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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Huß hatte verbrennen lassen. Sigismund beschloß nun, die Hussiten mit Gewalt
zu unterwerfen. Er sammelte im Jahre 1420 in Breslau ein Heer von Deutschen
und Ungarn und rückte mit diesem Heere in Böhmen ein. Um nun die späteren
Ereignisse richtig beurtheilen zu können, müssen wir einen kurzen Blick auf die
Entstehung der Hnssitischen Bewegung werfen. Bei dieser Bewegung spielte
neben dem religiösen Momente, das unstreitig das Hauptmotiv der ganzen
Bewegung war, auch ein anderes Moment mit; in Böhmen war nämlich
allmählig der größere Theil des Grundbesitzes und des ganzen Reichthums des
Landes in die Hände der Geistlichkeit übergangen; diese hatte sich durch Luxus
und Uebermuth, namentlich auch durch Bedrückung ihrer zahlreichen Leibeigne",
ferner auch dadurch, daß sie sich der weltlichen Gerichtsbarkeit und der Abgaben-
Pflicht entzog, in hohem Grade verhaßt gemacht. Dies hatte schon zu dem
großen Erfolge beigetragen, den die reformatorischen Tendenzen des Huß
gehabt hatten.

Bald nach dem Tode des Huß bildeten sich nun in Böhmen drei Parteien.
Die erste Partei, zu der die hohe Geistlichkeit, der hohe Adel und ein großer
Theil der Städte gehörte, hielt am alten Glauben fest und wies jede Neuerung
zurück. Die zweite Partei, welche den Namen der Utraquisten annahm, bestand
ans den Bürgern der Stadt Prag und dem größten Theile des niederen Adels,
auch einem Theile des niederen Klerus; diese Partei wich von der Katholischen
Kirche nur darin ab, daß sie beim Abendmahle neben dem Brode auch den
Kelch den Laien gab; übrigens waren die Utraquisten gegen die Katholiken
duldsam; in einem Theile der Kirchen Prags blieb während des ganzen Hussiten^
kriegs der Katholische Kultus unter dem Schutze der Behörden in Uebung.
Die dritte Partei war die der Taboriten. Diese Partei bestand überwiegend
aus Leibeigenen, namentlich Leibeigenen von den Gütern der Geistlichkeit, und
den Proletariern der Städte; Führer dieser Partei waren namentlich Mönche,
welche die Klöster verlassen hatten, und einige wenige Männer von ritterlicher
Herkunft.

Die Taboriten verfuhren von Anfang an mit mehr Gewaltsamkeit, als
die Utraquisten. Es war ihre Gewohnheit, sobald sie sich irgendwo in genügender
Anzahl versammelt hatten, vor das nächste Kloster zu ziehn und Ertheilmig
des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu verlangen. Wenn die Mönche dann
diesem Verlangen nicht stattgaben, so plünderten und verbrannten sie das Kloster.
Soweit die Taboriten Leibeigene auf den Besitzungen der Klöster oder Geist¬
lichen waren, betrachteten sie sich nach Annahme der neuen Lehre ohne Weiteres
als freie Männer und Besitzer der von ihnen bisher bearbeiteten Aecker.

Es war natürlich, daß die an der alten Lehre festhaltende Partei von
Aufang an die Taboriten verfolgte. Schon vor dem Tode des Kaisers Wenzel


Huß hatte verbrennen lassen. Sigismund beschloß nun, die Hussiten mit Gewalt
zu unterwerfen. Er sammelte im Jahre 1420 in Breslau ein Heer von Deutschen
und Ungarn und rückte mit diesem Heere in Böhmen ein. Um nun die späteren
Ereignisse richtig beurtheilen zu können, müssen wir einen kurzen Blick auf die
Entstehung der Hnssitischen Bewegung werfen. Bei dieser Bewegung spielte
neben dem religiösen Momente, das unstreitig das Hauptmotiv der ganzen
Bewegung war, auch ein anderes Moment mit; in Böhmen war nämlich
allmählig der größere Theil des Grundbesitzes und des ganzen Reichthums des
Landes in die Hände der Geistlichkeit übergangen; diese hatte sich durch Luxus
und Uebermuth, namentlich auch durch Bedrückung ihrer zahlreichen Leibeigne»,
ferner auch dadurch, daß sie sich der weltlichen Gerichtsbarkeit und der Abgaben-
Pflicht entzog, in hohem Grade verhaßt gemacht. Dies hatte schon zu dem
großen Erfolge beigetragen, den die reformatorischen Tendenzen des Huß
gehabt hatten.

Bald nach dem Tode des Huß bildeten sich nun in Böhmen drei Parteien.
Die erste Partei, zu der die hohe Geistlichkeit, der hohe Adel und ein großer
Theil der Städte gehörte, hielt am alten Glauben fest und wies jede Neuerung
zurück. Die zweite Partei, welche den Namen der Utraquisten annahm, bestand
ans den Bürgern der Stadt Prag und dem größten Theile des niederen Adels,
auch einem Theile des niederen Klerus; diese Partei wich von der Katholischen
Kirche nur darin ab, daß sie beim Abendmahle neben dem Brode auch den
Kelch den Laien gab; übrigens waren die Utraquisten gegen die Katholiken
duldsam; in einem Theile der Kirchen Prags blieb während des ganzen Hussiten^
kriegs der Katholische Kultus unter dem Schutze der Behörden in Uebung.
Die dritte Partei war die der Taboriten. Diese Partei bestand überwiegend
aus Leibeigenen, namentlich Leibeigenen von den Gütern der Geistlichkeit, und
den Proletariern der Städte; Führer dieser Partei waren namentlich Mönche,
welche die Klöster verlassen hatten, und einige wenige Männer von ritterlicher
Herkunft.

Die Taboriten verfuhren von Anfang an mit mehr Gewaltsamkeit, als
die Utraquisten. Es war ihre Gewohnheit, sobald sie sich irgendwo in genügender
Anzahl versammelt hatten, vor das nächste Kloster zu ziehn und Ertheilmig
des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu verlangen. Wenn die Mönche dann
diesem Verlangen nicht stattgaben, so plünderten und verbrannten sie das Kloster.
Soweit die Taboriten Leibeigene auf den Besitzungen der Klöster oder Geist¬
lichen waren, betrachteten sie sich nach Annahme der neuen Lehre ohne Weiteres
als freie Männer und Besitzer der von ihnen bisher bearbeiteten Aecker.

Es war natürlich, daß die an der alten Lehre festhaltende Partei von
Aufang an die Taboriten verfolgte. Schon vor dem Tode des Kaisers Wenzel


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[0331] Huß hatte verbrennen lassen. Sigismund beschloß nun, die Hussiten mit Gewalt zu unterwerfen. Er sammelte im Jahre 1420 in Breslau ein Heer von Deutschen und Ungarn und rückte mit diesem Heere in Böhmen ein. Um nun die späteren Ereignisse richtig beurtheilen zu können, müssen wir einen kurzen Blick auf die Entstehung der Hnssitischen Bewegung werfen. Bei dieser Bewegung spielte neben dem religiösen Momente, das unstreitig das Hauptmotiv der ganzen Bewegung war, auch ein anderes Moment mit; in Böhmen war nämlich allmählig der größere Theil des Grundbesitzes und des ganzen Reichthums des Landes in die Hände der Geistlichkeit übergangen; diese hatte sich durch Luxus und Uebermuth, namentlich auch durch Bedrückung ihrer zahlreichen Leibeigne», ferner auch dadurch, daß sie sich der weltlichen Gerichtsbarkeit und der Abgaben- Pflicht entzog, in hohem Grade verhaßt gemacht. Dies hatte schon zu dem großen Erfolge beigetragen, den die reformatorischen Tendenzen des Huß gehabt hatten. Bald nach dem Tode des Huß bildeten sich nun in Böhmen drei Parteien. Die erste Partei, zu der die hohe Geistlichkeit, der hohe Adel und ein großer Theil der Städte gehörte, hielt am alten Glauben fest und wies jede Neuerung zurück. Die zweite Partei, welche den Namen der Utraquisten annahm, bestand ans den Bürgern der Stadt Prag und dem größten Theile des niederen Adels, auch einem Theile des niederen Klerus; diese Partei wich von der Katholischen Kirche nur darin ab, daß sie beim Abendmahle neben dem Brode auch den Kelch den Laien gab; übrigens waren die Utraquisten gegen die Katholiken duldsam; in einem Theile der Kirchen Prags blieb während des ganzen Hussiten^ kriegs der Katholische Kultus unter dem Schutze der Behörden in Uebung. Die dritte Partei war die der Taboriten. Diese Partei bestand überwiegend aus Leibeigenen, namentlich Leibeigenen von den Gütern der Geistlichkeit, und den Proletariern der Städte; Führer dieser Partei waren namentlich Mönche, welche die Klöster verlassen hatten, und einige wenige Männer von ritterlicher Herkunft. Die Taboriten verfuhren von Anfang an mit mehr Gewaltsamkeit, als die Utraquisten. Es war ihre Gewohnheit, sobald sie sich irgendwo in genügender Anzahl versammelt hatten, vor das nächste Kloster zu ziehn und Ertheilmig des Abendmahls unter beiderlei Gestalt zu verlangen. Wenn die Mönche dann diesem Verlangen nicht stattgaben, so plünderten und verbrannten sie das Kloster. Soweit die Taboriten Leibeigene auf den Besitzungen der Klöster oder Geist¬ lichen waren, betrachteten sie sich nach Annahme der neuen Lehre ohne Weiteres als freie Männer und Besitzer der von ihnen bisher bearbeiteten Aecker. Es war natürlich, daß die an der alten Lehre festhaltende Partei von Aufang an die Taboriten verfolgte. Schon vor dem Tode des Kaisers Wenzel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/331>, abgerufen am 24.08.2024.