielmehr auszurotten bestrebt war, sondern sie schlössen im Gegen- theil die Verbrecher aus. Die heidnischen Bestreiter des Christenthumes heben gerade dies als einen Gegensatz zwischen ihren nationalen Mysterien und denen der neuen Religion hervor, zur Verunglimpfung, wie sie meinen, der letzteren: dort nämlich laute die einladende Proklamation: wessen Hände ren: sind von Blutschuld, oder: wer recht und gerecht gelebt hat; bei den Christen dagegen: wer nicht reine Hände hat, wer ein Verbrecher, der komme und nehme Theil. Indeß waren darum die groben Sünder auch im Alterthum nicht ohne religiösen Trost, solchen freilich, der geeignet war sie nur schlimmer zu machen. Platon spricht an verschiedenen Stellen von den herumziehenden, besonders die Thüren der Reichen aufsuchenden Bettelpriester und Wahrsager, welche unter Ausweisung einer Masse vou Büchern, welche die Namen eines Orpheus und Mnsaios trugen, magische Formeln und Opfergebräuche zu besitzen vorgaben, womit sie unter lauter Heiterkeit und Festlust die Sünden zu tilgen, die Strafen derselben im Diesseits wie im Jenseits aufzuheben vermöchten, und zwar die letzteren vermittelst gewisser Weihen oder Mysterien, deren Verachtung andrerseits ein schreckliches Schicksal in der anderen Welt zur Folge Hütte. Der genannte Philosoph zeigt sich in seinen idealen Gesetzen gegenüber diesen religiösen Be¬ trügern, die er für versteckte Atheisten erklärt, noch strenger als gegen die offen¬ baren Gottesleugner: während er nämlich die letztern auf 5 Jahre in's Korrektionshaus schickt, beim Rückfall freilich mit der Todesstrafe belegt, so t'erurtheilt er diese Art von Priestern sofort als unverbesserlich zu lebensläng¬ licher, völlig einsamer Kerkerhaft. Und auch die wirklich bestehenden Staaten, wie Athen selbst, fällten gegen Winkelpriester und Priesterinnen manches Todesurtheil, oder aber es fielen dieselben dem öffentlichen Spotte anheim, wie Demosthenes seinem Gegner Aeschines vorrückt, wie er als Knabe seiner Mutter bei den von ihr geleiteten Mysterien zu großer Bewunderung der alten Weiber assistirt und unter anderem das Geschäft gehabt habe, die Einzuweihenden behufs ihrer religiösen Reinigung mit Lehm und Kleie abzureiben. Zwischen diesem Unfug und den hochheiligen Eleusinien ist nun allerdings gewaltiger Unterschied; jedoch dieselbe Idee, die der Reinigung und Erlösung, liegt schließlich beiden: zu Grunde. Bezeichnend ist schon das, daß wer sich in Eleusis einweihen ließ, das Opfer eines Ferkels zu bringen hatte: während nämlich das Schwein sonst wenig zum Opfer benutzt wurde, so geschah dies doch allgemein bei Reinigungen und Sühnungen, zum Beispiel der Reinigung von begangener Blutschuld. Es wurden nun in Eleusis, einem vor Alters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/367>, abgerufen am 22.07.2024.