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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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in jede beliebige Gestalt verwandeln könne, eine Idee, welche später in dem
Glauben an Wehrwölfe gipfelte. Der etwas spätere Gerson, Kanzler der
Universität Paris, ein reich ausgestatteter Kopf, äußert sich in ähnlicher Weise
und vertheidigt den Glauben an Hexerei ans allen Kräften. Botin, ein aus¬
gezeichneter Philosoph des 16. Jahrhunderts, richtete seine ganze Kraft und
Gelehrsamkeit auf die Vertheidigung des Hexenglnnbens und Bekämpfung des
Zweifels gegen denselben. Er ruft den Volksglaube!: aller Länder, die Werke
vieler Kirchenväter und heidnischen Schriftsteller als Zeugen für seine Meinung
an. Auch citirt er die Gesetze und die vielen Fälle, welche vor den erste"
Gerichtshöfen der Zeit verhandelt wären. Auch beschreibt er die Luftfahrten
und den Hexensabbath, die Verwandlung der Hexen in Thiere, die Zeichen
woran man sie erkennen könne ?c. -- beruft sich auf ihr Benehmen bei
Tortur und Scheiterhaufen, und findet es entsetzlich sie in Schutz zu nehmen.
Den frühen Tod Karls IX. von Frankreich schreibt er besonders dem Umstand
Zu, daß er dem berühmten Zauberer Trois-Echelles das Leben geschenkt hatte,
unter der Bedingung, daß er seine Kollegen angäbe.

Auch in England, wo verhältnißmäßig wenig Hexenverbrennungen vor¬
kamen, finden wir hervorragende Männer, welche für den Glauben an Hexerei
kräftig eintraten. So z. B. wandte sich der Bischof Jewel, bald nach der
Thronbesteigung der Königin Elisabeth in einer Predigt mit folgenden Worten
an diese: "Mögen Ew. Gnaden geruhen, sich von der wunderbaren Vermehrung
Zu überzeugen, welche Zauberer und Hexen in den letzten Jahren in Ihrem
Königreiche genommen haben. Ew. Gnaden Unterthanen schwinden dahin bis
zum Tode, ihre Farbe verbleicht, ihr Fleisch modert, ihre Stimme wird dumpf,
ihr Sinn betrübt. Ich bitte Gott, daß die Zauberer ihre Kraft niemals weiter
anwenden mögen, als an den Unterthanen" (sermons lecker Loeiety p. 1028).
Wahrscheinlich in Folge dieser Predigt wurden die Gesetze gegen Hexerei ver¬
schärft und mit Strenge vollzogen. Uebrigens hatten sich die Fälle der Hexerei
zu Anfang der Regierung der Elisabeth wirklich ungemein vermehrt, was
wahrscheinlich dein öfteren Religionswechsel der Regierung und dem Terroris-
wus zuzuschreiben ist, der unter der blutigen Maria herrschte.

Er wird uns in jetziger Zeit schwer, uns in die Denkweise so vieler
übrigens ausgezeichneter Männer zu versetzen, doch ist dabei zu bedenken, daß
die Jvee des freien Denkens noch nicht aufgegangen war, sondern daß Alles
in dem Boden der Autorität wurzelte, daß daher fast jeder von vornherein ge¬
zeigt war, das zu vertheidigen und anzunehmen, was die Kirche sagte. Man
wandte seinen Scharfsinn nicht dazu an, die Sache selbst objektiv zu prüfen,
sondern begnügte sich damit, Analogien und Schriftsteller älterer Weiser zu
finden, welche für, nicht wider die herrschende Meinung sprachen. So brachten


in jede beliebige Gestalt verwandeln könne, eine Idee, welche später in dem
Glauben an Wehrwölfe gipfelte. Der etwas spätere Gerson, Kanzler der
Universität Paris, ein reich ausgestatteter Kopf, äußert sich in ähnlicher Weise
und vertheidigt den Glauben an Hexerei ans allen Kräften. Botin, ein aus¬
gezeichneter Philosoph des 16. Jahrhunderts, richtete seine ganze Kraft und
Gelehrsamkeit auf die Vertheidigung des Hexenglnnbens und Bekämpfung des
Zweifels gegen denselben. Er ruft den Volksglaube!: aller Länder, die Werke
vieler Kirchenväter und heidnischen Schriftsteller als Zeugen für seine Meinung
an. Auch citirt er die Gesetze und die vielen Fälle, welche vor den erste»
Gerichtshöfen der Zeit verhandelt wären. Auch beschreibt er die Luftfahrten
und den Hexensabbath, die Verwandlung der Hexen in Thiere, die Zeichen
woran man sie erkennen könne ?c. — beruft sich auf ihr Benehmen bei
Tortur und Scheiterhaufen, und findet es entsetzlich sie in Schutz zu nehmen.
Den frühen Tod Karls IX. von Frankreich schreibt er besonders dem Umstand
Zu, daß er dem berühmten Zauberer Trois-Echelles das Leben geschenkt hatte,
unter der Bedingung, daß er seine Kollegen angäbe.

Auch in England, wo verhältnißmäßig wenig Hexenverbrennungen vor¬
kamen, finden wir hervorragende Männer, welche für den Glauben an Hexerei
kräftig eintraten. So z. B. wandte sich der Bischof Jewel, bald nach der
Thronbesteigung der Königin Elisabeth in einer Predigt mit folgenden Worten
an diese: „Mögen Ew. Gnaden geruhen, sich von der wunderbaren Vermehrung
Zu überzeugen, welche Zauberer und Hexen in den letzten Jahren in Ihrem
Königreiche genommen haben. Ew. Gnaden Unterthanen schwinden dahin bis
zum Tode, ihre Farbe verbleicht, ihr Fleisch modert, ihre Stimme wird dumpf,
ihr Sinn betrübt. Ich bitte Gott, daß die Zauberer ihre Kraft niemals weiter
anwenden mögen, als an den Unterthanen" (sermons lecker Loeiety p. 1028).
Wahrscheinlich in Folge dieser Predigt wurden die Gesetze gegen Hexerei ver¬
schärft und mit Strenge vollzogen. Uebrigens hatten sich die Fälle der Hexerei
zu Anfang der Regierung der Elisabeth wirklich ungemein vermehrt, was
wahrscheinlich dein öfteren Religionswechsel der Regierung und dem Terroris-
wus zuzuschreiben ist, der unter der blutigen Maria herrschte.

Er wird uns in jetziger Zeit schwer, uns in die Denkweise so vieler
übrigens ausgezeichneter Männer zu versetzen, doch ist dabei zu bedenken, daß
die Jvee des freien Denkens noch nicht aufgegangen war, sondern daß Alles
in dem Boden der Autorität wurzelte, daß daher fast jeder von vornherein ge¬
zeigt war, das zu vertheidigen und anzunehmen, was die Kirche sagte. Man
wandte seinen Scharfsinn nicht dazu an, die Sache selbst objektiv zu prüfen,
sondern begnügte sich damit, Analogien und Schriftsteller älterer Weiser zu
finden, welche für, nicht wider die herrschende Meinung sprachen. So brachten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/295>, abgerufen am 27.09.2024.