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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der Mehrzahl ihrer Vertreter den Glauben an eine persönliche Fortdauer nach
dein Tode abgelehnt hat. Plato, der, wie Pindar, ans Pythagoräischen Quellen
schöpft, auch wie dieser die Seelenwanderung lehrt, steht in der energische"
Vertheidigung der Unsterblichkeit ziemlich isolirt.

Einen gewissen Ersatz für den durch die Philosophie entwurzelten Volks¬
glauben an Hades, Elysium und Tartarus gewährten die Mysterien, welche in
symbolisch-dramatischer Gestalt dnrch die Mittel der Kunst die Gewißheit
eines den Tod überdauernden ewigen Lebens der bangen Seele zu geben
suchten.

Theils auf dem Boden griechischer, theils auf den Grundlagen etruskischer
Gesammtanschanung entwickelte sich der Geist der römischen Religion.' Der
Todeskultus Etruriens mit seinen düsteren schauervollen Schreckensgestalten,
der jedoch neben furchtbaren Strafen auch freudenreichen Lohn nach dem Ge¬
richt der Vergeltung verkündete, wenn er anch keinen Weg aus der Unterwelt
zum himmlischen Dasein zeigte, gewann freilich unter den Römern keinen
Raum. Aber den etrurischen Ernst der Lebensauffassung eigneten sie sich an.
Ihre Eschatologie ist, sehen wir ab von der aus Etrurien herübergenvmmenett
Verehrung der Laren, apvtheosirter Menschen, wesentlich mit der griechischen
identisch und im Laufe der Kulturentwicklung ebenso wie diese den zersetzenden
Einflüssen der Philosophie erlegen.

Da Spieß offenbar die Reihenfolge der Völker, mit deren Vorstellungs¬
kreisen er uns bekannt macht, nach dem zeitlichen Auftreten derselben innerhalb
der Weltgeschichte bestimmt, so führt er uns jetzt von Griechenland und Rom
zu den Kelten, Germanen und Slaven. --

Es ist sehr schwer festzustellen, welche Bestandtheile der als drnidisch
überlieferten Lehren in der That diese Bezeichnung verdienen, und in welchen
wir vielmehr spätere Zusätze aus der christlichen Zeit zu sehen haben, nur dies
ist feststehend, daß sie, ein treubewahrtes Erbe aus der asiatischen Urheimath,
den Glauben an die Seelenwanderung hegten und in ihr die Idee der Vergel¬
tung sich vergegenwärtigten.

Ein andrer Geist weht in der nordisch-germanischen Anschauung, die
Kampfeslust bestimmt die Eschatologie. In Odins Todtenhalle gelangt nur,
wer auf dem Schlachtfeld gefallen ist, wer aber den Strvhtod ans dem Kranken'
lager gestorben, ist dein dunklen Reich der Hel verfallen. So liegt die Ent-
scheidung uicht in der Hand der Freiheit, sondern die Schicksalsgöttinnen, die
Nornen -- die Parzen der Germanen -- Urdhr, Werdandi und Skuld, Ver¬
gangenheit, Gegenwart und Zukunft -- werfen das Loos. Urdhr ist die böse
Fee, welche den Neugeborenen Schmerzliches weissagt, wie dem Dornröschen


der Mehrzahl ihrer Vertreter den Glauben an eine persönliche Fortdauer nach
dein Tode abgelehnt hat. Plato, der, wie Pindar, ans Pythagoräischen Quellen
schöpft, auch wie dieser die Seelenwanderung lehrt, steht in der energische»
Vertheidigung der Unsterblichkeit ziemlich isolirt.

Einen gewissen Ersatz für den durch die Philosophie entwurzelten Volks¬
glauben an Hades, Elysium und Tartarus gewährten die Mysterien, welche in
symbolisch-dramatischer Gestalt dnrch die Mittel der Kunst die Gewißheit
eines den Tod überdauernden ewigen Lebens der bangen Seele zu geben
suchten.

Theils auf dem Boden griechischer, theils auf den Grundlagen etruskischer
Gesammtanschanung entwickelte sich der Geist der römischen Religion.' Der
Todeskultus Etruriens mit seinen düsteren schauervollen Schreckensgestalten,
der jedoch neben furchtbaren Strafen auch freudenreichen Lohn nach dem Ge¬
richt der Vergeltung verkündete, wenn er anch keinen Weg aus der Unterwelt
zum himmlischen Dasein zeigte, gewann freilich unter den Römern keinen
Raum. Aber den etrurischen Ernst der Lebensauffassung eigneten sie sich an.
Ihre Eschatologie ist, sehen wir ab von der aus Etrurien herübergenvmmenett
Verehrung der Laren, apvtheosirter Menschen, wesentlich mit der griechischen
identisch und im Laufe der Kulturentwicklung ebenso wie diese den zersetzenden
Einflüssen der Philosophie erlegen.

Da Spieß offenbar die Reihenfolge der Völker, mit deren Vorstellungs¬
kreisen er uns bekannt macht, nach dem zeitlichen Auftreten derselben innerhalb
der Weltgeschichte bestimmt, so führt er uns jetzt von Griechenland und Rom
zu den Kelten, Germanen und Slaven. —

Es ist sehr schwer festzustellen, welche Bestandtheile der als drnidisch
überlieferten Lehren in der That diese Bezeichnung verdienen, und in welchen
wir vielmehr spätere Zusätze aus der christlichen Zeit zu sehen haben, nur dies
ist feststehend, daß sie, ein treubewahrtes Erbe aus der asiatischen Urheimath,
den Glauben an die Seelenwanderung hegten und in ihr die Idee der Vergel¬
tung sich vergegenwärtigten.

Ein andrer Geist weht in der nordisch-germanischen Anschauung, die
Kampfeslust bestimmt die Eschatologie. In Odins Todtenhalle gelangt nur,
wer auf dem Schlachtfeld gefallen ist, wer aber den Strvhtod ans dem Kranken'
lager gestorben, ist dein dunklen Reich der Hel verfallen. So liegt die Ent-
scheidung uicht in der Hand der Freiheit, sondern die Schicksalsgöttinnen, die
Nornen — die Parzen der Germanen — Urdhr, Werdandi und Skuld, Ver¬
gangenheit, Gegenwart und Zukunft — werfen das Loos. Urdhr ist die böse
Fee, welche den Neugeborenen Schmerzliches weissagt, wie dem Dornröschen


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[0254] der Mehrzahl ihrer Vertreter den Glauben an eine persönliche Fortdauer nach dein Tode abgelehnt hat. Plato, der, wie Pindar, ans Pythagoräischen Quellen schöpft, auch wie dieser die Seelenwanderung lehrt, steht in der energische» Vertheidigung der Unsterblichkeit ziemlich isolirt. Einen gewissen Ersatz für den durch die Philosophie entwurzelten Volks¬ glauben an Hades, Elysium und Tartarus gewährten die Mysterien, welche in symbolisch-dramatischer Gestalt dnrch die Mittel der Kunst die Gewißheit eines den Tod überdauernden ewigen Lebens der bangen Seele zu geben suchten. Theils auf dem Boden griechischer, theils auf den Grundlagen etruskischer Gesammtanschanung entwickelte sich der Geist der römischen Religion.' Der Todeskultus Etruriens mit seinen düsteren schauervollen Schreckensgestalten, der jedoch neben furchtbaren Strafen auch freudenreichen Lohn nach dem Ge¬ richt der Vergeltung verkündete, wenn er anch keinen Weg aus der Unterwelt zum himmlischen Dasein zeigte, gewann freilich unter den Römern keinen Raum. Aber den etrurischen Ernst der Lebensauffassung eigneten sie sich an. Ihre Eschatologie ist, sehen wir ab von der aus Etrurien herübergenvmmenett Verehrung der Laren, apvtheosirter Menschen, wesentlich mit der griechischen identisch und im Laufe der Kulturentwicklung ebenso wie diese den zersetzenden Einflüssen der Philosophie erlegen. Da Spieß offenbar die Reihenfolge der Völker, mit deren Vorstellungs¬ kreisen er uns bekannt macht, nach dem zeitlichen Auftreten derselben innerhalb der Weltgeschichte bestimmt, so führt er uns jetzt von Griechenland und Rom zu den Kelten, Germanen und Slaven. — Es ist sehr schwer festzustellen, welche Bestandtheile der als drnidisch überlieferten Lehren in der That diese Bezeichnung verdienen, und in welchen wir vielmehr spätere Zusätze aus der christlichen Zeit zu sehen haben, nur dies ist feststehend, daß sie, ein treubewahrtes Erbe aus der asiatischen Urheimath, den Glauben an die Seelenwanderung hegten und in ihr die Idee der Vergel¬ tung sich vergegenwärtigten. Ein andrer Geist weht in der nordisch-germanischen Anschauung, die Kampfeslust bestimmt die Eschatologie. In Odins Todtenhalle gelangt nur, wer auf dem Schlachtfeld gefallen ist, wer aber den Strvhtod ans dem Kranken' lager gestorben, ist dein dunklen Reich der Hel verfallen. So liegt die Ent- scheidung uicht in der Hand der Freiheit, sondern die Schicksalsgöttinnen, die Nornen — die Parzen der Germanen — Urdhr, Werdandi und Skuld, Ver¬ gangenheit, Gegenwart und Zukunft — werfen das Loos. Urdhr ist die böse Fee, welche den Neugeborenen Schmerzliches weissagt, wie dem Dornröschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/254>, abgerufen am 23.07.2024.