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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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weniger zur Grundlage für einen umfassenden, den Wissensdurst weckenden
Portrag, als vielmehr zu ermüdenden Gedächtnißübungen in Höhen- und Ein¬
wohnerzahlen, in Namen von Völkern, Flüssen, Gebirgen, Ländern und Städten;
sodnft die an ansprechenden Seiten reichste Wissenschaft in dem Schüler nur Wider¬
willen erregt.

Daß die Erdkunde, "die Naturbeschreibung der Erdräume, die reifste
Frucht der menschlichen Erkenntniß, welcher alle übrigen Wissenschaften Hilfs¬
mittel und dienstbar sind", ans unseren Schulen mit nicht zahlreichen Ausnahmen
so stiefmütterlich, gleichsam nur äußerlich, ohne tieferes Eingehen behandelt
Wird und in Folge dessen unter den Schülern weniger Anklang und Anhänger
sindet, als sie verdient, hat leider wiederum in dem engbegrenzten geographischen
Wissen der Lehrer seinen Grund, denn dasselbe erstreckt sich nicht in vielen
Fällen über eigentliche Ortskunde -- locorum nuäa nomirm -- hinaus, ein
Schelm, der mehr geben kann, als er selber erhalten hat. Eine immer mehr
anwachsende Anzahl von lauter- und völkerschildernden Werken, sowie eben¬
solche Publikationen in unseren Zeitschriften setzt nun aber die Lehrer in den
Stand, die bisher vorherrschende, sich auf "Einpaukeu" beschränkende Trocken¬
heit der geographischen Unterrichtsstunden zu vermeiden und denselben eine solche,
sust Poetische Würze einzuhauchen, daß der Schüler auch über das nothwendiger-
weise vorgeschriebene Pensum zu erlernender Daten hinansarbeitet, denkt und
auch in anderen Werken und Blättern, als nur den Schulbüchern, liest
und lernt.

Leider wird nnr allzuhäufig in unserer periodischen Literatur -- selbst-
vrrstäudlich meinen nur jetzt nnr die einem größeren Publikum zur Verfügung
sehenden Zeitungen, welche in ihr Programm das gewohnheitsmäßige "Zur
Unterhaltung und Belehrung" aufnehmen -- dem Leser eine Art Belehruugs-
sutter dargeboten, welches ihn einmal und öfter irreleitet und ihn in natur
Keder Folge davon mißtrauisch machen muß. -- Seit geraumer Zeit verfolgen
wir in den verschiedensten Journalen und Tagesblättern Deutschlands die
Artikel des erwähnten Inhalts und haben nur zu oft gefunden, daß dem
Publikum in dieser Beziehung "Belehrung" aufgetischt wird, welche eiuer An¬
einanderreihung von Lügen, Irrthümern und Ungenauigkeiten gleicht, wie ein
El dein anderen. Wer mit der "Mache" der überaus zahlreichen Zeitschriften
zweiten und dritten Ranges -- von deu übrigen gar nicht zu reden -- ver-
lwut ist, wird wissen, wie leicht solche Arbeiten, von welchen wir eben sprechen,
genommen werden. Eine bestimmte Anzahl von Spalten für eine Nummer
des Blattes soll mit einem ethnographischen, geographischen oder ähnlichen
Artikel nnsgefüllt werden; dem dazu erwählten Mitarbeiter, gleichviel ob er
5" einer wirklichen Arbeit über den Gegenstand fähig ist, oder nicht, wird


weniger zur Grundlage für einen umfassenden, den Wissensdurst weckenden
Portrag, als vielmehr zu ermüdenden Gedächtnißübungen in Höhen- und Ein¬
wohnerzahlen, in Namen von Völkern, Flüssen, Gebirgen, Ländern und Städten;
sodnft die an ansprechenden Seiten reichste Wissenschaft in dem Schüler nur Wider¬
willen erregt.

Daß die Erdkunde, „die Naturbeschreibung der Erdräume, die reifste
Frucht der menschlichen Erkenntniß, welcher alle übrigen Wissenschaften Hilfs¬
mittel und dienstbar sind", ans unseren Schulen mit nicht zahlreichen Ausnahmen
so stiefmütterlich, gleichsam nur äußerlich, ohne tieferes Eingehen behandelt
Wird und in Folge dessen unter den Schülern weniger Anklang und Anhänger
sindet, als sie verdient, hat leider wiederum in dem engbegrenzten geographischen
Wissen der Lehrer seinen Grund, denn dasselbe erstreckt sich nicht in vielen
Fällen über eigentliche Ortskunde — locorum nuäa nomirm — hinaus, ein
Schelm, der mehr geben kann, als er selber erhalten hat. Eine immer mehr
anwachsende Anzahl von lauter- und völkerschildernden Werken, sowie eben¬
solche Publikationen in unseren Zeitschriften setzt nun aber die Lehrer in den
Stand, die bisher vorherrschende, sich auf „Einpaukeu" beschränkende Trocken¬
heit der geographischen Unterrichtsstunden zu vermeiden und denselben eine solche,
sust Poetische Würze einzuhauchen, daß der Schüler auch über das nothwendiger-
weise vorgeschriebene Pensum zu erlernender Daten hinansarbeitet, denkt und
auch in anderen Werken und Blättern, als nur den Schulbüchern, liest
und lernt.

Leider wird nnr allzuhäufig in unserer periodischen Literatur — selbst-
vrrstäudlich meinen nur jetzt nnr die einem größeren Publikum zur Verfügung
sehenden Zeitungen, welche in ihr Programm das gewohnheitsmäßige „Zur
Unterhaltung und Belehrung" aufnehmen — dem Leser eine Art Belehruugs-
sutter dargeboten, welches ihn einmal und öfter irreleitet und ihn in natur
Keder Folge davon mißtrauisch machen muß. — Seit geraumer Zeit verfolgen
wir in den verschiedensten Journalen und Tagesblättern Deutschlands die
Artikel des erwähnten Inhalts und haben nur zu oft gefunden, daß dem
Publikum in dieser Beziehung „Belehrung" aufgetischt wird, welche eiuer An¬
einanderreihung von Lügen, Irrthümern und Ungenauigkeiten gleicht, wie ein
El dein anderen. Wer mit der „Mache" der überaus zahlreichen Zeitschriften
zweiten und dritten Ranges — von deu übrigen gar nicht zu reden — ver-
lwut ist, wird wissen, wie leicht solche Arbeiten, von welchen wir eben sprechen,
genommen werden. Eine bestimmte Anzahl von Spalten für eine Nummer
des Blattes soll mit einem ethnographischen, geographischen oder ähnlichen
Artikel nnsgefüllt werden; dem dazu erwählten Mitarbeiter, gleichviel ob er
5» einer wirklichen Arbeit über den Gegenstand fähig ist, oder nicht, wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/153>, abgerufen am 22.07.2024.