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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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findet sich die Mnmifizirung auch bei den Urbewohnern der kanarischen Inseln,
bei den alten Mexikanern und Peruanern und ruht sicher auf derselben Vor¬
aussetzung, daß eine gewisse Identität zwischen dein Leichnam und der Seele
bestehe, daß nur in der Conservirung des ersteren die Realität der letzteren
verbürgt sei, aber in Aegypten wurde die Mnmifizirnng, auch als diese Vor¬
stellung gefallen war, beobachtet und wohl nicht nnr als alte, jetzt nicht mehr
religiös werthvolle Sitte. Die Seele des Gestorbenen wurde als in Rapport
zu dem verlassenen Körper stehend gedacht, mau glaubte, daß sie häufig den¬
selben besuche. Noch begreiflicher würde uns die Muinifizirnng erscheinen,
wenn die Altgabe Theophrasts") begründet wäre, daß die Aegypter geglaubt
haben, daß nach Ablauf einer Sothisperiode^) von dreitausend Jahren die
Seele in den früheren Körper zurückkehre. Mag diese Angabe nicht völlig
zutreffend sein, so fehlt es doch nicht an Anhaltepunkten für die Voraussetzung,
daß aus den Bestandtheilen des abgelegten Leibes der zukünftige gebildet
werde. Dahin rechnen wir, wenn es vom Gott Anubis, dem Genius des
mumifizirten Körpers, heißt, er mache die Glieder des Verstorbenen, und wenn
er in Inschriften zu dem Todten sagt: Ich komme, ich bringe Dir Deine
Glieder.

Was die Lehre von der Seelenwanderung betrifft, so müsse" wir die
Wandelungen, welche die Gottlosen erwarten, von denen unterscheiden, welche
den Frommen beschieden sind. Von jenen gilt, daß sie in niedere Organis¬
men eingehen, um später von neuem ein menschliches Dasein zu beginnen,
während diese die mannigfaltigen Räume der Unterwelt, des Amenthe, und des
Gestirn-Himmels zu durchwandern haben, bis sie zur vollen Anschauung des
göttlichen Sonnenlichts gelangen.

Die Seelen der Frommen empfangen den Zunamen des Gottes Osiris,
ein unzweifelhafter Beweis für den pantheistischen Zug in der ägyptischen
Religion, den auch audere Thatsache" beweise". Wenn es heißt: Dein Herz
ist nun das Herz des Ra, deine Glieder sind die Glieder des großen Horns
wenn die Seele des Frommen die Sonne auf ihrem Weltlauf begleitet, in der
Barke des Sonnengottes, zugleich mit den Göttern, so sind dies unverkennbare
Zeugnisse einer pantheistischen Anschauung. Und es erleidet keinen Zweifel,
daß die Erkenntniß des dem theologischen System zu Grunde liegenden Pan¬
theismus zu den Geheimlehren des Priesterthums gehörte. Selbstverständlich
waren in der Volksvorstelluug Momente genug, die mit dem Pantheismus in
Widerspruch standen.





*) Zeitgenosse Mäanders des Große".
**) Sothis, der Hundstern.
Sohn des Ostris.

findet sich die Mnmifizirung auch bei den Urbewohnern der kanarischen Inseln,
bei den alten Mexikanern und Peruanern und ruht sicher auf derselben Vor¬
aussetzung, daß eine gewisse Identität zwischen dein Leichnam und der Seele
bestehe, daß nur in der Conservirung des ersteren die Realität der letzteren
verbürgt sei, aber in Aegypten wurde die Mnmifizirnng, auch als diese Vor¬
stellung gefallen war, beobachtet und wohl nicht nnr als alte, jetzt nicht mehr
religiös werthvolle Sitte. Die Seele des Gestorbenen wurde als in Rapport
zu dem verlassenen Körper stehend gedacht, mau glaubte, daß sie häufig den¬
selben besuche. Noch begreiflicher würde uns die Muinifizirnng erscheinen,
wenn die Altgabe Theophrasts") begründet wäre, daß die Aegypter geglaubt
haben, daß nach Ablauf einer Sothisperiode^) von dreitausend Jahren die
Seele in den früheren Körper zurückkehre. Mag diese Angabe nicht völlig
zutreffend sein, so fehlt es doch nicht an Anhaltepunkten für die Voraussetzung,
daß aus den Bestandtheilen des abgelegten Leibes der zukünftige gebildet
werde. Dahin rechnen wir, wenn es vom Gott Anubis, dem Genius des
mumifizirten Körpers, heißt, er mache die Glieder des Verstorbenen, und wenn
er in Inschriften zu dem Todten sagt: Ich komme, ich bringe Dir Deine
Glieder.

Was die Lehre von der Seelenwanderung betrifft, so müsse» wir die
Wandelungen, welche die Gottlosen erwarten, von denen unterscheiden, welche
den Frommen beschieden sind. Von jenen gilt, daß sie in niedere Organis¬
men eingehen, um später von neuem ein menschliches Dasein zu beginnen,
während diese die mannigfaltigen Räume der Unterwelt, des Amenthe, und des
Gestirn-Himmels zu durchwandern haben, bis sie zur vollen Anschauung des
göttlichen Sonnenlichts gelangen.

Die Seelen der Frommen empfangen den Zunamen des Gottes Osiris,
ein unzweifelhafter Beweis für den pantheistischen Zug in der ägyptischen
Religion, den auch audere Thatsache» beweise». Wenn es heißt: Dein Herz
ist nun das Herz des Ra, deine Glieder sind die Glieder des großen Horns
wenn die Seele des Frommen die Sonne auf ihrem Weltlauf begleitet, in der
Barke des Sonnengottes, zugleich mit den Göttern, so sind dies unverkennbare
Zeugnisse einer pantheistischen Anschauung. Und es erleidet keinen Zweifel,
daß die Erkenntniß des dem theologischen System zu Grunde liegenden Pan¬
theismus zu den Geheimlehren des Priesterthums gehörte. Selbstverständlich
waren in der Volksvorstelluug Momente genug, die mit dem Pantheismus in
Widerspruch standen.





*) Zeitgenosse Mäanders des Große».
**) Sothis, der Hundstern.
Sohn des Ostris.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/248>, abgerufen am 23.07.2024.