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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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um dem Halbgott Herakles ein seinem Wesen entsprechendes Loos zu gewähren,
er selbst weilt im Kreis' der unsterblichen Götter, während sein Schattenbild
(Eidolou) in den Hades gebannt ist.

In der nnchhvmerischen Zeit sehen wir je länger je mehr die Einheit
eines zusammenhaltenden Volksglaubens sich auflösen und je nach der Eigen¬
thümlichkeit der Individualitäten einer Fülle entgegengesetzter Anschanungen
Platz machen. Hier finden wir ein treues Festhalten um dem Glauben der
Väter, dort eine ihn fast völlig verneinende Skepsis.

Eine etwas fremdartige Gestaltung hat die Eschatologie in den Gedichten
Pindars empfangen, orientalische Vorstellungen haben sich mit ursprünglich
griechischen verschmolzen. Pindar hat die Lehre von der Seelenwanderung
herübergenommen, jedoch nicht, wie die Aegypter es thun, ihr nur die Unge¬
rechten unterworfen, auch nicht, wie wir es bei den Indern gefunden haben,
dieselbe ziellos ausgedehnt, vielmehr sie im ethischen Interesse umgestaltet, sie
in den Dienst der vergeltenden, ausgleichenden und prüfenden Gerechtigkeit
gestellt. Die Ungerechten kehren zu qualvollen Geschick auf die Erde zurück,
zu den Inseln der Seligen aber gelangen die, welche es vermocht haben, bei
einem dreimaligen Leben ans der Ober- und Unterwelt die Seele völlig rein
von allen: Unrecht zu erhalten. Jedoch anch den Ungerechten ist nicht ewiges
Verderben beschieden, die Seelen derer, welche Persephone nach neunjähriger
Buße - so lange dauert die Zeit der Sühnung für große Verbrechen ^
von der Schuld erlöst, kommen wieder ans die Oberwelt zurück und leben
uun dort als ausgezeichnete Menschen, die später als Heroen verehrt werden.^)

Auch das ist charakteristisch für die durchgreifend ethische Anschauungsweise
Piudars, daß der Begriff des Hades den unbestimmten Charakter verloren hat,
ethisch differenzirt ist, in den unseligen Tartarus und das selige Elysium
sich scheidet.

Wir verzichten darauf, die Stellung der griechischen Philosophie zur Idee
der Unsterblichkeit in das Ange zu fassen, theils weil in derselben das einheit¬
liche religiöse Vvlksüewußtsein nicht sowohl zum Ausdrucke gelangt, als vielmehr
Ersetzt ist, theils weil sie nicht als Resultat unmittelbarer Anschauung, sondern
?>um größesten Theile als Ergebniß des wissenschaftlich gerichteten Denkens zu
begreifen ist. Wir beschränken uns nur darauf, daran zu erinnern, daß sie in



*) Wir können hier der Auslegung von Spieß, daß Pindar an Menschen denkt, .denen
^ auf Erden traurig ergangen, und denen nun eine Entschädigung zu Theil werden soll,
""de folgen. Der Begriff der alten Sündenschuld, von der Persephone befreit, scheint dagegen
6" sprechen, vgl. B tppard Pindars Leben, Weltanschauung und Kunst. Jena 1848. S. 86:
--Die Strafe ist nnr der nothwendige Durchgangspunkt zum besseren Sein, nicht blos Ber¬
atung, sondern zugleich auch Läuterung und Warnung."
Grenzooteu lV. 1^77. W

um dem Halbgott Herakles ein seinem Wesen entsprechendes Loos zu gewähren,
er selbst weilt im Kreis' der unsterblichen Götter, während sein Schattenbild
(Eidolou) in den Hades gebannt ist.

In der nnchhvmerischen Zeit sehen wir je länger je mehr die Einheit
eines zusammenhaltenden Volksglaubens sich auflösen und je nach der Eigen¬
thümlichkeit der Individualitäten einer Fülle entgegengesetzter Anschanungen
Platz machen. Hier finden wir ein treues Festhalten um dem Glauben der
Väter, dort eine ihn fast völlig verneinende Skepsis.

Eine etwas fremdartige Gestaltung hat die Eschatologie in den Gedichten
Pindars empfangen, orientalische Vorstellungen haben sich mit ursprünglich
griechischen verschmolzen. Pindar hat die Lehre von der Seelenwanderung
herübergenommen, jedoch nicht, wie die Aegypter es thun, ihr nur die Unge¬
rechten unterworfen, auch nicht, wie wir es bei den Indern gefunden haben,
dieselbe ziellos ausgedehnt, vielmehr sie im ethischen Interesse umgestaltet, sie
in den Dienst der vergeltenden, ausgleichenden und prüfenden Gerechtigkeit
gestellt. Die Ungerechten kehren zu qualvollen Geschick auf die Erde zurück,
zu den Inseln der Seligen aber gelangen die, welche es vermocht haben, bei
einem dreimaligen Leben ans der Ober- und Unterwelt die Seele völlig rein
von allen: Unrecht zu erhalten. Jedoch anch den Ungerechten ist nicht ewiges
Verderben beschieden, die Seelen derer, welche Persephone nach neunjähriger
Buße - so lange dauert die Zeit der Sühnung für große Verbrechen ^
von der Schuld erlöst, kommen wieder ans die Oberwelt zurück und leben
uun dort als ausgezeichnete Menschen, die später als Heroen verehrt werden.^)

Auch das ist charakteristisch für die durchgreifend ethische Anschauungsweise
Piudars, daß der Begriff des Hades den unbestimmten Charakter verloren hat,
ethisch differenzirt ist, in den unseligen Tartarus und das selige Elysium
sich scheidet.

Wir verzichten darauf, die Stellung der griechischen Philosophie zur Idee
der Unsterblichkeit in das Ange zu fassen, theils weil in derselben das einheit¬
liche religiöse Vvlksüewußtsein nicht sowohl zum Ausdrucke gelangt, als vielmehr
Ersetzt ist, theils weil sie nicht als Resultat unmittelbarer Anschauung, sondern
?>um größesten Theile als Ergebniß des wissenschaftlich gerichteten Denkens zu
begreifen ist. Wir beschränken uns nur darauf, daran zu erinnern, daß sie in



*) Wir können hier der Auslegung von Spieß, daß Pindar an Menschen denkt, .denen
^ auf Erden traurig ergangen, und denen nun eine Entschädigung zu Theil werden soll,
""de folgen. Der Begriff der alten Sündenschuld, von der Persephone befreit, scheint dagegen
6" sprechen, vgl. B tppard Pindars Leben, Weltanschauung und Kunst. Jena 1848. S. 86:
--Die Strafe ist nnr der nothwendige Durchgangspunkt zum besseren Sein, nicht blos Ber¬
atung, sondern zugleich auch Läuterung und Warnung."
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[0253] um dem Halbgott Herakles ein seinem Wesen entsprechendes Loos zu gewähren, er selbst weilt im Kreis' der unsterblichen Götter, während sein Schattenbild (Eidolou) in den Hades gebannt ist. In der nnchhvmerischen Zeit sehen wir je länger je mehr die Einheit eines zusammenhaltenden Volksglaubens sich auflösen und je nach der Eigen¬ thümlichkeit der Individualitäten einer Fülle entgegengesetzter Anschanungen Platz machen. Hier finden wir ein treues Festhalten um dem Glauben der Väter, dort eine ihn fast völlig verneinende Skepsis. Eine etwas fremdartige Gestaltung hat die Eschatologie in den Gedichten Pindars empfangen, orientalische Vorstellungen haben sich mit ursprünglich griechischen verschmolzen. Pindar hat die Lehre von der Seelenwanderung herübergenommen, jedoch nicht, wie die Aegypter es thun, ihr nur die Unge¬ rechten unterworfen, auch nicht, wie wir es bei den Indern gefunden haben, dieselbe ziellos ausgedehnt, vielmehr sie im ethischen Interesse umgestaltet, sie in den Dienst der vergeltenden, ausgleichenden und prüfenden Gerechtigkeit gestellt. Die Ungerechten kehren zu qualvollen Geschick auf die Erde zurück, zu den Inseln der Seligen aber gelangen die, welche es vermocht haben, bei einem dreimaligen Leben ans der Ober- und Unterwelt die Seele völlig rein von allen: Unrecht zu erhalten. Jedoch anch den Ungerechten ist nicht ewiges Verderben beschieden, die Seelen derer, welche Persephone nach neunjähriger Buße - so lange dauert die Zeit der Sühnung für große Verbrechen ^ von der Schuld erlöst, kommen wieder ans die Oberwelt zurück und leben uun dort als ausgezeichnete Menschen, die später als Heroen verehrt werden.^) Auch das ist charakteristisch für die durchgreifend ethische Anschauungsweise Piudars, daß der Begriff des Hades den unbestimmten Charakter verloren hat, ethisch differenzirt ist, in den unseligen Tartarus und das selige Elysium sich scheidet. Wir verzichten darauf, die Stellung der griechischen Philosophie zur Idee der Unsterblichkeit in das Ange zu fassen, theils weil in derselben das einheit¬ liche religiöse Vvlksüewußtsein nicht sowohl zum Ausdrucke gelangt, als vielmehr Ersetzt ist, theils weil sie nicht als Resultat unmittelbarer Anschauung, sondern ?>um größesten Theile als Ergebniß des wissenschaftlich gerichteten Denkens zu begreifen ist. Wir beschränken uns nur darauf, daran zu erinnern, daß sie in *) Wir können hier der Auslegung von Spieß, daß Pindar an Menschen denkt, .denen ^ auf Erden traurig ergangen, und denen nun eine Entschädigung zu Theil werden soll, ""de folgen. Der Begriff der alten Sündenschuld, von der Persephone befreit, scheint dagegen 6" sprechen, vgl. B tppard Pindars Leben, Weltanschauung und Kunst. Jena 1848. S. 86: --Die Strafe ist nnr der nothwendige Durchgangspunkt zum besseren Sein, nicht blos Ber¬ atung, sondern zugleich auch Läuterung und Warnung." Grenzooteu lV. 1^77. W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/253>, abgerufen am 23.07.2024.