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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Königin Luise, seine Beschützerin und Anhängerin, vermittelte ihm die Be¬
ziehungen zu ihrem königlichen Gemahl; durch seine Hand ging im Sommer
1806 die geheime Verhandlung mit Kaiser Alexander.

Bei den Vorgängen des Sommers 1806, durch die der Krieg mit Frank¬
reich herbeigeführt wurde, war Hardenberg nicht mehr direkt betheiligt. Den¬
noch bringen seine Denkwürdigkeiten manches neue Moment zu unserer Kenntniß.
Zwar ergab sich nachher, als Hardenberg die Staatsgeschäfte wieder übernahm,
daß Haugwitz aus dieser Periode seiner Staatsleitung im November 1806 in
Graudenz die Akten seines Departements, die er bei sich gehabt, hatte ver¬
brennen lassen (III. 87, 229); doch war Hardenberg immer in der Lage, vieles
zu erfahren und zu erkunden, was das Publikum nicht wissen konnte. Und
wenn er über diesen Zeitabschnitt das Urtheil fällt, daß der unvermeidliche
Krieg mit Frankreich vollständig kopflos und unsinnig dnrch Haugwitz einge¬
leitet, ohne Rüstungen, ohne Allianzen, ohne festen Plan der Aktion, so for-
mulirt er damit nur das Verdikt, das die spätere Geschichtforschung ihrerseits
zu unterschreiben allen Grund hat. Nach der Niederlage und Auflösung des
Heeres, während der Flucht des Hofes in den Osten der Monarchie ergab sich
mehrmals der Anlaß zu einem Wiedereintritt Hardenbergs in die Geschäfte;
aber die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden waren, erwiesen sich lange
Zeit als unüberwindliche. Die Denkwürdigkeiten bieten über diese Verhältnisse
die allerwichtigsten Aufschlüsse, -- für den Historiker neue Einblicke in den
wirklichen Zusammenhang der Geschichte, sür den Staatsmann reiche Belehrung
über schwere politische Krisen. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß
Königin Luise einen schnelleren und sichereren Blick uuter deu damaligen
Umständen zeigte als der König; sie unterstützte, wo sie konnte, die Chancen,
die Hardenbergs Ministerium sür eine Wiederaufrichtung Preußens gewährte.
Weiterhin wird der Konflikt Stein's mit dem König und feinen Vertrauten
am Ende des Jahres 1806 hier nen beleuchtet: Hardenberg war dabei von
derselben Gesinnung und demselben Gefühl erfaßt als Stein; überhaupt die
Zusammengehörigkeit und innere Verwandtschaft von Stein und Hardenberg,
die Absicht beider Staatsmänner, gemeinsam die Erhebung des tief gesunkenen
Vaterlandes zu unternehmen, tritt aus allen diesen Mittheilungen mit leuch¬
tender Klarheit hervor. Erst die direkte Einwirkung des russischen Kaisers
brachte die Hardenberg günstige Entscheidung der langen Ungewißheit; im
Frühjahr 1807 trat er wiederum, und diesmal mit voller unbeengter Auto¬
rität, an die Spitze der Regierung. Es ist eine Erquickung, zu sehen, wie
bewußt und wie kräftig er nun sein Amt geführt hat: gern und mit Befriedi¬
gung verfolgen wir diese Periode in Hardenbergs eigenem Berichte. Wir sind
bei diesem Abschnitte der Denkwürdigkeiten in der Lage, manche in ihnen er-


Königin Luise, seine Beschützerin und Anhängerin, vermittelte ihm die Be¬
ziehungen zu ihrem königlichen Gemahl; durch seine Hand ging im Sommer
1806 die geheime Verhandlung mit Kaiser Alexander.

Bei den Vorgängen des Sommers 1806, durch die der Krieg mit Frank¬
reich herbeigeführt wurde, war Hardenberg nicht mehr direkt betheiligt. Den¬
noch bringen seine Denkwürdigkeiten manches neue Moment zu unserer Kenntniß.
Zwar ergab sich nachher, als Hardenberg die Staatsgeschäfte wieder übernahm,
daß Haugwitz aus dieser Periode seiner Staatsleitung im November 1806 in
Graudenz die Akten seines Departements, die er bei sich gehabt, hatte ver¬
brennen lassen (III. 87, 229); doch war Hardenberg immer in der Lage, vieles
zu erfahren und zu erkunden, was das Publikum nicht wissen konnte. Und
wenn er über diesen Zeitabschnitt das Urtheil fällt, daß der unvermeidliche
Krieg mit Frankreich vollständig kopflos und unsinnig dnrch Haugwitz einge¬
leitet, ohne Rüstungen, ohne Allianzen, ohne festen Plan der Aktion, so for-
mulirt er damit nur das Verdikt, das die spätere Geschichtforschung ihrerseits
zu unterschreiben allen Grund hat. Nach der Niederlage und Auflösung des
Heeres, während der Flucht des Hofes in den Osten der Monarchie ergab sich
mehrmals der Anlaß zu einem Wiedereintritt Hardenbergs in die Geschäfte;
aber die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden waren, erwiesen sich lange
Zeit als unüberwindliche. Die Denkwürdigkeiten bieten über diese Verhältnisse
die allerwichtigsten Aufschlüsse, — für den Historiker neue Einblicke in den
wirklichen Zusammenhang der Geschichte, sür den Staatsmann reiche Belehrung
über schwere politische Krisen. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß
Königin Luise einen schnelleren und sichereren Blick uuter deu damaligen
Umständen zeigte als der König; sie unterstützte, wo sie konnte, die Chancen,
die Hardenbergs Ministerium sür eine Wiederaufrichtung Preußens gewährte.
Weiterhin wird der Konflikt Stein's mit dem König und feinen Vertrauten
am Ende des Jahres 1806 hier nen beleuchtet: Hardenberg war dabei von
derselben Gesinnung und demselben Gefühl erfaßt als Stein; überhaupt die
Zusammengehörigkeit und innere Verwandtschaft von Stein und Hardenberg,
die Absicht beider Staatsmänner, gemeinsam die Erhebung des tief gesunkenen
Vaterlandes zu unternehmen, tritt aus allen diesen Mittheilungen mit leuch¬
tender Klarheit hervor. Erst die direkte Einwirkung des russischen Kaisers
brachte die Hardenberg günstige Entscheidung der langen Ungewißheit; im
Frühjahr 1807 trat er wiederum, und diesmal mit voller unbeengter Auto¬
rität, an die Spitze der Regierung. Es ist eine Erquickung, zu sehen, wie
bewußt und wie kräftig er nun sein Amt geführt hat: gern und mit Befriedi¬
gung verfolgen wir diese Periode in Hardenbergs eigenem Berichte. Wir sind
bei diesem Abschnitte der Denkwürdigkeiten in der Lage, manche in ihnen er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/20>, abgerufen am 23.07.2024.