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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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welche zu Alexanders I. Zeiten auch in Rußland blühten, in den besten aristo¬
kratischen Kreisen ihre meisten Mitglieder.

Herzen schreibt in seiner "Charakteristik des Anfangs des 19. Jahrhunderts
in Rußland:" "Die Offiziere der Garde, welche bei Austerlitz-Eylau und
Friedland gekämpft, die Feldzttge von 1812--14 mitgemacht, Paris in Moskau
und Moskau in Paris gesehen haben, kehrten in den Jahren 1817 und 181!"
als siegreiche Generäle ins Vaterland zurück. Die Berührung mit fremden
Völkern und Lebensformen hatte einen so entscheidende" Einfluß auf diese
Mäuner ausgeübt, daß sie hinfort unfähig waren, wiederum sich an die Ruhe
des Petersburger Despotismus zu gewöhnen. Während der bessern Zeiten
Alexanders I. regierte dieser Menschenschlag Rußland. Muthig und doch sanften
Charakters, waren diese Männer von der Generation, die ihnen folgte,
durchaus verschieden. Sie hielten zwar streng auf Disziplin und zugeknöpfte
Uniforme", vor allen Dingen aber hielten sie fest an der Ehre. Ohne die
geringste Geschüftskenutuiß unterschrieben sie jedes ihnen vorgelegte Papier, ohne
sich auch nnr einen Angenblick zu besinnen; sie verschwendeten ungeheure Geld¬
summen; bei Gelegenheit nahmen sie sogar diese Summen ans dein Staatsschatze,
aber zum Spion- und Häscherdienste waren sie unfähig. Der Typus dieser
Leute war der General Miloradowitsch, der während eines langen Zeitraums
die Verwaltung Petersburgs geführt hat, ohne auch nur eiuen Gesetzesparagrapheu
zu kennen. Männlich glänzend, um nichts sich kümmernd und dabei ein unge¬
wöhnlicher Lebemann, hat ihn Alexander zehn Mal aus den Händen seiner
Gläubiger befreit, und dennoch steckte er immer bis über die Ohren in Schulden.
Artig und ritterlich, geschwätzig und ungemein angenehm, war dieser Mann der
Abgott der Soldaten."

Die prosaische Regierung Nikolaus I. konnte Mäuner dieses Schlages uicht
brauchen. Sie waren für sie zu laut, zu lärmend, -- antworteten uicht immer,
wenn sie gefragt wurden, sagten oft ihre Meinung, wenn sie gar nicht um
dieselbe gebeten waren, hatten auch ihre eigenen Ansichten, für die sie sich eben
so geschlagen hätten, wie für Zar und Vaterland. Der Nachfolger Alexander I.
wollte nichts mit Menschen dieses Schlages zu thun haben. Mau sagt, daß
sein Vertrauter, Graf Beukendorf, immer bleich wurde wenn ihn der Kaiser
zu sich rufen ließ, was beiläufig häufig zehn mal des Tages geschah. Dieses
waren Mäuner nach Nikolaus Herzen; sie waren Agenten -- uicht Gehülfen;
gut zum Ausüben, aber nicht zum Rathen; Adjutanten aber nicht Krieger und
Führer. Solche wollte Nikolaus haben, und deßhalb ging der fähigste russische
General seiner Zeit, Jermolen, an Unthätigkeit unter.

In der Generation Nikolaus I. vertrat die Pünktlichkeit das Talent, die
Ambition edlere Ziele, das Greifen nach alle" Mitteln der Produktivität des


welche zu Alexanders I. Zeiten auch in Rußland blühten, in den besten aristo¬
kratischen Kreisen ihre meisten Mitglieder.

Herzen schreibt in seiner „Charakteristik des Anfangs des 19. Jahrhunderts
in Rußland:" „Die Offiziere der Garde, welche bei Austerlitz-Eylau und
Friedland gekämpft, die Feldzttge von 1812—14 mitgemacht, Paris in Moskau
und Moskau in Paris gesehen haben, kehrten in den Jahren 1817 und 181!»
als siegreiche Generäle ins Vaterland zurück. Die Berührung mit fremden
Völkern und Lebensformen hatte einen so entscheidende» Einfluß auf diese
Mäuner ausgeübt, daß sie hinfort unfähig waren, wiederum sich an die Ruhe
des Petersburger Despotismus zu gewöhnen. Während der bessern Zeiten
Alexanders I. regierte dieser Menschenschlag Rußland. Muthig und doch sanften
Charakters, waren diese Männer von der Generation, die ihnen folgte,
durchaus verschieden. Sie hielten zwar streng auf Disziplin und zugeknöpfte
Uniforme», vor allen Dingen aber hielten sie fest an der Ehre. Ohne die
geringste Geschüftskenutuiß unterschrieben sie jedes ihnen vorgelegte Papier, ohne
sich auch nnr einen Angenblick zu besinnen; sie verschwendeten ungeheure Geld¬
summen; bei Gelegenheit nahmen sie sogar diese Summen ans dein Staatsschatze,
aber zum Spion- und Häscherdienste waren sie unfähig. Der Typus dieser
Leute war der General Miloradowitsch, der während eines langen Zeitraums
die Verwaltung Petersburgs geführt hat, ohne auch nur eiuen Gesetzesparagrapheu
zu kennen. Männlich glänzend, um nichts sich kümmernd und dabei ein unge¬
wöhnlicher Lebemann, hat ihn Alexander zehn Mal aus den Händen seiner
Gläubiger befreit, und dennoch steckte er immer bis über die Ohren in Schulden.
Artig und ritterlich, geschwätzig und ungemein angenehm, war dieser Mann der
Abgott der Soldaten."

Die prosaische Regierung Nikolaus I. konnte Mäuner dieses Schlages uicht
brauchen. Sie waren für sie zu laut, zu lärmend, — antworteten uicht immer,
wenn sie gefragt wurden, sagten oft ihre Meinung, wenn sie gar nicht um
dieselbe gebeten waren, hatten auch ihre eigenen Ansichten, für die sie sich eben
so geschlagen hätten, wie für Zar und Vaterland. Der Nachfolger Alexander I.
wollte nichts mit Menschen dieses Schlages zu thun haben. Mau sagt, daß
sein Vertrauter, Graf Beukendorf, immer bleich wurde wenn ihn der Kaiser
zu sich rufen ließ, was beiläufig häufig zehn mal des Tages geschah. Dieses
waren Mäuner nach Nikolaus Herzen; sie waren Agenten — uicht Gehülfen;
gut zum Ausüben, aber nicht zum Rathen; Adjutanten aber nicht Krieger und
Führer. Solche wollte Nikolaus haben, und deßhalb ging der fähigste russische
General seiner Zeit, Jermolen, an Unthätigkeit unter.

In der Generation Nikolaus I. vertrat die Pünktlichkeit das Talent, die
Ambition edlere Ziele, das Greifen nach alle» Mitteln der Produktivität des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/24>, abgerufen am 22.07.2024.