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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Aus der Keeresgeschichte des Zsmanischen Kelches.
i.

Friedrich der Große, der den Werth einer Truppe ganz wesentlich nach
dem Grade ihrer Disziplin bemaß, verweist in seinen nachgelassenen Schriften
zweimal auf einen Ausspruch des Vegetius, der in Bezug auf die römischen
Legionen äußerte, ihre Disziplin habe sie über die List der Griechen, die
Kraft der Germanen, die hohe Gestalt der Gallier und über alle Nationen
der Erde triumphiren lassen.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Armee ohne Disziplin nicht nur
für kriegerische Zwecke unbrauchbar ist, sondern auch mit der Zeit zersetzend
auf den inneren Frieden einwirken und eine große Gefahr für jede staatliche
Ordnung sein muß. Die Lehren der Geschichte geben vielfach Zeugniß dafür.
Jene stolzen weltbeherrschenden Legionen erlagen und Rom zerfiel, als der Ge¬
horsam aus ihren Reihen schwand und der Parteigeist in ihre Lager eindrang.

Ein ähnliches Beispiel geben die türkischen Prätorianer, die Janitscharen,
die lange Zeit, als eine der vorzüglichsten Stützen des Ruhmes und der Größe
des Osmanenreichs, den Schrecken Europas bildeten. Sie waren es, welche
Konstantinopel eroberten, Belgrad und Rhodus erstürmten und den Halbmond
unter die Mauern von Wien trugen. Als jedoch die Zuchtlosigkeit unter thuen
einriß und sie, allerdings durch die Schuld ihrer Gebieter, zu einer politischen
Macht im Staate heranwuchsen, da hörten sie auf ihre Feinde zu schrecken,
wurden vielmehr dem eigenen Lande zur Geißel, bis sie endlich ein entsetzliches
Blutgericht erreichte. Immerhin blieben sie aber eine der interessantesten Er¬
scheinungen, davon die Kriegsgeschichte zu berichten weiß, und da die türkische
Armee in ihrer gegenwärtigen Verfassung aus dem Blute der Janitscharen er¬
wachsen ist, so dürfte es wohl gerade jetzt nicht ohne Interesse sein, den Ver¬
lauf ihrer Geschichte einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Unter den Begründern des türkischen Reiches war Sultan Orchan, Sohn
Osman's, der erste, welcher sich mit Organisation des eroberten Landes be¬
schäftigte und es sich angelegen sein ließ, Ordnung in die Regierung, die Ver¬
waltung und vor allen Dingen auch in das Heerwesen zu bringen. Der Kern
des Heeres bestand bis dahin aus den dnrch Lehnspflicht und Beutelust schwach
zusammen gehaltenen Schaaren leichter Reiterei. Es fehlte vorzüglich an einem
wohlorganisirten Fußvolk. Der Versuch, diese Waffe durch Errichtung einer
Art von Lehnsmiliz, wie sie sich für die Reiterei in den Sipahi bis in die
neueste Zeit erhielten, zu stärken, wurde bald wieder aufgegeben. Die Turk-
umnen erwiesen sich, in Folge ihres gewohnheitsmäßigen Nomadenlebens, zu


Grenzboten IV. 1L77. 24
Aus der Keeresgeschichte des Zsmanischen Kelches.
i.

Friedrich der Große, der den Werth einer Truppe ganz wesentlich nach
dem Grade ihrer Disziplin bemaß, verweist in seinen nachgelassenen Schriften
zweimal auf einen Ausspruch des Vegetius, der in Bezug auf die römischen
Legionen äußerte, ihre Disziplin habe sie über die List der Griechen, die
Kraft der Germanen, die hohe Gestalt der Gallier und über alle Nationen
der Erde triumphiren lassen.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Armee ohne Disziplin nicht nur
für kriegerische Zwecke unbrauchbar ist, sondern auch mit der Zeit zersetzend
auf den inneren Frieden einwirken und eine große Gefahr für jede staatliche
Ordnung sein muß. Die Lehren der Geschichte geben vielfach Zeugniß dafür.
Jene stolzen weltbeherrschenden Legionen erlagen und Rom zerfiel, als der Ge¬
horsam aus ihren Reihen schwand und der Parteigeist in ihre Lager eindrang.

Ein ähnliches Beispiel geben die türkischen Prätorianer, die Janitscharen,
die lange Zeit, als eine der vorzüglichsten Stützen des Ruhmes und der Größe
des Osmanenreichs, den Schrecken Europas bildeten. Sie waren es, welche
Konstantinopel eroberten, Belgrad und Rhodus erstürmten und den Halbmond
unter die Mauern von Wien trugen. Als jedoch die Zuchtlosigkeit unter thuen
einriß und sie, allerdings durch die Schuld ihrer Gebieter, zu einer politischen
Macht im Staate heranwuchsen, da hörten sie auf ihre Feinde zu schrecken,
wurden vielmehr dem eigenen Lande zur Geißel, bis sie endlich ein entsetzliches
Blutgericht erreichte. Immerhin blieben sie aber eine der interessantesten Er¬
scheinungen, davon die Kriegsgeschichte zu berichten weiß, und da die türkische
Armee in ihrer gegenwärtigen Verfassung aus dem Blute der Janitscharen er¬
wachsen ist, so dürfte es wohl gerade jetzt nicht ohne Interesse sein, den Ver¬
lauf ihrer Geschichte einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Unter den Begründern des türkischen Reiches war Sultan Orchan, Sohn
Osman's, der erste, welcher sich mit Organisation des eroberten Landes be¬
schäftigte und es sich angelegen sein ließ, Ordnung in die Regierung, die Ver¬
waltung und vor allen Dingen auch in das Heerwesen zu bringen. Der Kern
des Heeres bestand bis dahin aus den dnrch Lehnspflicht und Beutelust schwach
zusammen gehaltenen Schaaren leichter Reiterei. Es fehlte vorzüglich an einem
wohlorganisirten Fußvolk. Der Versuch, diese Waffe durch Errichtung einer
Art von Lehnsmiliz, wie sie sich für die Reiterei in den Sipahi bis in die
neueste Zeit erhielten, zu stärken, wurde bald wieder aufgegeben. Die Turk-
umnen erwiesen sich, in Folge ihres gewohnheitsmäßigen Nomadenlebens, zu


Grenzboten IV. 1L77. 24
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[0189] Aus der Keeresgeschichte des Zsmanischen Kelches. i. Friedrich der Große, der den Werth einer Truppe ganz wesentlich nach dem Grade ihrer Disziplin bemaß, verweist in seinen nachgelassenen Schriften zweimal auf einen Ausspruch des Vegetius, der in Bezug auf die römischen Legionen äußerte, ihre Disziplin habe sie über die List der Griechen, die Kraft der Germanen, die hohe Gestalt der Gallier und über alle Nationen der Erde triumphiren lassen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine Armee ohne Disziplin nicht nur für kriegerische Zwecke unbrauchbar ist, sondern auch mit der Zeit zersetzend auf den inneren Frieden einwirken und eine große Gefahr für jede staatliche Ordnung sein muß. Die Lehren der Geschichte geben vielfach Zeugniß dafür. Jene stolzen weltbeherrschenden Legionen erlagen und Rom zerfiel, als der Ge¬ horsam aus ihren Reihen schwand und der Parteigeist in ihre Lager eindrang. Ein ähnliches Beispiel geben die türkischen Prätorianer, die Janitscharen, die lange Zeit, als eine der vorzüglichsten Stützen des Ruhmes und der Größe des Osmanenreichs, den Schrecken Europas bildeten. Sie waren es, welche Konstantinopel eroberten, Belgrad und Rhodus erstürmten und den Halbmond unter die Mauern von Wien trugen. Als jedoch die Zuchtlosigkeit unter thuen einriß und sie, allerdings durch die Schuld ihrer Gebieter, zu einer politischen Macht im Staate heranwuchsen, da hörten sie auf ihre Feinde zu schrecken, wurden vielmehr dem eigenen Lande zur Geißel, bis sie endlich ein entsetzliches Blutgericht erreichte. Immerhin blieben sie aber eine der interessantesten Er¬ scheinungen, davon die Kriegsgeschichte zu berichten weiß, und da die türkische Armee in ihrer gegenwärtigen Verfassung aus dem Blute der Janitscharen er¬ wachsen ist, so dürfte es wohl gerade jetzt nicht ohne Interesse sein, den Ver¬ lauf ihrer Geschichte einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Unter den Begründern des türkischen Reiches war Sultan Orchan, Sohn Osman's, der erste, welcher sich mit Organisation des eroberten Landes be¬ schäftigte und es sich angelegen sein ließ, Ordnung in die Regierung, die Ver¬ waltung und vor allen Dingen auch in das Heerwesen zu bringen. Der Kern des Heeres bestand bis dahin aus den dnrch Lehnspflicht und Beutelust schwach zusammen gehaltenen Schaaren leichter Reiterei. Es fehlte vorzüglich an einem wohlorganisirten Fußvolk. Der Versuch, diese Waffe durch Errichtung einer Art von Lehnsmiliz, wie sie sich für die Reiterei in den Sipahi bis in die neueste Zeit erhielten, zu stärken, wurde bald wieder aufgegeben. Die Turk- umnen erwiesen sich, in Folge ihres gewohnheitsmäßigen Nomadenlebens, zu Grenzboten IV. 1L77. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/189>, abgerufen am 25.08.2024.