Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.mit anderen Wissenschaften verbinden, nicht niederreiße, sondern ausbaue und Nicht einmal hier möchte ich stehen bleiben; ich gehe noch einen Schritt mit anderen Wissenschaften verbinden, nicht niederreiße, sondern ausbaue und Nicht einmal hier möchte ich stehen bleiben; ich gehe noch einen Schritt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138987"/> <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664"> mit anderen Wissenschaften verbinden, nicht niederreiße, sondern ausbaue und<lb/> befestige. Am engsten ist die Verbindung der medizinischen Wissenschaften mit<lb/> den Naturwissenschaften; und wir dürfen stolz darauf sein, daß es uns mehr<lb/> und mehr gelingt, an unsere schwankenden Begriffe das feste Maaß strenger<lb/> Methodik, wie sie von den Naturwissenschaften ausgebildet wird, anzulegen nud<lb/> hierdurch unseren Lehrsätzen schärfere Formen zu geben. Aber auch anderen<lb/> Wissenschaften steht die medizinische uicht so fern, als ein beschränktes Urtheil<lb/> glauben lassen kann. Zwischen den philosophischen Wissenschaften und den<lb/> Naturwissenschaften, einschließlich der Medizin, ist zwar in einer früheren Zeit<lb/> einmal jede verbindende Brücke in mißverstandenen Eifer niedergerissen worden;<lb/> heute baut man von beiden Seiten her wieder an den Verbindnngsbrücken auf<lb/> und gewiß nicht zum Schaden der einen oder anderen Wissenschaft. Ich brauche<lb/> nur die neuen medizinisch-physiologischen Untersuchungen über das denkende<lb/> Organ, das Gehirn, anzuführen, um zu zeigen, daß auch die heutige Medizin<lb/> mit der heutigen Philosophie in der Forschung über die Denkthätigkeit sich verknüpft.</p><lb/> <p xml:id="ID_666" next="#ID_667"> Nicht einmal hier möchte ich stehen bleiben; ich gehe noch einen Schritt<lb/> weiter und berühre die Beziehung der wissenschaftlichen Lehre zu dem großen<lb/> und bewegten Volksleben, welches sie umgiebt. Es gab eine Zeit, in welcher<lb/> man achselzuckend das Manlwurfsleben eines wissenschaftlichen Forschers und<lb/> Lehrers als das Leben eines Sonderlings, eines außerhalb seines Kreises un¬<lb/> brauchbaren Mensche» belächelte. Man stellte sich den Professor vor, begraben<lb/> hinter einem Haufen von Büchern, lebend nur in der Welt seiner eigenen Ge¬<lb/> danken und nnr in dieser leistungsfähig, sonst aber abgelöst von dem Leben<lb/> seiner Umgebung, seines Volkes. Das war der Professor einer vergangenen<lb/> Vergangenheit. Schon lange aber klopft mächtig der Pulsschlag des öffentlichen<lb/> Lebens an die ehemals so still abgeschlossenen Universitäten, und der Puls¬<lb/> schlag des geistigen Lebens der Universitäten mischt sich mit jenem Pulsschlag<lb/> des öffentlichen Lebens zu immer höheren Wellen. Der Professor der Ge¬<lb/> genwart und der Zukunft muß in der Erfüllung seiner Lehraufgabe sich<lb/> mitten in die Welt stellen; er muß wissen, daß seine Schüler, wenigstens<lb/> der größeren Mehrzahl nach, die Früchte ihres Lernens nicht in dem stillen<lb/> Raum der Hörsäle, sondern im bewegten Getriebe der Welt und zum Nutzen<lb/> der Welt verarbeiten sollen. Fern sei es, hiermit aussprechen zu wollen,<lb/> daß es die wesentliche Aufgabe der Universitäten sei, brauchbare Beamte für<lb/> den Staatsdienst zu Schulen; im Gegentheil — ich weiß sehr wohl, daß in der<lb/> Theilung der Unterrichtsarbeit den Universitäten der mehr theoretische Theil<lb/> des höheren Unterrichts zugefallen ist, und ich halte es für unmöglich — für<lb/> mein eigenes Fach kaun ich das wenigstens bestimmt behaupten —, daß der<lb/> der junge Mann in dem Angenblick, wo er die Universität verläßt, ne das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0228]
mit anderen Wissenschaften verbinden, nicht niederreiße, sondern ausbaue und
befestige. Am engsten ist die Verbindung der medizinischen Wissenschaften mit
den Naturwissenschaften; und wir dürfen stolz darauf sein, daß es uns mehr
und mehr gelingt, an unsere schwankenden Begriffe das feste Maaß strenger
Methodik, wie sie von den Naturwissenschaften ausgebildet wird, anzulegen nud
hierdurch unseren Lehrsätzen schärfere Formen zu geben. Aber auch anderen
Wissenschaften steht die medizinische uicht so fern, als ein beschränktes Urtheil
glauben lassen kann. Zwischen den philosophischen Wissenschaften und den
Naturwissenschaften, einschließlich der Medizin, ist zwar in einer früheren Zeit
einmal jede verbindende Brücke in mißverstandenen Eifer niedergerissen worden;
heute baut man von beiden Seiten her wieder an den Verbindnngsbrücken auf
und gewiß nicht zum Schaden der einen oder anderen Wissenschaft. Ich brauche
nur die neuen medizinisch-physiologischen Untersuchungen über das denkende
Organ, das Gehirn, anzuführen, um zu zeigen, daß auch die heutige Medizin
mit der heutigen Philosophie in der Forschung über die Denkthätigkeit sich verknüpft.
Nicht einmal hier möchte ich stehen bleiben; ich gehe noch einen Schritt
weiter und berühre die Beziehung der wissenschaftlichen Lehre zu dem großen
und bewegten Volksleben, welches sie umgiebt. Es gab eine Zeit, in welcher
man achselzuckend das Manlwurfsleben eines wissenschaftlichen Forschers und
Lehrers als das Leben eines Sonderlings, eines außerhalb seines Kreises un¬
brauchbaren Mensche» belächelte. Man stellte sich den Professor vor, begraben
hinter einem Haufen von Büchern, lebend nur in der Welt seiner eigenen Ge¬
danken und nnr in dieser leistungsfähig, sonst aber abgelöst von dem Leben
seiner Umgebung, seines Volkes. Das war der Professor einer vergangenen
Vergangenheit. Schon lange aber klopft mächtig der Pulsschlag des öffentlichen
Lebens an die ehemals so still abgeschlossenen Universitäten, und der Puls¬
schlag des geistigen Lebens der Universitäten mischt sich mit jenem Pulsschlag
des öffentlichen Lebens zu immer höheren Wellen. Der Professor der Ge¬
genwart und der Zukunft muß in der Erfüllung seiner Lehraufgabe sich
mitten in die Welt stellen; er muß wissen, daß seine Schüler, wenigstens
der größeren Mehrzahl nach, die Früchte ihres Lernens nicht in dem stillen
Raum der Hörsäle, sondern im bewegten Getriebe der Welt und zum Nutzen
der Welt verarbeiten sollen. Fern sei es, hiermit aussprechen zu wollen,
daß es die wesentliche Aufgabe der Universitäten sei, brauchbare Beamte für
den Staatsdienst zu Schulen; im Gegentheil — ich weiß sehr wohl, daß in der
Theilung der Unterrichtsarbeit den Universitäten der mehr theoretische Theil
des höheren Unterrichts zugefallen ist, und ich halte es für unmöglich — für
mein eigenes Fach kaun ich das wenigstens bestimmt behaupten —, daß der
der junge Mann in dem Angenblick, wo er die Universität verläßt, ne das
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