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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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1810 trat er wieder an die Spitze des Staates; bis zu seinem Tode war er
der leitende Staatsmann Preußens. Wie in dem ersten Bande der "Denk¬
würdigkeiten" Ranke Hardenbergs früheres Leben und seine Betheiligung an
den allgemeinen Ereignissen 1794--1806 erzählt hatte, so widmet er den 4.
Band der Geschichtsdarstellung 1806--1813 (Herbst). Es braucht nicht gesagt
zu werden, daß dies ein sehr interessantes, fesselndes Buch geworden ist. Auch
wo wir von Ranke abweichen, lernen wir von ihm; an vielen Stellen über¬
rascht uns der Meister durch frappante Zusammenstellungen und Ausblicke.
Jedermann sollte dies Buch gelesen haben. Heben wir hier noch besonders die
Parallele zwischen Stein und Hardenberg hervor (IV. 130 ff., 450 ff.), -- sie
wird jedem Leser unvergeßlich bleiben.


W. Maurenbrecher.


Die Adlerbergs.
Eine Skizze ans dem russischen Hofleben nach polnischen und russischen
Quellen.

Es dürfte keinen zweiten Hof in Europa geben, an welchem die Gunst
des Herrschers so viel bedeutet, wie am Hofe in Petersburg. Kaum der Hof
weiland Jsabella's von Spanien kann in dieser Rücksicht mit ihm verglichen
werden. Ausgezeichnete Eigenschaften, hervorragende Fähigkeiten waren und
sind auch jetzt noch nicht unbedingte Erfordernisse, um am russischen Kaiser¬
hofe die Gunst selbst des Kaisers für sich zu gewinnen. Vielmehr genügt
dazu eine Eigenschaft, und diese heißt -- stupider Gehorsam. Eines der
eklatantesten Beispiele hierfür bietet die Familie Adlerberg, welche bereits
seit einer langen Reihe von Jahren die unbegrenzte Gunst der Herrscher Rußlands
besitzt, ohne sie durch irgend welche dem Lande geleisteten Dienste verdient zu
haben. Es dürfte, da besonders die Jungrussen so häufig darüber klagen,
daß die "Deutschen" in Nußland herrschen, ein gewisses Interesse haben, die
scheinbar deutsche Familie Adlerberg kennen zu lernen.

Graf Wladimir Theodorowitsch Adlerberg, Minister des kaiserlichen Hauses,
General-Direktor der Posten, General-Adjutant des Kaisers von Rußland,
General der Infanterie und Kavallerie, Ritter aller russischen und vieler nicht
russische" Orden, der Schatten des verstorbenen Kaisers Nikolaus I. und testamen¬
tarisch als solcher dem jetzigen Kaiser verschrieben, -- war nicht immer Graf,


1810 trat er wieder an die Spitze des Staates; bis zu seinem Tode war er
der leitende Staatsmann Preußens. Wie in dem ersten Bande der „Denk¬
würdigkeiten" Ranke Hardenbergs früheres Leben und seine Betheiligung an
den allgemeinen Ereignissen 1794—1806 erzählt hatte, so widmet er den 4.
Band der Geschichtsdarstellung 1806—1813 (Herbst). Es braucht nicht gesagt
zu werden, daß dies ein sehr interessantes, fesselndes Buch geworden ist. Auch
wo wir von Ranke abweichen, lernen wir von ihm; an vielen Stellen über¬
rascht uns der Meister durch frappante Zusammenstellungen und Ausblicke.
Jedermann sollte dies Buch gelesen haben. Heben wir hier noch besonders die
Parallele zwischen Stein und Hardenberg hervor (IV. 130 ff., 450 ff.), — sie
wird jedem Leser unvergeßlich bleiben.


W. Maurenbrecher.


Die Adlerbergs.
Eine Skizze ans dem russischen Hofleben nach polnischen und russischen
Quellen.

Es dürfte keinen zweiten Hof in Europa geben, an welchem die Gunst
des Herrschers so viel bedeutet, wie am Hofe in Petersburg. Kaum der Hof
weiland Jsabella's von Spanien kann in dieser Rücksicht mit ihm verglichen
werden. Ausgezeichnete Eigenschaften, hervorragende Fähigkeiten waren und
sind auch jetzt noch nicht unbedingte Erfordernisse, um am russischen Kaiser¬
hofe die Gunst selbst des Kaisers für sich zu gewinnen. Vielmehr genügt
dazu eine Eigenschaft, und diese heißt — stupider Gehorsam. Eines der
eklatantesten Beispiele hierfür bietet die Familie Adlerberg, welche bereits
seit einer langen Reihe von Jahren die unbegrenzte Gunst der Herrscher Rußlands
besitzt, ohne sie durch irgend welche dem Lande geleisteten Dienste verdient zu
haben. Es dürfte, da besonders die Jungrussen so häufig darüber klagen,
daß die „Deutschen" in Nußland herrschen, ein gewisses Interesse haben, die
scheinbar deutsche Familie Adlerberg kennen zu lernen.

Graf Wladimir Theodorowitsch Adlerberg, Minister des kaiserlichen Hauses,
General-Direktor der Posten, General-Adjutant des Kaisers von Rußland,
General der Infanterie und Kavallerie, Ritter aller russischen und vieler nicht
russische» Orden, der Schatten des verstorbenen Kaisers Nikolaus I. und testamen¬
tarisch als solcher dem jetzigen Kaiser verschrieben, — war nicht immer Graf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/22>, abgerufen am 24.08.2024.