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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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versuchen, einzelne der äußeren zu Tage liegenden Ursachen des Verfalls einer
kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Ursprünglich, und noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts, war es
keinem Janitscharen gestattet zu heirathen und Familie zu haben, eine natür¬
liche Konsequenz des Geistes und Wesens, auf dem ihre Gemeinschaft beruhte.
Der Despotismus bedürfte, wie L. Ranke sagt, gleich der Hierarchie Leute, die
durch keinen eigenen Heerd von dem einzigen Interesse, das sie haben sollten,
von dem Interesse für den Herren, getrennt waren. Als das Heirathen, wenn
auch anfangs nur ausnahmsweise, dann aber in immer ausgedehnterem Maße
den Janitscharen gestattet wurde, mußte dies auf ihre Lebensweise und
Geistesrichtung entscheidend einwirken. Als sie es aber sogar durchsetzten, daß
alle ihre Söhne, ganz abgesehen von ihrer Brauchbarkeit, erblich in den Stand
der Väter eintraten und nicht nur die Brodration, sondern auch die volle Löh¬
nung von der Wiege an bezogen, so erwuchs daraus ein Geschlecht von höchst
zweifelhafter Brauchbarkeit, das seiue Rechte genau kannte, ohne jedoch der
Pflichten eingedenk zu sein. Bei den fortgesetzten Kriegen reichte das Institut
der Abscheu-Oglan, das, wie wir gleich sehen werden, auch in Verfall gerieth,
nicht mehr aus, um die Lücken zu füllen. Es wurden sonach viele Türken,
also ein ganz neues Element, unter die Janitscharen aufgenommen. Gerade
diese waren es aber, die am wenigsten die alten Familienbeziehnngen aufgeben
wollten und sich meistens verheirateten. Ein fernerer recht großer Uebelstand
war es, daß sich im Laufe der Zeit eine Menge Türken durch Gunst und
Geld Aufnahme in die Register der Janitscharen zu verschaffen wußten, bloß
uni die damit verknüpften Vortheile, namentlich Steuerfreiheit, zu genießen.
Sie bezogen zwar keinen Sold, thaten aber auch niemals Dienste, wovon sie
sich auch im Fall eines Krieges durch Bestechung loszukaufen wußten. Nach
BiMe's Schilderungen waren in den letzten Zeiten der Janitscharen 400,000
Mann in ihren Oreas eingeschrieben, welche aus Beamten und Handwerkern,
Reichen und Armen, Greisen und Kindern bestanden, so daß von ihnen kaum
40,000 Mann wehrhafter Streiter ins Feld gestellt werden konnten. Es bleibt
"°es zu bemerken, daß die Aushebung der Christenknaben, die zu den himmel¬
schreiendsten Klagen Veranlassung gegeben, sich auf die Dauer nicht hatte durch¬
führen lassen und bereits im Jahre 1638 unter Sultan Murad IV. ans¬
choben worden war. Dadurch mußte aber das Institut der Abscheu-Oglan
vollständig seine Bedeutung verlieren. Es sank schließlich zu einem Rekruten-
devot herab, >as den Mhub ans aller Herren Ländern in sich aufnahm.
Sonach fehlte den späteren Janitscharen die von Jugend an eingeprägte Strenge
^ Zucht, und als sie nun gar anfingen, an Handel und Gewerbe sich zu
^heiligen, da schwand bei allem trotzigen Pochen auf alte Rechte und An-


versuchen, einzelne der äußeren zu Tage liegenden Ursachen des Verfalls einer
kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Ursprünglich, und noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts, war es
keinem Janitscharen gestattet zu heirathen und Familie zu haben, eine natür¬
liche Konsequenz des Geistes und Wesens, auf dem ihre Gemeinschaft beruhte.
Der Despotismus bedürfte, wie L. Ranke sagt, gleich der Hierarchie Leute, die
durch keinen eigenen Heerd von dem einzigen Interesse, das sie haben sollten,
von dem Interesse für den Herren, getrennt waren. Als das Heirathen, wenn
auch anfangs nur ausnahmsweise, dann aber in immer ausgedehnterem Maße
den Janitscharen gestattet wurde, mußte dies auf ihre Lebensweise und
Geistesrichtung entscheidend einwirken. Als sie es aber sogar durchsetzten, daß
alle ihre Söhne, ganz abgesehen von ihrer Brauchbarkeit, erblich in den Stand
der Väter eintraten und nicht nur die Brodration, sondern auch die volle Löh¬
nung von der Wiege an bezogen, so erwuchs daraus ein Geschlecht von höchst
zweifelhafter Brauchbarkeit, das seiue Rechte genau kannte, ohne jedoch der
Pflichten eingedenk zu sein. Bei den fortgesetzten Kriegen reichte das Institut
der Abscheu-Oglan, das, wie wir gleich sehen werden, auch in Verfall gerieth,
nicht mehr aus, um die Lücken zu füllen. Es wurden sonach viele Türken,
also ein ganz neues Element, unter die Janitscharen aufgenommen. Gerade
diese waren es aber, die am wenigsten die alten Familienbeziehnngen aufgeben
wollten und sich meistens verheirateten. Ein fernerer recht großer Uebelstand
war es, daß sich im Laufe der Zeit eine Menge Türken durch Gunst und
Geld Aufnahme in die Register der Janitscharen zu verschaffen wußten, bloß
uni die damit verknüpften Vortheile, namentlich Steuerfreiheit, zu genießen.
Sie bezogen zwar keinen Sold, thaten aber auch niemals Dienste, wovon sie
sich auch im Fall eines Krieges durch Bestechung loszukaufen wußten. Nach
BiMe's Schilderungen waren in den letzten Zeiten der Janitscharen 400,000
Mann in ihren Oreas eingeschrieben, welche aus Beamten und Handwerkern,
Reichen und Armen, Greisen und Kindern bestanden, so daß von ihnen kaum
40,000 Mann wehrhafter Streiter ins Feld gestellt werden konnten. Es bleibt
"°es zu bemerken, daß die Aushebung der Christenknaben, die zu den himmel¬
schreiendsten Klagen Veranlassung gegeben, sich auf die Dauer nicht hatte durch¬
führen lassen und bereits im Jahre 1638 unter Sultan Murad IV. ans¬
choben worden war. Dadurch mußte aber das Institut der Abscheu-Oglan
vollständig seine Bedeutung verlieren. Es sank schließlich zu einem Rekruten-
devot herab, >as den Mhub ans aller Herren Ländern in sich aufnahm.
Sonach fehlte den späteren Janitscharen die von Jugend an eingeprägte Strenge
^ Zucht, und als sie nun gar anfingen, an Handel und Gewerbe sich zu
^heiligen, da schwand bei allem trotzigen Pochen auf alte Rechte und An-


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[0195] versuchen, einzelne der äußeren zu Tage liegenden Ursachen des Verfalls einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Ursprünglich, und noch um die Mitte des 16. Jahrhunderts, war es keinem Janitscharen gestattet zu heirathen und Familie zu haben, eine natür¬ liche Konsequenz des Geistes und Wesens, auf dem ihre Gemeinschaft beruhte. Der Despotismus bedürfte, wie L. Ranke sagt, gleich der Hierarchie Leute, die durch keinen eigenen Heerd von dem einzigen Interesse, das sie haben sollten, von dem Interesse für den Herren, getrennt waren. Als das Heirathen, wenn auch anfangs nur ausnahmsweise, dann aber in immer ausgedehnterem Maße den Janitscharen gestattet wurde, mußte dies auf ihre Lebensweise und Geistesrichtung entscheidend einwirken. Als sie es aber sogar durchsetzten, daß alle ihre Söhne, ganz abgesehen von ihrer Brauchbarkeit, erblich in den Stand der Väter eintraten und nicht nur die Brodration, sondern auch die volle Löh¬ nung von der Wiege an bezogen, so erwuchs daraus ein Geschlecht von höchst zweifelhafter Brauchbarkeit, das seiue Rechte genau kannte, ohne jedoch der Pflichten eingedenk zu sein. Bei den fortgesetzten Kriegen reichte das Institut der Abscheu-Oglan, das, wie wir gleich sehen werden, auch in Verfall gerieth, nicht mehr aus, um die Lücken zu füllen. Es wurden sonach viele Türken, also ein ganz neues Element, unter die Janitscharen aufgenommen. Gerade diese waren es aber, die am wenigsten die alten Familienbeziehnngen aufgeben wollten und sich meistens verheirateten. Ein fernerer recht großer Uebelstand war es, daß sich im Laufe der Zeit eine Menge Türken durch Gunst und Geld Aufnahme in die Register der Janitscharen zu verschaffen wußten, bloß uni die damit verknüpften Vortheile, namentlich Steuerfreiheit, zu genießen. Sie bezogen zwar keinen Sold, thaten aber auch niemals Dienste, wovon sie sich auch im Fall eines Krieges durch Bestechung loszukaufen wußten. Nach BiMe's Schilderungen waren in den letzten Zeiten der Janitscharen 400,000 Mann in ihren Oreas eingeschrieben, welche aus Beamten und Handwerkern, Reichen und Armen, Greisen und Kindern bestanden, so daß von ihnen kaum 40,000 Mann wehrhafter Streiter ins Feld gestellt werden konnten. Es bleibt "°es zu bemerken, daß die Aushebung der Christenknaben, die zu den himmel¬ schreiendsten Klagen Veranlassung gegeben, sich auf die Dauer nicht hatte durch¬ führen lassen und bereits im Jahre 1638 unter Sultan Murad IV. ans¬ choben worden war. Dadurch mußte aber das Institut der Abscheu-Oglan vollständig seine Bedeutung verlieren. Es sank schließlich zu einem Rekruten- devot herab, >as den Mhub ans aller Herren Ländern in sich aufnahm. Sonach fehlte den späteren Janitscharen die von Jugend an eingeprägte Strenge ^ Zucht, und als sie nun gar anfingen, an Handel und Gewerbe sich zu ^heiligen, da schwand bei allem trotzigen Pochen auf alte Rechte und An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/195>, abgerufen am 24.08.2024.