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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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sollten Mücken spielen und autochthone Spinnen krabbeln um die einsame
Spitze des Rheinwaldhorns (3398 M.), wie sollte ein Hermelin sich finden
ans dem gleichhohen' benachbarten Guferhvrn, von was sollte die Maus sich
nähren, die 13,500 Fuß hoch auf dem Scheitel des Matterhorns zu Weilen-
manns Füßen kroch? Und doch ist seine Wahrheitsliebe über allem Zweifel
erhaben.

Der vorliegende dritte Band der Aufzeichnungen des nun leider alternden
Bergsteigers umfaßt Touren, die von 1859 an bis in die letzten Jahre ausge¬
führt wurden. Der Stoff ist nicht durchweg chronologisch geordnet, eher nach
Berggruppen; doch ist im Ganzen auch die Zeitfolge gewahrt. Kein aufmerk¬
samer Leser wird sich dem betrübenden Eindruck verschließen können, daß die
Jahre, die hier in einen Band zusammengewebt, von einem Umschlag und
Titel umspannt sind, keineswegs spurlos vorübergingen an dem ungewöhnlich
kühnen und kräftigen Menschengeist und -Körper, dessen Fahrten und Abenteuer
so bescheiden und anregend hier erzählt sind. Allein und führerlos sehen wir
ihn in der ersten Hälfte des Bandes nacheinander die gewaltigen Hörner der
Hinteren Rheinthalgruppe, das Gepaatschjoch und die Oetschthaler Spitzen
besteigen, viele von ihnen werden zum ersten Male von Weilenmann erklommen;
in der zweiten Hälfte des Buches dagegen zieht nicht selten bedenkliches Wetter
und Heimweh nach der Menschen Gemeinschaft den kühnen Wanderer über¬
wältigend thalwärts, ehe das Ziel der Reise vollkommen erreicht oder genossen
ist. Leistungen von bedeutendem Interesse: die Besteigung des Bietschhorns
und Aletschhorns, des Matterhorns und Weißdorns hat gleichwohl auch der
alternde Weilenmann noch in Fülle auszuweisen; ja die schwierigsten Besteigungen,
die überhaupt denkbar sind, fallen in seine vorgerückten Jahre. Und wir hoffen,
dieser dritte Band wird noch nicht die Feierabendstunde seiner Bergfahrten
ansagen.

Am meisten mögen immerhin aus diesen schmucklosen, gewissenhaften Auf-
zeichnungen jene Kreise gewinnen, die sich von den nördlichen Grenzen der
britischen Inseln bis zu den Fluren Nord-Italiens zu Vereinen zuscunmenthun,
um den edelsten Sport zu Pflegen, der die Jugend begeistern kann: die Be¬
zwingung der Gletscher und Firneuwelt. Diesen Kreisen wird Weilenmann
noch für Jahre hinaus höher stehen, als irgend ein Reisebuch -- kein Bädecker
und kein Tschudi, geschweige denn ein Murray oder irgend ein liederlicher Franzose,
kann dem Bergfahrer diese Fülle von Detail und Orientirung bieten, die Weilen^
manu so zu sagen an sich hat. Wenige werden es ihm, obwohl er es vorge
macht und genau erzählt, wie er es ausgeführt, nachthun. Viele sind berufen,
Wenige auserwählt. Da scheint uus deun auch für die guten Menschen aber
schlechten Musikanten, die mit dem großen Haufen zu Berge ziehn und sich


sollten Mücken spielen und autochthone Spinnen krabbeln um die einsame
Spitze des Rheinwaldhorns (3398 M.), wie sollte ein Hermelin sich finden
ans dem gleichhohen' benachbarten Guferhvrn, von was sollte die Maus sich
nähren, die 13,500 Fuß hoch auf dem Scheitel des Matterhorns zu Weilen-
manns Füßen kroch? Und doch ist seine Wahrheitsliebe über allem Zweifel
erhaben.

Der vorliegende dritte Band der Aufzeichnungen des nun leider alternden
Bergsteigers umfaßt Touren, die von 1859 an bis in die letzten Jahre ausge¬
führt wurden. Der Stoff ist nicht durchweg chronologisch geordnet, eher nach
Berggruppen; doch ist im Ganzen auch die Zeitfolge gewahrt. Kein aufmerk¬
samer Leser wird sich dem betrübenden Eindruck verschließen können, daß die
Jahre, die hier in einen Band zusammengewebt, von einem Umschlag und
Titel umspannt sind, keineswegs spurlos vorübergingen an dem ungewöhnlich
kühnen und kräftigen Menschengeist und -Körper, dessen Fahrten und Abenteuer
so bescheiden und anregend hier erzählt sind. Allein und führerlos sehen wir
ihn in der ersten Hälfte des Bandes nacheinander die gewaltigen Hörner der
Hinteren Rheinthalgruppe, das Gepaatschjoch und die Oetschthaler Spitzen
besteigen, viele von ihnen werden zum ersten Male von Weilenmann erklommen;
in der zweiten Hälfte des Buches dagegen zieht nicht selten bedenkliches Wetter
und Heimweh nach der Menschen Gemeinschaft den kühnen Wanderer über¬
wältigend thalwärts, ehe das Ziel der Reise vollkommen erreicht oder genossen
ist. Leistungen von bedeutendem Interesse: die Besteigung des Bietschhorns
und Aletschhorns, des Matterhorns und Weißdorns hat gleichwohl auch der
alternde Weilenmann noch in Fülle auszuweisen; ja die schwierigsten Besteigungen,
die überhaupt denkbar sind, fallen in seine vorgerückten Jahre. Und wir hoffen,
dieser dritte Band wird noch nicht die Feierabendstunde seiner Bergfahrten
ansagen.

Am meisten mögen immerhin aus diesen schmucklosen, gewissenhaften Auf-
zeichnungen jene Kreise gewinnen, die sich von den nördlichen Grenzen der
britischen Inseln bis zu den Fluren Nord-Italiens zu Vereinen zuscunmenthun,
um den edelsten Sport zu Pflegen, der die Jugend begeistern kann: die Be¬
zwingung der Gletscher und Firneuwelt. Diesen Kreisen wird Weilenmann
noch für Jahre hinaus höher stehen, als irgend ein Reisebuch — kein Bädecker
und kein Tschudi, geschweige denn ein Murray oder irgend ein liederlicher Franzose,
kann dem Bergfahrer diese Fülle von Detail und Orientirung bieten, die Weilen^
manu so zu sagen an sich hat. Wenige werden es ihm, obwohl er es vorge
macht und genau erzählt, wie er es ausgeführt, nachthun. Viele sind berufen,
Wenige auserwählt. Da scheint uus deun auch für die guten Menschen aber
schlechten Musikanten, die mit dem großen Haufen zu Berge ziehn und sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/310>, abgerufen am 22.07.2024.