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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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gegen jene Maßregel gemacht haben wollte. Nichtsdestoweniger enthält dies
einen thatsächlichen Irrthum. Duncker hat S. 633 und 634 die beweisenden
Dokumente mitgetheilt, aus denen klar hervorgeht, daß Hardenberg am 24. Januar
ebenfalls den Fehlschluß auf die Annahme der Modifikationen aus Talleyrand's
Worten gemacht, daß er in Folge desselben schriftlich seine Ansicht dein Könige
vorgetragen, man solle die Demvbilisirungsordres abgehen lassen : wenn er also
krank war und deßhalb der Konferenz des 24. Januar nicht beiwohnte, so
hatte er doch vorher schriftlich votirt, und die Konferenz schloß sich einfach
seinem.Votum an.

Es ist sehr auffallend, daß vier Wochen später Hardenberg seine irrige
Auffassung des thatsächlichen Verlaufes der Sache schon sich gebildet hatte.
Die Erkenntniß des groben Fehlers, den man gemacht, wirkte in der That
ernüchternd auf ihn ein; von nun ab übersah er klar und dentlich die wirkliche
Lage des preußischen Staates; und rückwärts enthüllten sich ihm jetzt auch die
Fehlgriffe, die man sich hatte zu Schulden kommen lassen: in seinem Geiste
bildete sich die Vorstellung aus, daß er diese Fehler schon zu einer Zeit als
solche erkannt und bekämpft habe, als er, selbst noch in der allgemeinen
Täuschung befangen, dieselben Fehlgriffe wie die Andern mitgemacht hatte.

Die bessere Einsicht ist in Hardenberg erwacht, als die Kunde von der
neuen Leistung des Grafen Haugwitz eintraf, von dem dnrch ihn geschlossenen
Pariser Traktate des 15. Februar. Bis zu diesem Augenblicke hatte er fort¬
gelebt in den Illusionen, die er am 24. Januar verrathen (Duncker 635--639).
Jetzt wurde er ein anderer Mann. Jetzt war seine Schulzeit beeudet, jetzt war
derjenige Staatsmann fertig, den unsere preußische Tradition mit Anerkennung
und Dank unter unsere großen Minister versetzt hat. Die Erkenntniß der
begangenen Fehler, an denen er freilich selbst reichen Antheil gehabt, sie ist es,
die damals seinen Geist gereift hat. Daß die Denkwürdigkeiten diese Wandlung
nicht selbst berichten, mag uns verzeihlich erscheinen; sie aber liefern doch uns
das Material, aus dem wir heute den Hergang zu erkennen im Stande sind.

In der Alternative -- Ratifikation des Pariser Vertrages oder Krieg mit
Napoleon -- hatte Hardenberg nicht das letzte Wort zu sprechen; er stellte
deutlich seinem Monarchen die Frage: wie damals gar nicht anders erwartet
werden konnte, Friedrich Wilhelm wählte den Frieden, d. h. die schmachvolle
Unterwerfung unter Napoleon's Willen; aber er äußerte sogleich, daß er das
Bündniß nur als ein erzwungenes ansehe, dessen Stipulationen er allerdings
treu halten wolle, zu gleicher Zeit jedoch beschloß er durch Annäherung an
Rußland sofort schon den späteren Widerstand gegen Napoleon vorzubereiten.
Die auswärtige Politik übernahm darauf wieder allein Haugwitz, (April 1806);
aber Hardenberg fuhr nichtsdestoweniger fort, uuoffizielle Dienste zu leisten.


gegen jene Maßregel gemacht haben wollte. Nichtsdestoweniger enthält dies
einen thatsächlichen Irrthum. Duncker hat S. 633 und 634 die beweisenden
Dokumente mitgetheilt, aus denen klar hervorgeht, daß Hardenberg am 24. Januar
ebenfalls den Fehlschluß auf die Annahme der Modifikationen aus Talleyrand's
Worten gemacht, daß er in Folge desselben schriftlich seine Ansicht dein Könige
vorgetragen, man solle die Demvbilisirungsordres abgehen lassen : wenn er also
krank war und deßhalb der Konferenz des 24. Januar nicht beiwohnte, so
hatte er doch vorher schriftlich votirt, und die Konferenz schloß sich einfach
seinem.Votum an.

Es ist sehr auffallend, daß vier Wochen später Hardenberg seine irrige
Auffassung des thatsächlichen Verlaufes der Sache schon sich gebildet hatte.
Die Erkenntniß des groben Fehlers, den man gemacht, wirkte in der That
ernüchternd auf ihn ein; von nun ab übersah er klar und dentlich die wirkliche
Lage des preußischen Staates; und rückwärts enthüllten sich ihm jetzt auch die
Fehlgriffe, die man sich hatte zu Schulden kommen lassen: in seinem Geiste
bildete sich die Vorstellung aus, daß er diese Fehler schon zu einer Zeit als
solche erkannt und bekämpft habe, als er, selbst noch in der allgemeinen
Täuschung befangen, dieselben Fehlgriffe wie die Andern mitgemacht hatte.

Die bessere Einsicht ist in Hardenberg erwacht, als die Kunde von der
neuen Leistung des Grafen Haugwitz eintraf, von dem dnrch ihn geschlossenen
Pariser Traktate des 15. Februar. Bis zu diesem Augenblicke hatte er fort¬
gelebt in den Illusionen, die er am 24. Januar verrathen (Duncker 635—639).
Jetzt wurde er ein anderer Mann. Jetzt war seine Schulzeit beeudet, jetzt war
derjenige Staatsmann fertig, den unsere preußische Tradition mit Anerkennung
und Dank unter unsere großen Minister versetzt hat. Die Erkenntniß der
begangenen Fehler, an denen er freilich selbst reichen Antheil gehabt, sie ist es,
die damals seinen Geist gereift hat. Daß die Denkwürdigkeiten diese Wandlung
nicht selbst berichten, mag uns verzeihlich erscheinen; sie aber liefern doch uns
das Material, aus dem wir heute den Hergang zu erkennen im Stande sind.

In der Alternative — Ratifikation des Pariser Vertrages oder Krieg mit
Napoleon — hatte Hardenberg nicht das letzte Wort zu sprechen; er stellte
deutlich seinem Monarchen die Frage: wie damals gar nicht anders erwartet
werden konnte, Friedrich Wilhelm wählte den Frieden, d. h. die schmachvolle
Unterwerfung unter Napoleon's Willen; aber er äußerte sogleich, daß er das
Bündniß nur als ein erzwungenes ansehe, dessen Stipulationen er allerdings
treu halten wolle, zu gleicher Zeit jedoch beschloß er durch Annäherung an
Rußland sofort schon den späteren Widerstand gegen Napoleon vorzubereiten.
Die auswärtige Politik übernahm darauf wieder allein Haugwitz, (April 1806);
aber Hardenberg fuhr nichtsdestoweniger fort, uuoffizielle Dienste zu leisten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/19>, abgerufen am 23.07.2024.