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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Durch den nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs von der Staats¬
gewalt in Deutschland aufgenommenen kirchenpolitischen Streit fühlten bekannt¬
lich nach und nach alle Staaten der alten und neuen Welt, welche mehr oder
weniger unter dem ultramontanen Drucke litten, sich zu ähnlichem Vorgehen
ermuthigt. Ueberall sahen wir Versuche, Rom's Joch abzuschütteln, nur in
diesem, Deutschland benachbarten Staate nicht, in welchem doch der Ultramonta-
nismus zu großer Macht gelangt war.

Diese auffallende Erscheinung hat ihren Grund darin, daß die starke
konservative Partei in Holland es mit den Ultramontanen hält, sodaß eine
Bekämpfung der Kurie uur den in sich gespaltenen Liberalen überlassen war.
Der kirchenpolitische Streit in Deutschland regte schon 1872 die Ultramontanen
in Holland gewaltig auf. Sie schienen zu fiihleu, daß nnn auch hier der
Staat sich aufraffen und ihren Uebergriffen ein Ende machen werde. Als
Vorspiel hierzu sahen sie die im Februar 1872 erfolgte Aufhebung der Ge¬
sandschaft beim Papste an und sie ließen sich durch ihre tiefe Verstimmung
dazu hinreißen, die am 1. April stattfindende glänzende National-Jubelfeier
der Einnahme Brielle's durch die Wassergeusen zu stören. Der König war
darüber so entrüstet, daß er sich sehr derb gegen diese klerikale Kundgebung
aussprach.

Nun ereignete es sich aber, daß gerade in dem Augenblicke, wo die Staats¬
gewalt die Zurückweisung der ultramontanen Uebergriffe hätte unternehmen
können, derjenige Staatsmann starb, welcher wegen des Ansehns, in dem er
bei fast allen Parteien stand, noch am ehesten hierzu berufen gewesen wäre,
Herr Thorbeke. Das ihm folgende Ministerium de Vries galt als entschieden
liberal, dasselbe war aber wegen mangelnder Unterstützung der Kammern von
vornherein sehr gehemmt. Als die zweite Kammer am 24. August 1873 bei
Berathung des Militärgesetzes sogar die Abschaffung des Eiustehersystems ab¬
lehnte, trat dieses Ministerium zurück und es kam nun zu Versuchen, ein kon¬
servativ-klerikales Ministerium zu bilden; dieselben scheiterten jedoch, das bis¬
herige Ministerium trat wieder in Thätigkeit.

Seitdem waren die Klerikalen weiterhin unablässig bemüht, an die Regie¬
rung zu gelangen; sie wurden wesentlich unterstützt durch die orthodoxe" Pro¬
testanten und verlangten nach einem neuen Wahlgesetze, wonach die Hälfte der
Abgeordneten aus Katholiken, die andere Hälfte aus Protestanten bestehen
sollte. Mit Hülfe der Orthodoxen würden sie dann ständig die Mehrheit ge¬
habt haben. Die fünf Bischöfe des Landes ergingen sich nicht minder wie die
Belgiens in starken Kundgebungen für die durch die Maigesetze betroffenen
deutscheu Bischöfe. Jetzt erst fing die zweite Kammer an, auf die klerikale
Gefahr aufmerksam zu werden und aus Besorgniß, daß der klerikale Einfluß


Durch den nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs von der Staats¬
gewalt in Deutschland aufgenommenen kirchenpolitischen Streit fühlten bekannt¬
lich nach und nach alle Staaten der alten und neuen Welt, welche mehr oder
weniger unter dem ultramontanen Drucke litten, sich zu ähnlichem Vorgehen
ermuthigt. Ueberall sahen wir Versuche, Rom's Joch abzuschütteln, nur in
diesem, Deutschland benachbarten Staate nicht, in welchem doch der Ultramonta-
nismus zu großer Macht gelangt war.

Diese auffallende Erscheinung hat ihren Grund darin, daß die starke
konservative Partei in Holland es mit den Ultramontanen hält, sodaß eine
Bekämpfung der Kurie uur den in sich gespaltenen Liberalen überlassen war.
Der kirchenpolitische Streit in Deutschland regte schon 1872 die Ultramontanen
in Holland gewaltig auf. Sie schienen zu fiihleu, daß nnn auch hier der
Staat sich aufraffen und ihren Uebergriffen ein Ende machen werde. Als
Vorspiel hierzu sahen sie die im Februar 1872 erfolgte Aufhebung der Ge¬
sandschaft beim Papste an und sie ließen sich durch ihre tiefe Verstimmung
dazu hinreißen, die am 1. April stattfindende glänzende National-Jubelfeier
der Einnahme Brielle's durch die Wassergeusen zu stören. Der König war
darüber so entrüstet, daß er sich sehr derb gegen diese klerikale Kundgebung
aussprach.

Nun ereignete es sich aber, daß gerade in dem Augenblicke, wo die Staats¬
gewalt die Zurückweisung der ultramontanen Uebergriffe hätte unternehmen
können, derjenige Staatsmann starb, welcher wegen des Ansehns, in dem er
bei fast allen Parteien stand, noch am ehesten hierzu berufen gewesen wäre,
Herr Thorbeke. Das ihm folgende Ministerium de Vries galt als entschieden
liberal, dasselbe war aber wegen mangelnder Unterstützung der Kammern von
vornherein sehr gehemmt. Als die zweite Kammer am 24. August 1873 bei
Berathung des Militärgesetzes sogar die Abschaffung des Eiustehersystems ab¬
lehnte, trat dieses Ministerium zurück und es kam nun zu Versuchen, ein kon¬
servativ-klerikales Ministerium zu bilden; dieselben scheiterten jedoch, das bis¬
herige Ministerium trat wieder in Thätigkeit.

Seitdem waren die Klerikalen weiterhin unablässig bemüht, an die Regie¬
rung zu gelangen; sie wurden wesentlich unterstützt durch die orthodoxe» Pro¬
testanten und verlangten nach einem neuen Wahlgesetze, wonach die Hälfte der
Abgeordneten aus Katholiken, die andere Hälfte aus Protestanten bestehen
sollte. Mit Hülfe der Orthodoxen würden sie dann ständig die Mehrheit ge¬
habt haben. Die fünf Bischöfe des Landes ergingen sich nicht minder wie die
Belgiens in starken Kundgebungen für die durch die Maigesetze betroffenen
deutscheu Bischöfe. Jetzt erst fing die zweite Kammer an, auf die klerikale
Gefahr aufmerksam zu werden und aus Besorgniß, daß der klerikale Einfluß


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[0307] Durch den nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs von der Staats¬ gewalt in Deutschland aufgenommenen kirchenpolitischen Streit fühlten bekannt¬ lich nach und nach alle Staaten der alten und neuen Welt, welche mehr oder weniger unter dem ultramontanen Drucke litten, sich zu ähnlichem Vorgehen ermuthigt. Ueberall sahen wir Versuche, Rom's Joch abzuschütteln, nur in diesem, Deutschland benachbarten Staate nicht, in welchem doch der Ultramonta- nismus zu großer Macht gelangt war. Diese auffallende Erscheinung hat ihren Grund darin, daß die starke konservative Partei in Holland es mit den Ultramontanen hält, sodaß eine Bekämpfung der Kurie uur den in sich gespaltenen Liberalen überlassen war. Der kirchenpolitische Streit in Deutschland regte schon 1872 die Ultramontanen in Holland gewaltig auf. Sie schienen zu fiihleu, daß nnn auch hier der Staat sich aufraffen und ihren Uebergriffen ein Ende machen werde. Als Vorspiel hierzu sahen sie die im Februar 1872 erfolgte Aufhebung der Ge¬ sandschaft beim Papste an und sie ließen sich durch ihre tiefe Verstimmung dazu hinreißen, die am 1. April stattfindende glänzende National-Jubelfeier der Einnahme Brielle's durch die Wassergeusen zu stören. Der König war darüber so entrüstet, daß er sich sehr derb gegen diese klerikale Kundgebung aussprach. Nun ereignete es sich aber, daß gerade in dem Augenblicke, wo die Staats¬ gewalt die Zurückweisung der ultramontanen Uebergriffe hätte unternehmen können, derjenige Staatsmann starb, welcher wegen des Ansehns, in dem er bei fast allen Parteien stand, noch am ehesten hierzu berufen gewesen wäre, Herr Thorbeke. Das ihm folgende Ministerium de Vries galt als entschieden liberal, dasselbe war aber wegen mangelnder Unterstützung der Kammern von vornherein sehr gehemmt. Als die zweite Kammer am 24. August 1873 bei Berathung des Militärgesetzes sogar die Abschaffung des Eiustehersystems ab¬ lehnte, trat dieses Ministerium zurück und es kam nun zu Versuchen, ein kon¬ servativ-klerikales Ministerium zu bilden; dieselben scheiterten jedoch, das bis¬ herige Ministerium trat wieder in Thätigkeit. Seitdem waren die Klerikalen weiterhin unablässig bemüht, an die Regie¬ rung zu gelangen; sie wurden wesentlich unterstützt durch die orthodoxe» Pro¬ testanten und verlangten nach einem neuen Wahlgesetze, wonach die Hälfte der Abgeordneten aus Katholiken, die andere Hälfte aus Protestanten bestehen sollte. Mit Hülfe der Orthodoxen würden sie dann ständig die Mehrheit ge¬ habt haben. Die fünf Bischöfe des Landes ergingen sich nicht minder wie die Belgiens in starken Kundgebungen für die durch die Maigesetze betroffenen deutscheu Bischöfe. Jetzt erst fing die zweite Kammer an, auf die klerikale Gefahr aufmerksam zu werden und aus Besorgniß, daß der klerikale Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/307>, abgerufen am 22.07.2024.