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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Die kleinen Städte seien entschieden in der Hand der Liberalen, der bairische
Bauer sei "ganz konservativ", aber er stehe unter dein Banne des liberalen
Doktors, Apothekers u. s. w. Die Regierung sei gegen die Konservativen, das
erschwere die Arbeit. Immerhin sei in der Masse des Volkes ein Grundstock
gewonnen. "Aber wir leiden noch an einem sehr großen Fehler: unsere
Führer sind Adelige und Pfaffen, wenige Juristen, Fabrikanten
Bürger." Schade, daß die "Landpost" nichts über den Eindrnck dieser Rede
sagt. Derselbe muß theils erheiternd, theils aber auch sehr verblüffender Natur
gewesen sein. Ein anderer Herr aus Baiern, Erbgraf von Rechter"-
Limpurg, fühlte, wie es scheint, das Bedürfniß einer ergänzenden HwzN'
fngung. Er weist auf die Schwierigkeiten hin, welche die Stellung zu den
Katholiken verursache. "Vor der Hand könne man noch nicht mit ihnen gehe"-
Wenn dies anders werde, so hätte man große Erfolge zu erwarten." Auch
naiv! Ja, diese bairischen Konservativen! Nur erst die Maigesetze ein klein
bischen revidiren, "und es wird sich schon mache, ich mein's ja so gut; uus^'
Herrgott wird wache, daß mer z'numme uns thut!"

Folgt Würtemberg. Wenn doch -- so klagt ein Herr Schmidt (Dia-
konns?) aus Stuttgart -- wenn doch nnr die würtembergischen Liberalen auch
recht liberal wären, dann stände es auch bei uns Konservativen besser! Die
Zustände in Würtemberg seien immer etwas konservativ gewesen, die dortigen
Liberalen nennten sich "deutsche Partei", die Regierung stehe in einem nisto
milieu, sie sei liberal, mache aber "keine Profession von ihrem Liberalismus",
das Volk sei "im Ganzen" konservativ, scheue sich aber, sich einer Partei an¬
zuschließen. "Finden wir immerhin im Volke Anklang, so fehlen uns dagegen
die Offiziere. Unsere Beamten stehen im Bann des Liberalismus und die
Adeligen halten sich reservirt."

Hessen erfährt Würdigung dnrch Dr. Rieger ans Darmstadt: Gegen¬
über dem Regiment der Jahre 1850--1872 hätten die Liberalen günstiges Spiel ge^
habt. Seit 1874 sei die neue Aera eingetreten, aber die Gegensätze ständen
sich nicht scharf gegenüber. Die 3 Provinzen des Landes seien innerlich und
äußerlich ganz verschieden und hätten untereinander wenig geistige Fühlung-
Das überrheinische Gebiet "ist reich und behaglich, trinkt viel Wein und hat
viel Aufklärung." Man treffe daselbst "eine Anzahl christlicher, religiöser
Landleute", die man aber erst für das politische Leben gewinnen müsse-
"Hier wäre erst der Anfang eines konservativen Lebens anzuregen." In der
Provinz Starkenburg sei man "natürlich" von der Residenz abhängig, soweit
man es nicht vom Mainzer Stuhl sei. "Ju Darmstadt ist die konservative
Sache in den ersten Anfängen." In Oberhessen stehe es besser, da zählten bei
der Neichstagswahl die konservativen Stimmen nach Tausenden! dort seien


Die kleinen Städte seien entschieden in der Hand der Liberalen, der bairische
Bauer sei „ganz konservativ", aber er stehe unter dein Banne des liberalen
Doktors, Apothekers u. s. w. Die Regierung sei gegen die Konservativen, das
erschwere die Arbeit. Immerhin sei in der Masse des Volkes ein Grundstock
gewonnen. „Aber wir leiden noch an einem sehr großen Fehler: unsere
Führer sind Adelige und Pfaffen, wenige Juristen, Fabrikanten
Bürger." Schade, daß die „Landpost" nichts über den Eindrnck dieser Rede
sagt. Derselbe muß theils erheiternd, theils aber auch sehr verblüffender Natur
gewesen sein. Ein anderer Herr aus Baiern, Erbgraf von Rechter»-
Limpurg, fühlte, wie es scheint, das Bedürfniß einer ergänzenden HwzN'
fngung. Er weist auf die Schwierigkeiten hin, welche die Stellung zu den
Katholiken verursache. „Vor der Hand könne man noch nicht mit ihnen gehe»-
Wenn dies anders werde, so hätte man große Erfolge zu erwarten." Auch
naiv! Ja, diese bairischen Konservativen! Nur erst die Maigesetze ein klein
bischen revidiren, „und es wird sich schon mache, ich mein's ja so gut; uus^'
Herrgott wird wache, daß mer z'numme uns thut!"

Folgt Würtemberg. Wenn doch — so klagt ein Herr Schmidt (Dia-
konns?) aus Stuttgart — wenn doch nnr die würtembergischen Liberalen auch
recht liberal wären, dann stände es auch bei uns Konservativen besser! Die
Zustände in Würtemberg seien immer etwas konservativ gewesen, die dortigen
Liberalen nennten sich „deutsche Partei", die Regierung stehe in einem nisto
milieu, sie sei liberal, mache aber „keine Profession von ihrem Liberalismus",
das Volk sei „im Ganzen" konservativ, scheue sich aber, sich einer Partei an¬
zuschließen. „Finden wir immerhin im Volke Anklang, so fehlen uns dagegen
die Offiziere. Unsere Beamten stehen im Bann des Liberalismus und die
Adeligen halten sich reservirt."

Hessen erfährt Würdigung dnrch Dr. Rieger ans Darmstadt: Gegen¬
über dem Regiment der Jahre 1850—1872 hätten die Liberalen günstiges Spiel ge^
habt. Seit 1874 sei die neue Aera eingetreten, aber die Gegensätze ständen
sich nicht scharf gegenüber. Die 3 Provinzen des Landes seien innerlich und
äußerlich ganz verschieden und hätten untereinander wenig geistige Fühlung-
Das überrheinische Gebiet „ist reich und behaglich, trinkt viel Wein und hat
viel Aufklärung." Man treffe daselbst „eine Anzahl christlicher, religiöser
Landleute", die man aber erst für das politische Leben gewinnen müsse-
„Hier wäre erst der Anfang eines konservativen Lebens anzuregen." In der
Provinz Starkenburg sei man „natürlich" von der Residenz abhängig, soweit
man es nicht vom Mainzer Stuhl sei. „Ju Darmstadt ist die konservative
Sache in den ersten Anfängen." In Oberhessen stehe es besser, da zählten bei
der Neichstagswahl die konservativen Stimmen nach Tausenden! dort seien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/160>, abgerufen am 22.07.2024.