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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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fährten Stimme durch den Sturm. Ich muckste mich aber uicht in meinem
Schlupfwinkel -- bot er mir doch Schutz vor dem ersten Anprall des Windes
und dem Schneegestöber, das um uns wirbelte. Mit großer Befriedigung,
voll unendlichen Behagens fanden wir uns hierauf im Zelt zusammen, das
gut verschlossen, vom Winde nichts spüren ließ und milde Temperatur bot.
Warmer Grog oder Thee, nach denen wir uns längst gesehnt, hätten uns
vollends in den siebenten Himmel gehoben. Draußen aber tobten Starin und
Schneegestöber, daß an Feueranmachen nicht zu denken. Einen Spiritusappa¬
rat, um im Zelt zu kochen, hatten wir leider nicht. Herr Jcwelle hat wohl¬
weislich den seinen in Zermatt gelassen. Kalte Küche von Wein befeuchtet und
vou einer duftenden Extramuros gekrönt war unser Mahl. Nachdem wir uns
mit Allem afsüblirt, was wir bei uns hatten, und die Schuhe ausgezogen,
kauerten wir uns zufammen -- die Touristen in der Mitte -- und gewärtig-
ten in apathischer Regungslosigkeit, schweigend, dumpfbrütend, was die Nacht
uns bringen würde. Gnadenvoll ist das Gewitter an uns vorübergegangen,
der Sturm aber nimmt zu an Heftigkeit mit einbrechendem Dunkel. Schlaf
kam nicht über uns. Den Oberleib hatte man warm, die Füße waren eiskalt.
Mit dem Kopf die Zeltwand berührend, spürte man, wie draußen schon der
Schnee sich angehäuft -- er schmolz von dessen Wärme. Der Boden war
nur oberflächlich geebnet. Wie ich mich drehen und winden mochte, mir
drangen einige Protnbercmzen durch den Zeltboden so schneidend in Hüften und
Rücken, daß das allein genügt hätte, mich wach zu halten. Mitten in der
Nacht schreckte uns ein einziger jäher Donnerschlag auf. In Intervallen heftige
Windstöße. Wenn fernes wachsendes Tosen ihr Nahen verkündete, wenn heu¬
lend durch die Klippen die Windsbraut strich und plötzlich das Zelt ergriff
daran rüttelnd, als müßte es zu Fetzen gerissen oder mit seinem Inhalt in
die Lüste gehoben werden -- dann, bestündig auf dem yui vivo, schossen die
Viere auf, als ob von elektrischem Schlag gerührt, um das Zelt zu packen
und aufrecht zu erhalten. In einem solchen Moment ging eine der vier Zelt¬
stangen -- zum Glück jene der nordöstlichen Ecke, welche nicht den ersten An¬
prall auszuhalten hatte -- in der Mitte auseinander, d. h. zum Theil ans
dem eisernen Schafte, der die beiden Hülsten, aus der sie besteht, zusammen
hält. Sie hatte jetzt nur uoch den schwachen Halt, den die sie umgebende
Stvffhülle ihr gab. Nie sicher, was der nächste Moment bringen würde,
waren wir stets aufs Schlimmste gefaßt. Doch sei es, daß allmälig der Sturm
an Kraft abnahm, daß Stumpfsinn, den nichts mehr anficht, unserer sich be¬
mächtigt, oder daß wir Zutrauen in des Zeltes Tüchtigkeit gewonnen -- das
wir anfangs als Joujou anzusehen geneigt waren, während es jetzt sich glänzend
bewährt: Wir lassen's draußen toben wie's mag und mucksen uns nicht. Die


fährten Stimme durch den Sturm. Ich muckste mich aber uicht in meinem
Schlupfwinkel — bot er mir doch Schutz vor dem ersten Anprall des Windes
und dem Schneegestöber, das um uns wirbelte. Mit großer Befriedigung,
voll unendlichen Behagens fanden wir uns hierauf im Zelt zusammen, das
gut verschlossen, vom Winde nichts spüren ließ und milde Temperatur bot.
Warmer Grog oder Thee, nach denen wir uns längst gesehnt, hätten uns
vollends in den siebenten Himmel gehoben. Draußen aber tobten Starin und
Schneegestöber, daß an Feueranmachen nicht zu denken. Einen Spiritusappa¬
rat, um im Zelt zu kochen, hatten wir leider nicht. Herr Jcwelle hat wohl¬
weislich den seinen in Zermatt gelassen. Kalte Küche von Wein befeuchtet und
vou einer duftenden Extramuros gekrönt war unser Mahl. Nachdem wir uns
mit Allem afsüblirt, was wir bei uns hatten, und die Schuhe ausgezogen,
kauerten wir uns zufammen — die Touristen in der Mitte — und gewärtig-
ten in apathischer Regungslosigkeit, schweigend, dumpfbrütend, was die Nacht
uns bringen würde. Gnadenvoll ist das Gewitter an uns vorübergegangen,
der Sturm aber nimmt zu an Heftigkeit mit einbrechendem Dunkel. Schlaf
kam nicht über uns. Den Oberleib hatte man warm, die Füße waren eiskalt.
Mit dem Kopf die Zeltwand berührend, spürte man, wie draußen schon der
Schnee sich angehäuft — er schmolz von dessen Wärme. Der Boden war
nur oberflächlich geebnet. Wie ich mich drehen und winden mochte, mir
drangen einige Protnbercmzen durch den Zeltboden so schneidend in Hüften und
Rücken, daß das allein genügt hätte, mich wach zu halten. Mitten in der
Nacht schreckte uns ein einziger jäher Donnerschlag auf. In Intervallen heftige
Windstöße. Wenn fernes wachsendes Tosen ihr Nahen verkündete, wenn heu¬
lend durch die Klippen die Windsbraut strich und plötzlich das Zelt ergriff
daran rüttelnd, als müßte es zu Fetzen gerissen oder mit seinem Inhalt in
die Lüste gehoben werden — dann, bestündig auf dem yui vivo, schossen die
Viere auf, als ob von elektrischem Schlag gerührt, um das Zelt zu packen
und aufrecht zu erhalten. In einem solchen Moment ging eine der vier Zelt¬
stangen — zum Glück jene der nordöstlichen Ecke, welche nicht den ersten An¬
prall auszuhalten hatte — in der Mitte auseinander, d. h. zum Theil ans
dem eisernen Schafte, der die beiden Hülsten, aus der sie besteht, zusammen
hält. Sie hatte jetzt nur uoch den schwachen Halt, den die sie umgebende
Stvffhülle ihr gab. Nie sicher, was der nächste Moment bringen würde,
waren wir stets aufs Schlimmste gefaßt. Doch sei es, daß allmälig der Sturm
an Kraft abnahm, daß Stumpfsinn, den nichts mehr anficht, unserer sich be¬
mächtigt, oder daß wir Zutrauen in des Zeltes Tüchtigkeit gewonnen — das
wir anfangs als Joujou anzusehen geneigt waren, während es jetzt sich glänzend
bewährt: Wir lassen's draußen toben wie's mag und mucksen uns nicht. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/316>, abgerufen am 25.08.2024.