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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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aus ähnlicher Epoche seines Lebens in liebenswürdigster Weise berichtet. Ich
gestehe ganz offen, daß seine köstlichen erheiternden Schilderungen mich angeregt
haben, anch meinestheils zu den "Schulerinnerungen" einen Beitrag zu geben.
Nur daß sich dieser nicht mit dem Gymnasium befaßt. Was Jüngern der
Wissenschaft die Prima des Gymnasiums, das ist den Kunstschülern die Vor¬
klasse der Akademie. Davon sollen die folgenden Blätter berichten." Also
Ecksteins Gymnasialscherze ins Akademische übersetzt -- natürlich Abklatsch,
flach, platt, ohne alle Eleganz, Beispiel: In Abwesenheit des Lehrers machen
sich die Herren Künstler das geistreiche Vergnügen, ein von diesem mit vieler
Sorgfalt aus Thon zum Zwecke des Nachzeichnens gefertigtes Thiermodell zu
zerstören. "Wie eine Jndicmerhvrde stürzte sich, so erzählt der Herr Verfasser,
der Schwarm aufgeregter Schüler auf den Gegenstand jahrelangen Hasses.
Bücher, Reißzeuge, was ein Jeder zur Hand hatte, flog nach dem gypsernett
Ungethüme. Durch ein eisernes Winkelmaß, das es streifte, ward ihm zunächst
ein Stück Hintertheil abgerissen. Der lange Hoffmann aber hatte das Glück,
durch einen furchtbaren Schlag mit seinem Ziegenhainer das Thier in zwei
Theile zu zerlegen, worauf Herzer den Kopf durchs offene Fenster warf. Ein
toller Freudentanz feierte das glückliche Ereigniß. In der kriegerischen Stim¬
mung, die nun einmal herrschte, ward ein Gefecht begonnen und bald durch-
tobte ein Tumult die stillen Schulräume, wie er lauge uicht von uns selbst
Ersahreneren erlebt worden war. Hoffmann besonders, der glückliche Modell-
tödter, that es Allen im Kampf zuvor. Er trotzte ohne Schild allen auf ihn
geschleuderten Kngeln und wußte unermüdlich Geschosse von solch' gefährlicher
Größe zu verschießen, daß gewiß alle Schilder in die Höhe fuhren, sobald
Hoffmann sich von Neuem aus dem Kasten versorgt hatte. Thüren, Wände
und Bretter waren mit Thonklumpen bereits förmlich gefleckt, als Hoffmann einen
kindskopfgroßen Ballen Thon mit solcher Vehemenz nach der Thür schleuderte,
daß Alle in der Nähe Stehenden jäh bei Seite flüchteten. Im selben Augen¬
blick trat Hühnel (der Lehrer) herein und erhielt den Thonklumpen so exakt übers
Gesicht, daß dieses vollständig zugedeckt ward und der kleine Hühnel von der
Gewalt des Wurfes beinahe umgefallen wäre. Dank diesem glücklichen Umstand
gelang es fast Allen, auf ihre Plätze zu kommen, während Hoffmann und
Wiegand auf Hühnel zusprangen und heuchlerisch besorgt ihm die erste Hills^
leisteten. Die ganze Klasse saß in scheinbar nie gestörter Ruhe als das ab¬
wechselnd hochrothe und kreidebleiche Antlitz Hühnels von der weichen klebrigen
Masse endlich befreit war. Schauerlich betupft, eiuen letzten Rest wie einen
Stern im Haar, schritt Hühnel bleich in höchster Erregung, mit dem heiser
hervorgestoßenen Worten: "Es ist gut!" an den beiden Helfern vorüber ans
die Thür seiner Stube zu, die er ausschloß, um sie hinter sich


aus ähnlicher Epoche seines Lebens in liebenswürdigster Weise berichtet. Ich
gestehe ganz offen, daß seine köstlichen erheiternden Schilderungen mich angeregt
haben, anch meinestheils zu den „Schulerinnerungen" einen Beitrag zu geben.
Nur daß sich dieser nicht mit dem Gymnasium befaßt. Was Jüngern der
Wissenschaft die Prima des Gymnasiums, das ist den Kunstschülern die Vor¬
klasse der Akademie. Davon sollen die folgenden Blätter berichten." Also
Ecksteins Gymnasialscherze ins Akademische übersetzt — natürlich Abklatsch,
flach, platt, ohne alle Eleganz, Beispiel: In Abwesenheit des Lehrers machen
sich die Herren Künstler das geistreiche Vergnügen, ein von diesem mit vieler
Sorgfalt aus Thon zum Zwecke des Nachzeichnens gefertigtes Thiermodell zu
zerstören. „Wie eine Jndicmerhvrde stürzte sich, so erzählt der Herr Verfasser,
der Schwarm aufgeregter Schüler auf den Gegenstand jahrelangen Hasses.
Bücher, Reißzeuge, was ein Jeder zur Hand hatte, flog nach dem gypsernett
Ungethüme. Durch ein eisernes Winkelmaß, das es streifte, ward ihm zunächst
ein Stück Hintertheil abgerissen. Der lange Hoffmann aber hatte das Glück,
durch einen furchtbaren Schlag mit seinem Ziegenhainer das Thier in zwei
Theile zu zerlegen, worauf Herzer den Kopf durchs offene Fenster warf. Ein
toller Freudentanz feierte das glückliche Ereigniß. In der kriegerischen Stim¬
mung, die nun einmal herrschte, ward ein Gefecht begonnen und bald durch-
tobte ein Tumult die stillen Schulräume, wie er lauge uicht von uns selbst
Ersahreneren erlebt worden war. Hoffmann besonders, der glückliche Modell-
tödter, that es Allen im Kampf zuvor. Er trotzte ohne Schild allen auf ihn
geschleuderten Kngeln und wußte unermüdlich Geschosse von solch' gefährlicher
Größe zu verschießen, daß gewiß alle Schilder in die Höhe fuhren, sobald
Hoffmann sich von Neuem aus dem Kasten versorgt hatte. Thüren, Wände
und Bretter waren mit Thonklumpen bereits förmlich gefleckt, als Hoffmann einen
kindskopfgroßen Ballen Thon mit solcher Vehemenz nach der Thür schleuderte,
daß Alle in der Nähe Stehenden jäh bei Seite flüchteten. Im selben Augen¬
blick trat Hühnel (der Lehrer) herein und erhielt den Thonklumpen so exakt übers
Gesicht, daß dieses vollständig zugedeckt ward und der kleine Hühnel von der
Gewalt des Wurfes beinahe umgefallen wäre. Dank diesem glücklichen Umstand
gelang es fast Allen, auf ihre Plätze zu kommen, während Hoffmann und
Wiegand auf Hühnel zusprangen und heuchlerisch besorgt ihm die erste Hills^
leisteten. Die ganze Klasse saß in scheinbar nie gestörter Ruhe als das ab¬
wechselnd hochrothe und kreidebleiche Antlitz Hühnels von der weichen klebrigen
Masse endlich befreit war. Schauerlich betupft, eiuen letzten Rest wie einen
Stern im Haar, schritt Hühnel bleich in höchster Erregung, mit dem heiser
hervorgestoßenen Worten: „Es ist gut!" an den beiden Helfern vorüber ans
die Thür seiner Stube zu, die er ausschloß, um sie hinter sich


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[0266] aus ähnlicher Epoche seines Lebens in liebenswürdigster Weise berichtet. Ich gestehe ganz offen, daß seine köstlichen erheiternden Schilderungen mich angeregt haben, anch meinestheils zu den „Schulerinnerungen" einen Beitrag zu geben. Nur daß sich dieser nicht mit dem Gymnasium befaßt. Was Jüngern der Wissenschaft die Prima des Gymnasiums, das ist den Kunstschülern die Vor¬ klasse der Akademie. Davon sollen die folgenden Blätter berichten." Also Ecksteins Gymnasialscherze ins Akademische übersetzt — natürlich Abklatsch, flach, platt, ohne alle Eleganz, Beispiel: In Abwesenheit des Lehrers machen sich die Herren Künstler das geistreiche Vergnügen, ein von diesem mit vieler Sorgfalt aus Thon zum Zwecke des Nachzeichnens gefertigtes Thiermodell zu zerstören. „Wie eine Jndicmerhvrde stürzte sich, so erzählt der Herr Verfasser, der Schwarm aufgeregter Schüler auf den Gegenstand jahrelangen Hasses. Bücher, Reißzeuge, was ein Jeder zur Hand hatte, flog nach dem gypsernett Ungethüme. Durch ein eisernes Winkelmaß, das es streifte, ward ihm zunächst ein Stück Hintertheil abgerissen. Der lange Hoffmann aber hatte das Glück, durch einen furchtbaren Schlag mit seinem Ziegenhainer das Thier in zwei Theile zu zerlegen, worauf Herzer den Kopf durchs offene Fenster warf. Ein toller Freudentanz feierte das glückliche Ereigniß. In der kriegerischen Stim¬ mung, die nun einmal herrschte, ward ein Gefecht begonnen und bald durch- tobte ein Tumult die stillen Schulräume, wie er lauge uicht von uns selbst Ersahreneren erlebt worden war. Hoffmann besonders, der glückliche Modell- tödter, that es Allen im Kampf zuvor. Er trotzte ohne Schild allen auf ihn geschleuderten Kngeln und wußte unermüdlich Geschosse von solch' gefährlicher Größe zu verschießen, daß gewiß alle Schilder in die Höhe fuhren, sobald Hoffmann sich von Neuem aus dem Kasten versorgt hatte. Thüren, Wände und Bretter waren mit Thonklumpen bereits förmlich gefleckt, als Hoffmann einen kindskopfgroßen Ballen Thon mit solcher Vehemenz nach der Thür schleuderte, daß Alle in der Nähe Stehenden jäh bei Seite flüchteten. Im selben Augen¬ blick trat Hühnel (der Lehrer) herein und erhielt den Thonklumpen so exakt übers Gesicht, daß dieses vollständig zugedeckt ward und der kleine Hühnel von der Gewalt des Wurfes beinahe umgefallen wäre. Dank diesem glücklichen Umstand gelang es fast Allen, auf ihre Plätze zu kommen, während Hoffmann und Wiegand auf Hühnel zusprangen und heuchlerisch besorgt ihm die erste Hills^ leisteten. Die ganze Klasse saß in scheinbar nie gestörter Ruhe als das ab¬ wechselnd hochrothe und kreidebleiche Antlitz Hühnels von der weichen klebrigen Masse endlich befreit war. Schauerlich betupft, eiuen letzten Rest wie einen Stern im Haar, schritt Hühnel bleich in höchster Erregung, mit dem heiser hervorgestoßenen Worten: „Es ist gut!" an den beiden Helfern vorüber ans die Thür seiner Stube zu, die er ausschloß, um sie hinter sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/266>, abgerufen am 25.08.2024.