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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Aus dieser Unkenntniß erklärt sich nun leicht die merkwürdige Geographie jenes
Artikels, z.B. die kuriose Behauptung, daß "das Kongogebirge im Innern
der Ober- und Unterguineaküste noch von keinem Weißen überschritten worden
sei;" -- eine bedauerliche Verwechselung des Kongogebirges in Obergninea mit
dem Kongvstrvm in Niederguinea.

Wenn wohl kein Afrikaforscher die Gefahren unterschätzt, welche er in
jenem Erdtheil glücklich überstanden hat, so kann ihm doch eine lügenhafte und
abenteuerliche Aufbauschung derselben, oder auch seines Muthes uicht als
Lob willkommen sein! Liest man in der "Didaskalia" die erschreckende Angabe-
"daß jedem Tropfen Trinkwasser, wenn es nicht zum tödtlichen
Gift werden soll, jedem Glase Wein oder Branntwein vorher
Chinin zugesetzt werden muß, daß bei den ersten Anzeichen des
Fiebers noch eine Arseniklvsung geboten ist, und daß trotzdem
erfahrungsmäßig die weiße Rasse an der Westküste von Afrika
unbedingt nach zehn Jahren aussterbe, so muß man (und das wird
nach diesen furchtbaren Voraussetzungen wohl Niemand bestreiten) in der That
die Kühnheit dieser Männer, welche ihr Leben im Dienste der Mitwelt stündlich
preisgaben--als etwas Großes bewundern!" Danach muß allerdings Jedem,
mit dem bitteren Geschmack des Chinins bekannten, Afrika als wahre Hölle
erscheinen. Ich muß leider eingestehen, daß ich nicht angeben kann, welche
Quantitäten Wasser, Wein und Cognac ich während meines mehrjährigen Auf¬
enthalts in Westafrika getrunken habe, nnr soviel, daß es mir und Anderen
nicht im Traume einfiel, unseren Durst durch chininverbitterte Getränke zu
stillen, ebenso wie eine Arseniklösung bei den mir bekannten Europäern, welche
sich selbst helfen, niemals angewendet wurde. Die Behauptung, daß die weiße
Rasse in Westafrika unbedingt aussterbe, ist auch falsch, denn gerade gewisse
Bedingungen, z. B. unvorsichtiges Leben, Trinken im Uebermaß u. s. w-
befördern die Sterblichkeit; es müßte denn sein, daß die Europäer, deren mehr
als zehnjähriger Aufenthalt in jenen Ländern selbst mir schon persönlich bekannt
ist, wirklich jeden Trunk mit Chinin versüßten und daß mancher protestantischen
MWonärsfamilien Kiuder, die in Ehen mit dMgeborenen Weißen wieder ge¬
sunde Kinder hatten, statt mit der gewöhnlichen Milch mit Chininlösnngen
genährt wurden.

Daß der Verfasser das an dem östlichen Niger-Mündungsarm gleichen
Namens gelegene Bonny in das weit nordwestlich von der Nigermündung
liegende Reich von Dahomey versetzt, kann uns nun ebensowenig Wunder nehmen,
als die Annahme, daß es immerhin möglich sei, im Innern Afrikas eine
"Nasse" mit gespaltenen Füßen und eine andere "Nation" mit
langen Affenschwänzen aufzufinden. Protestiren müssen wir ferner gegen


Aus dieser Unkenntniß erklärt sich nun leicht die merkwürdige Geographie jenes
Artikels, z.B. die kuriose Behauptung, daß „das Kongogebirge im Innern
der Ober- und Unterguineaküste noch von keinem Weißen überschritten worden
sei;" — eine bedauerliche Verwechselung des Kongogebirges in Obergninea mit
dem Kongvstrvm in Niederguinea.

Wenn wohl kein Afrikaforscher die Gefahren unterschätzt, welche er in
jenem Erdtheil glücklich überstanden hat, so kann ihm doch eine lügenhafte und
abenteuerliche Aufbauschung derselben, oder auch seines Muthes uicht als
Lob willkommen sein! Liest man in der „Didaskalia" die erschreckende Angabe-
„daß jedem Tropfen Trinkwasser, wenn es nicht zum tödtlichen
Gift werden soll, jedem Glase Wein oder Branntwein vorher
Chinin zugesetzt werden muß, daß bei den ersten Anzeichen des
Fiebers noch eine Arseniklvsung geboten ist, und daß trotzdem
erfahrungsmäßig die weiße Rasse an der Westküste von Afrika
unbedingt nach zehn Jahren aussterbe, so muß man (und das wird
nach diesen furchtbaren Voraussetzungen wohl Niemand bestreiten) in der That
die Kühnheit dieser Männer, welche ihr Leben im Dienste der Mitwelt stündlich
preisgaben—als etwas Großes bewundern!" Danach muß allerdings Jedem,
mit dem bitteren Geschmack des Chinins bekannten, Afrika als wahre Hölle
erscheinen. Ich muß leider eingestehen, daß ich nicht angeben kann, welche
Quantitäten Wasser, Wein und Cognac ich während meines mehrjährigen Auf¬
enthalts in Westafrika getrunken habe, nnr soviel, daß es mir und Anderen
nicht im Traume einfiel, unseren Durst durch chininverbitterte Getränke zu
stillen, ebenso wie eine Arseniklösung bei den mir bekannten Europäern, welche
sich selbst helfen, niemals angewendet wurde. Die Behauptung, daß die weiße
Rasse in Westafrika unbedingt aussterbe, ist auch falsch, denn gerade gewisse
Bedingungen, z. B. unvorsichtiges Leben, Trinken im Uebermaß u. s. w-
befördern die Sterblichkeit; es müßte denn sein, daß die Europäer, deren mehr
als zehnjähriger Aufenthalt in jenen Ländern selbst mir schon persönlich bekannt
ist, wirklich jeden Trunk mit Chinin versüßten und daß mancher protestantischen
MWonärsfamilien Kiuder, die in Ehen mit dMgeborenen Weißen wieder ge¬
sunde Kinder hatten, statt mit der gewöhnlichen Milch mit Chininlösnngen
genährt wurden.

Daß der Verfasser das an dem östlichen Niger-Mündungsarm gleichen
Namens gelegene Bonny in das weit nordwestlich von der Nigermündung
liegende Reich von Dahomey versetzt, kann uns nun ebensowenig Wunder nehmen,
als die Annahme, daß es immerhin möglich sei, im Innern Afrikas eine
„Nasse" mit gespaltenen Füßen und eine andere „Nation" mit
langen Affenschwänzen aufzufinden. Protestiren müssen wir ferner gegen


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[0156] Aus dieser Unkenntniß erklärt sich nun leicht die merkwürdige Geographie jenes Artikels, z.B. die kuriose Behauptung, daß „das Kongogebirge im Innern der Ober- und Unterguineaküste noch von keinem Weißen überschritten worden sei;" — eine bedauerliche Verwechselung des Kongogebirges in Obergninea mit dem Kongvstrvm in Niederguinea. Wenn wohl kein Afrikaforscher die Gefahren unterschätzt, welche er in jenem Erdtheil glücklich überstanden hat, so kann ihm doch eine lügenhafte und abenteuerliche Aufbauschung derselben, oder auch seines Muthes uicht als Lob willkommen sein! Liest man in der „Didaskalia" die erschreckende Angabe- „daß jedem Tropfen Trinkwasser, wenn es nicht zum tödtlichen Gift werden soll, jedem Glase Wein oder Branntwein vorher Chinin zugesetzt werden muß, daß bei den ersten Anzeichen des Fiebers noch eine Arseniklvsung geboten ist, und daß trotzdem erfahrungsmäßig die weiße Rasse an der Westküste von Afrika unbedingt nach zehn Jahren aussterbe, so muß man (und das wird nach diesen furchtbaren Voraussetzungen wohl Niemand bestreiten) in der That die Kühnheit dieser Männer, welche ihr Leben im Dienste der Mitwelt stündlich preisgaben—als etwas Großes bewundern!" Danach muß allerdings Jedem, mit dem bitteren Geschmack des Chinins bekannten, Afrika als wahre Hölle erscheinen. Ich muß leider eingestehen, daß ich nicht angeben kann, welche Quantitäten Wasser, Wein und Cognac ich während meines mehrjährigen Auf¬ enthalts in Westafrika getrunken habe, nnr soviel, daß es mir und Anderen nicht im Traume einfiel, unseren Durst durch chininverbitterte Getränke zu stillen, ebenso wie eine Arseniklösung bei den mir bekannten Europäern, welche sich selbst helfen, niemals angewendet wurde. Die Behauptung, daß die weiße Rasse in Westafrika unbedingt aussterbe, ist auch falsch, denn gerade gewisse Bedingungen, z. B. unvorsichtiges Leben, Trinken im Uebermaß u. s. w- befördern die Sterblichkeit; es müßte denn sein, daß die Europäer, deren mehr als zehnjähriger Aufenthalt in jenen Ländern selbst mir schon persönlich bekannt ist, wirklich jeden Trunk mit Chinin versüßten und daß mancher protestantischen MWonärsfamilien Kiuder, die in Ehen mit dMgeborenen Weißen wieder ge¬ sunde Kinder hatten, statt mit der gewöhnlichen Milch mit Chininlösnngen genährt wurden. Daß der Verfasser das an dem östlichen Niger-Mündungsarm gleichen Namens gelegene Bonny in das weit nordwestlich von der Nigermündung liegende Reich von Dahomey versetzt, kann uns nun ebensowenig Wunder nehmen, als die Annahme, daß es immerhin möglich sei, im Innern Afrikas eine „Nasse" mit gespaltenen Füßen und eine andere „Nation" mit langen Affenschwänzen aufzufinden. Protestiren müssen wir ferner gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/156>, abgerufen am 22.07.2024.