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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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fährten nicht länger zu schweigen, sein Herz thut sich auf und mit wohlklingenden
Tenor-Bariton, mit Innigkeit und Verve singt er -- was glaubt wohl der
Leser? ... er kennt das Lied, würde aber, da er es von einem Franzosen
nicht erwartete, nimmer darauf kommen -- das einst vielgehörte: "Wenn die
Schwalben heimwärts ziehn" -- zwar nicht mit deutschen Worten, sondern
frei übertragen. Staunen, sympathisches Drängen übernehmen mich. Mitzn-
singen ist der erste Impuls. Aber ein mehrstündiger Aufenthalt in Unter-Null-
Temperatur ist nicht das Mittel, ein verrostetes Stimmorgan geschmeidiger zu
machen, Unvermögen gebietet mir Schweigen. Mitten in der Nacht werden
wir jählings durch haarsträubendes Krachen und Donnern aufgeschreckt. Eine
Steiulavine ist's, unfern der Hütte hinabrasend. Als ob in seinen Grundvesten
erschüttert, erbebte unter der stürzenden Masse der Berg. Nur annähernd
Aehnliches habe ich währeud der beiden ersten Ersteigungen nicht erlebt."

Endlich mag hier als Gegenbild dieser glücklichen Erfolge die Schilderung
einer mißglückter Besteigung der vent vllmeln?, der Nachbarin des Matterhorns
Platz finden: In Schnee und jähem Klippenhang ragt vor uns der erste Gipfel
der nördlich sich wendenden Partie der Waldfluh oder der Südlande der Dem
dlanoKs. Langsam, mühevoll klimmen wir daran empor ... da bricht in
seiner ganzen Wuth das Gewitter über uus aus. Mitten drinn, in einer Höhe
von 11,000 Fuß, sind wir schutzlos demselben preisgegeben! Blitz Zünd Donner,
Schlag auf Schlag! -- Der Blitz seltsam schwirrend, schmetternd, prasselnd,
der Donner jäh und trocken, mäßig stark: ein Schlag -- ohne Rollen, ohne
Wiederhall und daher um so unheimlicher. Die schwer mit Eisen beschlagenen
Pickelstöcke Herrn Javelle's und der Führer geben den bekannten ominösen
Laut von sich. Mein nur mit Spitze und Zwinge versehener Stock sagt nichts.
Bon Grauen ergriffen fucht Jeder die Fassung zu gewinnen ans eine jeden
Moment zu gewärtigende Katastrophe. -- Mir schwebt vor Augen das Schick¬
sal des Ingenieurs Buchwalder und seines Bedienten auf dem Säntis. --
Glücklich schätzen wir uns, endlich den Bivouakplatz erreicht zu haben. Er ist
etwas geebnet, aber vollkommen schutzlos. Derselbe ist's nicht, wo Gillioz bei
einer gelungenen und Pollinger bei einer mißlungenen Dent Blanche-Fahrt
einmal die Nacht verbracht haben. Der liegt etwas mehr nördlich. Die
Pickel entfernt! heißt's zuerst. Herr Javelle, die Gefahr eher erkennend, hat
den seinen schon weiter unten liegen lassen. Der Berichterstatter darf nicht
verschweigen, daß, während die Führer, dem Unwetter trotzend, rasch an's
Aufschlagen des Zeltes gingen, die beiden Touristen -- nur darauf bedacht
ihre Haut in Sicherheit zu bringen -- schleunigst jeder etwas höher im Ge¬
rippe in ein Loch sich verkrochen. "Venvs in', Ur. ^V., it 7 n, <in; In, Mee
ponr lloux! -- Venv2 "lone!" klang von oben herab wohlthuend meines Ge-


fährten nicht länger zu schweigen, sein Herz thut sich auf und mit wohlklingenden
Tenor-Bariton, mit Innigkeit und Verve singt er — was glaubt wohl der
Leser? ... er kennt das Lied, würde aber, da er es von einem Franzosen
nicht erwartete, nimmer darauf kommen — das einst vielgehörte: „Wenn die
Schwalben heimwärts ziehn" — zwar nicht mit deutschen Worten, sondern
frei übertragen. Staunen, sympathisches Drängen übernehmen mich. Mitzn-
singen ist der erste Impuls. Aber ein mehrstündiger Aufenthalt in Unter-Null-
Temperatur ist nicht das Mittel, ein verrostetes Stimmorgan geschmeidiger zu
machen, Unvermögen gebietet mir Schweigen. Mitten in der Nacht werden
wir jählings durch haarsträubendes Krachen und Donnern aufgeschreckt. Eine
Steiulavine ist's, unfern der Hütte hinabrasend. Als ob in seinen Grundvesten
erschüttert, erbebte unter der stürzenden Masse der Berg. Nur annähernd
Aehnliches habe ich währeud der beiden ersten Ersteigungen nicht erlebt."

Endlich mag hier als Gegenbild dieser glücklichen Erfolge die Schilderung
einer mißglückter Besteigung der vent vllmeln?, der Nachbarin des Matterhorns
Platz finden: In Schnee und jähem Klippenhang ragt vor uns der erste Gipfel
der nördlich sich wendenden Partie der Waldfluh oder der Südlande der Dem
dlanoKs. Langsam, mühevoll klimmen wir daran empor ... da bricht in
seiner ganzen Wuth das Gewitter über uus aus. Mitten drinn, in einer Höhe
von 11,000 Fuß, sind wir schutzlos demselben preisgegeben! Blitz Zünd Donner,
Schlag auf Schlag! — Der Blitz seltsam schwirrend, schmetternd, prasselnd,
der Donner jäh und trocken, mäßig stark: ein Schlag — ohne Rollen, ohne
Wiederhall und daher um so unheimlicher. Die schwer mit Eisen beschlagenen
Pickelstöcke Herrn Javelle's und der Führer geben den bekannten ominösen
Laut von sich. Mein nur mit Spitze und Zwinge versehener Stock sagt nichts.
Bon Grauen ergriffen fucht Jeder die Fassung zu gewinnen ans eine jeden
Moment zu gewärtigende Katastrophe. — Mir schwebt vor Augen das Schick¬
sal des Ingenieurs Buchwalder und seines Bedienten auf dem Säntis. —
Glücklich schätzen wir uns, endlich den Bivouakplatz erreicht zu haben. Er ist
etwas geebnet, aber vollkommen schutzlos. Derselbe ist's nicht, wo Gillioz bei
einer gelungenen und Pollinger bei einer mißlungenen Dent Blanche-Fahrt
einmal die Nacht verbracht haben. Der liegt etwas mehr nördlich. Die
Pickel entfernt! heißt's zuerst. Herr Javelle, die Gefahr eher erkennend, hat
den seinen schon weiter unten liegen lassen. Der Berichterstatter darf nicht
verschweigen, daß, während die Führer, dem Unwetter trotzend, rasch an's
Aufschlagen des Zeltes gingen, die beiden Touristen — nur darauf bedacht
ihre Haut in Sicherheit zu bringen — schleunigst jeder etwas höher im Ge¬
rippe in ein Loch sich verkrochen. „Venvs in', Ur. ^V., it 7 n, <in; In, Mee
ponr lloux! -- Venv2 «lone!" klang von oben herab wohlthuend meines Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/315>, abgerufen am 25.08.2024.