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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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ist, unsere vaterländische Geschichte für die Zeit Friedrichs II. wichtige Be¬
reicherungen und für die Epoche der Freiheitskriege grade die bahnbrechenden
archivalischen Aufschlüsse verdankt, Max Duncker hat in dem Juniheft der Preu-
suschenJahrbücher (39,606--643) dieDenkwürdigkeitenHardenberg's einer Prüfung
in der bezeichneten Richtung unterzogen. Er kommt, auf Grund der erhaltenen
archivalischen Aktenstücke zu dem Ergebniß, daß 1803--1805 Hardenberg keines¬
wegs eine bessere Politik zu rathen gewußt als sein Rivale Haugwitz; daß er
ebenso wie die anderen preußischen Politiker ohne festes Prinzip zwischen den
beiden Polen, der Allianz mit oder gegen Frankreich, einhergeschwankt und der
überlegenen Große Napoleon's gegenüber sich unsicher und haltlos benommen
habe. Von der einen Seite lockte Napoleon mit verführerischen Anträgen und
Angeboten; von der anderen Seite rüsteten England, Rußland und Oesterreich
den Krieg gegen Napoleon's Uebergriffe; sie drangen darauf, daß Preußen sich
ihrem Systeme zugesellen sollte. Hardenberg's Urtheil, daß man damals für eine
der beiden Seiten sich hätte entschließen müssen, wird nachträglich ganz zweifel¬
los Billigung erfahren. Seine Darlegung aber führt noch mehr ans: sie ist
darauf angelegt, in uns die Meinung zu erregen, daß Hardenberg damals --
1805 --schon genau derselben Ansicht gewesen, wie 1808; aber die erhaltenen
Akten des Jahres 1805 zeigen, wie Duncker nachgewiesen hat, daß auch er
1805 -- unsicher gewesen, zwischen den beiden möglichen Entscheidungen zu wählen:
Er votirte im August 1805 für den Anschluß an Frankreich, während Haugwitz
davou abrieth und die Fortdauer der Neutralität empfahl. Denn erfolgte die
plötzliche Wendung. Der Durchmarsch Bernadotte's durch Ansbach (Anfangs
Oktober) warf alles herum: nun war Hardenberg der antifranzösischen Koalition
gewonnen; er vertrat jetzt, vom Oktober bis Dezember 1805, die antifran-
zvsische Kriegspolitik. Allerdings drang er nicht mit der Entschiedenheit auf
rasche unwiderrufliche Schritte gegen Frankreich, wie er in den Denkwürdig¬
keiten es behauptet (vgl. Duncker 614, 615). Die Einleitung der Aktion gegen
Frankreich geschah schwerfällig und langsam; das Heer war nicht schlagfertig:
man suchte Zeit zu gewinnen. Die schon im Krieg befindlichen Oesterreicher
und Russen begingen den ungeheuren Fehler, vor dem Eingreifen Preußens
.die Entscheidungsschlacht zu schlagen, -- und zu verlieren. Und damit erhielt
Haugwitz die erwünschte Gelegenheit, seine Neutralitätspolitik aufs Neue zu
versuchen.

Der Dezember 1805 war der kritische Augenblick, in welchem Fähigkeit
und Charakter der Staatsmänner Preußens sich bewähren sollten, und in der
That sich so wenig bewährten. Hardenberg war damals -- das steht jetzt
unzweifelhaft fest, -- das politische Haupt der Kriegspartei; ihm pflichtete
Königin Luise damals bei. Haugwitz und Lombard dagegen suchten von den


ist, unsere vaterländische Geschichte für die Zeit Friedrichs II. wichtige Be¬
reicherungen und für die Epoche der Freiheitskriege grade die bahnbrechenden
archivalischen Aufschlüsse verdankt, Max Duncker hat in dem Juniheft der Preu-
suschenJahrbücher (39,606—643) dieDenkwürdigkeitenHardenberg's einer Prüfung
in der bezeichneten Richtung unterzogen. Er kommt, auf Grund der erhaltenen
archivalischen Aktenstücke zu dem Ergebniß, daß 1803—1805 Hardenberg keines¬
wegs eine bessere Politik zu rathen gewußt als sein Rivale Haugwitz; daß er
ebenso wie die anderen preußischen Politiker ohne festes Prinzip zwischen den
beiden Polen, der Allianz mit oder gegen Frankreich, einhergeschwankt und der
überlegenen Große Napoleon's gegenüber sich unsicher und haltlos benommen
habe. Von der einen Seite lockte Napoleon mit verführerischen Anträgen und
Angeboten; von der anderen Seite rüsteten England, Rußland und Oesterreich
den Krieg gegen Napoleon's Uebergriffe; sie drangen darauf, daß Preußen sich
ihrem Systeme zugesellen sollte. Hardenberg's Urtheil, daß man damals für eine
der beiden Seiten sich hätte entschließen müssen, wird nachträglich ganz zweifel¬
los Billigung erfahren. Seine Darlegung aber führt noch mehr ans: sie ist
darauf angelegt, in uns die Meinung zu erregen, daß Hardenberg damals —
1805 —schon genau derselben Ansicht gewesen, wie 1808; aber die erhaltenen
Akten des Jahres 1805 zeigen, wie Duncker nachgewiesen hat, daß auch er
1805 — unsicher gewesen, zwischen den beiden möglichen Entscheidungen zu wählen:
Er votirte im August 1805 für den Anschluß an Frankreich, während Haugwitz
davou abrieth und die Fortdauer der Neutralität empfahl. Denn erfolgte die
plötzliche Wendung. Der Durchmarsch Bernadotte's durch Ansbach (Anfangs
Oktober) warf alles herum: nun war Hardenberg der antifranzösischen Koalition
gewonnen; er vertrat jetzt, vom Oktober bis Dezember 1805, die antifran-
zvsische Kriegspolitik. Allerdings drang er nicht mit der Entschiedenheit auf
rasche unwiderrufliche Schritte gegen Frankreich, wie er in den Denkwürdig¬
keiten es behauptet (vgl. Duncker 614, 615). Die Einleitung der Aktion gegen
Frankreich geschah schwerfällig und langsam; das Heer war nicht schlagfertig:
man suchte Zeit zu gewinnen. Die schon im Krieg befindlichen Oesterreicher
und Russen begingen den ungeheuren Fehler, vor dem Eingreifen Preußens
.die Entscheidungsschlacht zu schlagen, — und zu verlieren. Und damit erhielt
Haugwitz die erwünschte Gelegenheit, seine Neutralitätspolitik aufs Neue zu
versuchen.

Der Dezember 1805 war der kritische Augenblick, in welchem Fähigkeit
und Charakter der Staatsmänner Preußens sich bewähren sollten, und in der
That sich so wenig bewährten. Hardenberg war damals — das steht jetzt
unzweifelhaft fest, — das politische Haupt der Kriegspartei; ihm pflichtete
Königin Luise damals bei. Haugwitz und Lombard dagegen suchten von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/16>, abgerufen am 22.07.2024.