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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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die Geister für "menti" erklärten, und alle die mit ihnen verkehrten, ohne
Gnade verbrannten.

Wenngleich nun in jener Zeit, außer gegen die genannte Sekte wenig Hexeu-
verfvlgungen vorkamen, so ist doch leicht zu erkennen, daß der Boden für die
späteren Hexenprozesse vollauf vorbereitet war. Ein Schriftsteller des II. Jahr¬
hunderts: Michael Psellus versuchte zuerst die Lehre von den Dämonen in
ein förmliches philosophisches System zu bringen. Er behauptete entschieden,
daß die Dämonen Körper haben, nicht gleich den menschlichen, von be¬
stimmter Form, sondern von einem feinen wolkenähnlichen Stoff, fähig jede
Gestaltung anzunehmen und durch jede Oeffnung zu bringen, also ge¬
spensterhaft. Zum Feuer verdammt, suchen sie den Qualen dadurch etwas
zu entgehen, daß sie sich an Orte begeben, wo sie eine feuchte Wärme vor¬
finden, wie in Thier- und Meuscheuleibern. Fülle von Besessenheit scheinen in
jenen Zeiten häufig gewesen zu sein, und der Wahnsinn wurde sür deren Folge
gehalten. Den vollen Hexenbegriff, d. h. den Glauben, daß eine Frauensperson, die
ein bewußtes Biiuduiß mit dem Teufel geschlossen, von ihm mit übernatürlichen
Kräften ausgestattet werde, auch durch die Luft zum Hexensabbath fliegen könne, um
dem Teufel zu huldigen, diesen Begriff finden wir zuerst im 12. Jahrhundert.
Der Gedanke, daß es solche gemeinschüdliche Weiber geben möchte, rief eine
unglaubliche Bestürzung hervor, und der Glaube daran verbreitete sich erst
langsam, bald aber mit rasender Schnelligkeit durch fast alle europäischen
Länder. Die Richter wurden berufen, diese,Thatsachen zu prüfen und zu ver¬
folgen, und Tausende von Hinrichtungen waren die Folge. Der Gedanke, daß
das Christenthum durch Satans Macht in Gefahr sei, fand mehr und mehr
Boden, es war wie der Ausbruch einer physischen Krankheit, deren Keime lange
im Körper liegen können, bis ein äußerer Anlaß dieselben zur Erscheinung
ruft. Es folgen nun die Ursachen zu diesem Ausbruch im 12. Jahrhundert
und zu dem furchtbaren Umfang, den diese schreckliche Zeitkrankheit im 15. und
16. Jahrhundert gewann.

Wir sehen im 12. Jahrhundert einen Wendepunkt in der Entwicke¬
lungsgeschichte des Europäischen Geistes. Eine Wiedererweckung der alten
lateinischen Literatur hatte das geistige Leben durchdrungen, und dadurch
uach und uach den Volksglauben umgestaltet. Leise Zweifel fangen an, sich
zu rege" über Dinge, die bis dahin in blinden Glauben als unzweifelhaft aw
genommen worden waren; ein Etwas von Toleranz trat an Stelle des Hasses, der
bisher alles anßerchristliche Leben verfolgte, auch machte sich Interesse an rein
weltlichem Wissen geltend, und die Orthodoxie ward durch mannigfache Ketze¬
reien in Angst und Unruhe versetzt, welche sie vergebens zu unterdrücken
suchte. In den folgenden Jahrhunderten nahm diese Bewegung zu. Umsonst


die Geister für „menti" erklärten, und alle die mit ihnen verkehrten, ohne
Gnade verbrannten.

Wenngleich nun in jener Zeit, außer gegen die genannte Sekte wenig Hexeu-
verfvlgungen vorkamen, so ist doch leicht zu erkennen, daß der Boden für die
späteren Hexenprozesse vollauf vorbereitet war. Ein Schriftsteller des II. Jahr¬
hunderts: Michael Psellus versuchte zuerst die Lehre von den Dämonen in
ein förmliches philosophisches System zu bringen. Er behauptete entschieden,
daß die Dämonen Körper haben, nicht gleich den menschlichen, von be¬
stimmter Form, sondern von einem feinen wolkenähnlichen Stoff, fähig jede
Gestaltung anzunehmen und durch jede Oeffnung zu bringen, also ge¬
spensterhaft. Zum Feuer verdammt, suchen sie den Qualen dadurch etwas
zu entgehen, daß sie sich an Orte begeben, wo sie eine feuchte Wärme vor¬
finden, wie in Thier- und Meuscheuleibern. Fülle von Besessenheit scheinen in
jenen Zeiten häufig gewesen zu sein, und der Wahnsinn wurde sür deren Folge
gehalten. Den vollen Hexenbegriff, d. h. den Glauben, daß eine Frauensperson, die
ein bewußtes Biiuduiß mit dem Teufel geschlossen, von ihm mit übernatürlichen
Kräften ausgestattet werde, auch durch die Luft zum Hexensabbath fliegen könne, um
dem Teufel zu huldigen, diesen Begriff finden wir zuerst im 12. Jahrhundert.
Der Gedanke, daß es solche gemeinschüdliche Weiber geben möchte, rief eine
unglaubliche Bestürzung hervor, und der Glaube daran verbreitete sich erst
langsam, bald aber mit rasender Schnelligkeit durch fast alle europäischen
Länder. Die Richter wurden berufen, diese,Thatsachen zu prüfen und zu ver¬
folgen, und Tausende von Hinrichtungen waren die Folge. Der Gedanke, daß
das Christenthum durch Satans Macht in Gefahr sei, fand mehr und mehr
Boden, es war wie der Ausbruch einer physischen Krankheit, deren Keime lange
im Körper liegen können, bis ein äußerer Anlaß dieselben zur Erscheinung
ruft. Es folgen nun die Ursachen zu diesem Ausbruch im 12. Jahrhundert
und zu dem furchtbaren Umfang, den diese schreckliche Zeitkrankheit im 15. und
16. Jahrhundert gewann.

Wir sehen im 12. Jahrhundert einen Wendepunkt in der Entwicke¬
lungsgeschichte des Europäischen Geistes. Eine Wiedererweckung der alten
lateinischen Literatur hatte das geistige Leben durchdrungen, und dadurch
uach und uach den Volksglauben umgestaltet. Leise Zweifel fangen an, sich
zu rege« über Dinge, die bis dahin in blinden Glauben als unzweifelhaft aw
genommen worden waren; ein Etwas von Toleranz trat an Stelle des Hasses, der
bisher alles anßerchristliche Leben verfolgte, auch machte sich Interesse an rein
weltlichem Wissen geltend, und die Orthodoxie ward durch mannigfache Ketze¬
reien in Angst und Unruhe versetzt, welche sie vergebens zu unterdrücken
suchte. In den folgenden Jahrhunderten nahm diese Bewegung zu. Umsonst


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[0290] die Geister für „menti" erklärten, und alle die mit ihnen verkehrten, ohne Gnade verbrannten. Wenngleich nun in jener Zeit, außer gegen die genannte Sekte wenig Hexeu- verfvlgungen vorkamen, so ist doch leicht zu erkennen, daß der Boden für die späteren Hexenprozesse vollauf vorbereitet war. Ein Schriftsteller des II. Jahr¬ hunderts: Michael Psellus versuchte zuerst die Lehre von den Dämonen in ein förmliches philosophisches System zu bringen. Er behauptete entschieden, daß die Dämonen Körper haben, nicht gleich den menschlichen, von be¬ stimmter Form, sondern von einem feinen wolkenähnlichen Stoff, fähig jede Gestaltung anzunehmen und durch jede Oeffnung zu bringen, also ge¬ spensterhaft. Zum Feuer verdammt, suchen sie den Qualen dadurch etwas zu entgehen, daß sie sich an Orte begeben, wo sie eine feuchte Wärme vor¬ finden, wie in Thier- und Meuscheuleibern. Fülle von Besessenheit scheinen in jenen Zeiten häufig gewesen zu sein, und der Wahnsinn wurde sür deren Folge gehalten. Den vollen Hexenbegriff, d. h. den Glauben, daß eine Frauensperson, die ein bewußtes Biiuduiß mit dem Teufel geschlossen, von ihm mit übernatürlichen Kräften ausgestattet werde, auch durch die Luft zum Hexensabbath fliegen könne, um dem Teufel zu huldigen, diesen Begriff finden wir zuerst im 12. Jahrhundert. Der Gedanke, daß es solche gemeinschüdliche Weiber geben möchte, rief eine unglaubliche Bestürzung hervor, und der Glaube daran verbreitete sich erst langsam, bald aber mit rasender Schnelligkeit durch fast alle europäischen Länder. Die Richter wurden berufen, diese,Thatsachen zu prüfen und zu ver¬ folgen, und Tausende von Hinrichtungen waren die Folge. Der Gedanke, daß das Christenthum durch Satans Macht in Gefahr sei, fand mehr und mehr Boden, es war wie der Ausbruch einer physischen Krankheit, deren Keime lange im Körper liegen können, bis ein äußerer Anlaß dieselben zur Erscheinung ruft. Es folgen nun die Ursachen zu diesem Ausbruch im 12. Jahrhundert und zu dem furchtbaren Umfang, den diese schreckliche Zeitkrankheit im 15. und 16. Jahrhundert gewann. Wir sehen im 12. Jahrhundert einen Wendepunkt in der Entwicke¬ lungsgeschichte des Europäischen Geistes. Eine Wiedererweckung der alten lateinischen Literatur hatte das geistige Leben durchdrungen, und dadurch uach und uach den Volksglauben umgestaltet. Leise Zweifel fangen an, sich zu rege« über Dinge, die bis dahin in blinden Glauben als unzweifelhaft aw genommen worden waren; ein Etwas von Toleranz trat an Stelle des Hasses, der bisher alles anßerchristliche Leben verfolgte, auch machte sich Interesse an rein weltlichem Wissen geltend, und die Orthodoxie ward durch mannigfache Ketze¬ reien in Angst und Unruhe versetzt, welche sie vergebens zu unterdrücken suchte. In den folgenden Jahrhunderten nahm diese Bewegung zu. Umsonst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/290>, abgerufen am 27.09.2024.