Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber das Schicksal der Seele entschied Osiris, drei andere Götter nahmen
am Gericht wirksam Theil, und außerdem waren zweiundvierzig Götter als
Beisitzer thätig, vor denen der Gestorbene sich in Bezug ans die zweiundvierzig
Hauptsünden rechtfertigen mußte. Welcher Art diese waren, darüber gibt uns
ein Bekenntniß Aufschluß, in dem es heißt: "Ich habe uicht gestohlen, uicht
getödtet, uicht gelogen oder verleumdet, die Ehe uicht gebrochen, habe die
Opfer der Götter nicht geraubt, das dein Tempel Geweihte nicht aufgezehrt,
habe einen Hohenpriester oder göttlichen Herrn nicht verunehrt, den Thieren
das Kraut uicht verweigert, die einem Gotte bestimmten Gänse nicht verunehrt,
das einem Gotte bestimmte Rind uicht geschlachtet, ich habe Niemanden hungern,
dürsten oder weine" lassen; weder den König noch meinen Vater habe ich
geschmäht."

Dies himmlische Todtengericht wurde dnrch ein irdisches abgebildet. Die
Aufnahme in die Nekropole hing von dem Ergebniß eines Gerichtsverfahrens
ab, bei welchem es jedem frei stand, Anklagen gegen den Verstorbenen zu er¬
heben; anch hier fungirten zwei und vierzig Richter.

Welcher Gegensatz zwischen der ägyptischen und chinesischen Weltanschauung,
auf welch'e -- um des Kontrastes willen? der Verfasser jetzt den Blick
lenkt. Dort ein Volk mehr dem Jenseits als dem Diesseits zugewandt, hier
ein Volk, das so feste Wurzeln im Diesseits geschlagen hat, daß der Gedanke
an das Jenseits nur leicht das geistige Leben streift. Drei Ideenkreise desselben
müssen wir unterscheiden; die älteste Religion stand auf dem Boden der Natur¬
völker und ideutifizirte die Seelen der Verstorbenen mit den Naturgeistern.
Allmühlich wurde diese Verehrung geistiger, aber freilich auch weniger religiös,
sie verwandelte sich in pietätvolle Erinnerung an die Verstorbenen. An Stelle
des religiösen Faktors trat der moralische. Diese Richtung wurde von Kong-
fu-the legitimirt. Das Leben nach dein Tode schloß er von seinen Belehrungen
aus, dahin gerichtete Fragen ließ er unbeantwortet. Charakteristisch dafür ist
eine Unterredung desselben mit seinem Schüler Ki-Lu, "Ki-Lu that eine Frage
in Betreff der Dienstleistungen gegen die Todten. Der Meister antwortete:
Während Dn nicht einmal Menschen dienen kannst, wie willst Du ihren Gei¬
stern dienen? Ki-Lu fuhr fort: Ich wage eine Frage über den Tod. Er er¬
hielt die Antwort: Während Dn vom Leben Nichts weißt, wie kannst Du etwas
vom Tode wissen." Ebenso bedeutungsvoll ist sein Gespräch mit Tze-Krug.
"Der Meister sagte: Ich würde Nichtsprechen vorziehen. Tze-Kürg entgegnete:
Wenn Du, o Meister, Nichts sprichst, was sollen wir, Deine Schüler, zu be¬
richten haben? Der Meister antwortete und sprach: Redet der Himmel? Die
hier Jahreszeiten folgen ihrem Lauf, und Alles entsteht in seiner Zeit; spricht
aber der Himmel je Etwas?"


Ueber das Schicksal der Seele entschied Osiris, drei andere Götter nahmen
am Gericht wirksam Theil, und außerdem waren zweiundvierzig Götter als
Beisitzer thätig, vor denen der Gestorbene sich in Bezug ans die zweiundvierzig
Hauptsünden rechtfertigen mußte. Welcher Art diese waren, darüber gibt uns
ein Bekenntniß Aufschluß, in dem es heißt: „Ich habe uicht gestohlen, uicht
getödtet, uicht gelogen oder verleumdet, die Ehe uicht gebrochen, habe die
Opfer der Götter nicht geraubt, das dein Tempel Geweihte nicht aufgezehrt,
habe einen Hohenpriester oder göttlichen Herrn nicht verunehrt, den Thieren
das Kraut uicht verweigert, die einem Gotte bestimmten Gänse nicht verunehrt,
das einem Gotte bestimmte Rind uicht geschlachtet, ich habe Niemanden hungern,
dürsten oder weine» lassen; weder den König noch meinen Vater habe ich
geschmäht."

Dies himmlische Todtengericht wurde dnrch ein irdisches abgebildet. Die
Aufnahme in die Nekropole hing von dem Ergebniß eines Gerichtsverfahrens
ab, bei welchem es jedem frei stand, Anklagen gegen den Verstorbenen zu er¬
heben; anch hier fungirten zwei und vierzig Richter.

Welcher Gegensatz zwischen der ägyptischen und chinesischen Weltanschauung,
auf welch'e — um des Kontrastes willen? der Verfasser jetzt den Blick
lenkt. Dort ein Volk mehr dem Jenseits als dem Diesseits zugewandt, hier
ein Volk, das so feste Wurzeln im Diesseits geschlagen hat, daß der Gedanke
an das Jenseits nur leicht das geistige Leben streift. Drei Ideenkreise desselben
müssen wir unterscheiden; die älteste Religion stand auf dem Boden der Natur¬
völker und ideutifizirte die Seelen der Verstorbenen mit den Naturgeistern.
Allmühlich wurde diese Verehrung geistiger, aber freilich auch weniger religiös,
sie verwandelte sich in pietätvolle Erinnerung an die Verstorbenen. An Stelle
des religiösen Faktors trat der moralische. Diese Richtung wurde von Kong-
fu-the legitimirt. Das Leben nach dein Tode schloß er von seinen Belehrungen
aus, dahin gerichtete Fragen ließ er unbeantwortet. Charakteristisch dafür ist
eine Unterredung desselben mit seinem Schüler Ki-Lu, „Ki-Lu that eine Frage
in Betreff der Dienstleistungen gegen die Todten. Der Meister antwortete:
Während Dn nicht einmal Menschen dienen kannst, wie willst Du ihren Gei¬
stern dienen? Ki-Lu fuhr fort: Ich wage eine Frage über den Tod. Er er¬
hielt die Antwort: Während Dn vom Leben Nichts weißt, wie kannst Du etwas
vom Tode wissen." Ebenso bedeutungsvoll ist sein Gespräch mit Tze-Krug.
»Der Meister sagte: Ich würde Nichtsprechen vorziehen. Tze-Kürg entgegnete:
Wenn Du, o Meister, Nichts sprichst, was sollen wir, Deine Schüler, zu be¬
richten haben? Der Meister antwortete und sprach: Redet der Himmel? Die
hier Jahreszeiten folgen ihrem Lauf, und Alles entsteht in seiner Zeit; spricht
aber der Himmel je Etwas?"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139008"/>
          <p xml:id="ID_733"> Ueber das Schicksal der Seele entschied Osiris, drei andere Götter nahmen<lb/>
am Gericht wirksam Theil, und außerdem waren zweiundvierzig Götter als<lb/>
Beisitzer thätig, vor denen der Gestorbene sich in Bezug ans die zweiundvierzig<lb/>
Hauptsünden rechtfertigen mußte. Welcher Art diese waren, darüber gibt uns<lb/>
ein Bekenntniß Aufschluß, in dem es heißt: &#x201E;Ich habe uicht gestohlen, uicht<lb/>
getödtet, uicht gelogen oder verleumdet, die Ehe uicht gebrochen, habe die<lb/>
Opfer der Götter nicht geraubt, das dein Tempel Geweihte nicht aufgezehrt,<lb/>
habe einen Hohenpriester oder göttlichen Herrn nicht verunehrt, den Thieren<lb/>
das Kraut uicht verweigert, die einem Gotte bestimmten Gänse nicht verunehrt,<lb/>
das einem Gotte bestimmte Rind uicht geschlachtet, ich habe Niemanden hungern,<lb/>
dürsten oder weine» lassen; weder den König noch meinen Vater habe ich<lb/>
geschmäht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_734"> Dies himmlische Todtengericht wurde dnrch ein irdisches abgebildet. Die<lb/>
Aufnahme in die Nekropole hing von dem Ergebniß eines Gerichtsverfahrens<lb/>
ab, bei welchem es jedem frei stand, Anklagen gegen den Verstorbenen zu er¬<lb/>
heben; anch hier fungirten zwei und vierzig Richter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_735"> Welcher Gegensatz zwischen der ägyptischen und chinesischen Weltanschauung,<lb/>
auf welch'e &#x2014; um des Kontrastes willen? der Verfasser jetzt den Blick<lb/>
lenkt. Dort ein Volk mehr dem Jenseits als dem Diesseits zugewandt, hier<lb/>
ein Volk, das so feste Wurzeln im Diesseits geschlagen hat, daß der Gedanke<lb/>
an das Jenseits nur leicht das geistige Leben streift. Drei Ideenkreise desselben<lb/>
müssen wir unterscheiden; die älteste Religion stand auf dem Boden der Natur¬<lb/>
völker und ideutifizirte die Seelen der Verstorbenen mit den Naturgeistern.<lb/>
Allmühlich wurde diese Verehrung geistiger, aber freilich auch weniger religiös,<lb/>
sie verwandelte sich in pietätvolle Erinnerung an die Verstorbenen. An Stelle<lb/>
des religiösen Faktors trat der moralische. Diese Richtung wurde von Kong-<lb/>
fu-the legitimirt. Das Leben nach dein Tode schloß er von seinen Belehrungen<lb/>
aus, dahin gerichtete Fragen ließ er unbeantwortet. Charakteristisch dafür ist<lb/>
eine Unterredung desselben mit seinem Schüler Ki-Lu, &#x201E;Ki-Lu that eine Frage<lb/>
in Betreff der Dienstleistungen gegen die Todten. Der Meister antwortete:<lb/>
Während Dn nicht einmal Menschen dienen kannst, wie willst Du ihren Gei¬<lb/>
stern dienen? Ki-Lu fuhr fort: Ich wage eine Frage über den Tod. Er er¬<lb/>
hielt die Antwort: Während Dn vom Leben Nichts weißt, wie kannst Du etwas<lb/>
vom Tode wissen." Ebenso bedeutungsvoll ist sein Gespräch mit Tze-Krug.<lb/>
»Der Meister sagte: Ich würde Nichtsprechen vorziehen. Tze-Kürg entgegnete:<lb/>
Wenn Du, o Meister, Nichts sprichst, was sollen wir, Deine Schüler, zu be¬<lb/>
richten haben? Der Meister antwortete und sprach: Redet der Himmel? Die<lb/>
hier Jahreszeiten folgen ihrem Lauf, und Alles entsteht in seiner Zeit; spricht<lb/>
aber der Himmel je Etwas?"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] Ueber das Schicksal der Seele entschied Osiris, drei andere Götter nahmen am Gericht wirksam Theil, und außerdem waren zweiundvierzig Götter als Beisitzer thätig, vor denen der Gestorbene sich in Bezug ans die zweiundvierzig Hauptsünden rechtfertigen mußte. Welcher Art diese waren, darüber gibt uns ein Bekenntniß Aufschluß, in dem es heißt: „Ich habe uicht gestohlen, uicht getödtet, uicht gelogen oder verleumdet, die Ehe uicht gebrochen, habe die Opfer der Götter nicht geraubt, das dein Tempel Geweihte nicht aufgezehrt, habe einen Hohenpriester oder göttlichen Herrn nicht verunehrt, den Thieren das Kraut uicht verweigert, die einem Gotte bestimmten Gänse nicht verunehrt, das einem Gotte bestimmte Rind uicht geschlachtet, ich habe Niemanden hungern, dürsten oder weine» lassen; weder den König noch meinen Vater habe ich geschmäht." Dies himmlische Todtengericht wurde dnrch ein irdisches abgebildet. Die Aufnahme in die Nekropole hing von dem Ergebniß eines Gerichtsverfahrens ab, bei welchem es jedem frei stand, Anklagen gegen den Verstorbenen zu er¬ heben; anch hier fungirten zwei und vierzig Richter. Welcher Gegensatz zwischen der ägyptischen und chinesischen Weltanschauung, auf welch'e — um des Kontrastes willen? der Verfasser jetzt den Blick lenkt. Dort ein Volk mehr dem Jenseits als dem Diesseits zugewandt, hier ein Volk, das so feste Wurzeln im Diesseits geschlagen hat, daß der Gedanke an das Jenseits nur leicht das geistige Leben streift. Drei Ideenkreise desselben müssen wir unterscheiden; die älteste Religion stand auf dem Boden der Natur¬ völker und ideutifizirte die Seelen der Verstorbenen mit den Naturgeistern. Allmühlich wurde diese Verehrung geistiger, aber freilich auch weniger religiös, sie verwandelte sich in pietätvolle Erinnerung an die Verstorbenen. An Stelle des religiösen Faktors trat der moralische. Diese Richtung wurde von Kong- fu-the legitimirt. Das Leben nach dein Tode schloß er von seinen Belehrungen aus, dahin gerichtete Fragen ließ er unbeantwortet. Charakteristisch dafür ist eine Unterredung desselben mit seinem Schüler Ki-Lu, „Ki-Lu that eine Frage in Betreff der Dienstleistungen gegen die Todten. Der Meister antwortete: Während Dn nicht einmal Menschen dienen kannst, wie willst Du ihren Gei¬ stern dienen? Ki-Lu fuhr fort: Ich wage eine Frage über den Tod. Er er¬ hielt die Antwort: Während Dn vom Leben Nichts weißt, wie kannst Du etwas vom Tode wissen." Ebenso bedeutungsvoll ist sein Gespräch mit Tze-Krug. »Der Meister sagte: Ich würde Nichtsprechen vorziehen. Tze-Kürg entgegnete: Wenn Du, o Meister, Nichts sprichst, was sollen wir, Deine Schüler, zu be¬ richten haben? Der Meister antwortete und sprach: Redet der Himmel? Die hier Jahreszeiten folgen ihrem Lauf, und Alles entsteht in seiner Zeit; spricht aber der Himmel je Etwas?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/249>, abgerufen am 23.07.2024.