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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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richtete ferner noch vor fünfzehn oder sechzehn Jahren in Danzig ein katho¬
lischer Geistlicher mit Weihwasser allerlei staunenswerthe Kuren. In Mecklen-
burg wird krankes Vieh gesund, wenn es mit einer Hostie berührt wird. Noch
vielfach gilt das Abendmahl als magisches Mittel in schweren Krankheiten.
Wuttke kennt Beispiele, daß Pastoren sich sagen lassen mußten, man habe sie
mit ihrem Brod und Wein gerufen, weil der Doktor zu theuer sei, und im
Wupperthal haben ungläubige Aerzte ihren Patienten das Abendmahl "ver¬
ordnet", um die Krisis herbeizuführen. Das Wachs von Altarkerzen gilt i"
der Lausitz sowie in Ostpreußen als ein wirksames Mittel zur Heilung von
Nabelbrüchen bei den Kindern. In Ostfriesland kocht man das an Kircheu-
inanern wachsende Moos aus und gibt den Absud Kranken als Thee ein. Die
Epilepsie wird vertrieben durch konsekrirten Abendmahlsweiu (Lausitz), durch
ein Stück scharlachrothes Tuch von einem katholischen Altar, durch etwas vom
Altar Abgeschabtes (Lauenburg), durch Pulver von Todtenknochen, die auf dem
Kirchhofe gefunden worden sind; dasselbe muß aber bei abnehmendem Monde
eingenommen werden. Hat ein Kind in Ostpreußen die fallende Sucht, so
müssen die Eltern etwas an die Kirche zahlen und nüchtern zum heiligen
Abendmahle gehen.

Ich nenne nach Wuttke in bunter Reihe noch eine Anzahl in diesen Zu¬
sammenhang gehöriger Vorschriften und Bräuche, die größtenteils sehr seltsam
und ganz unerklärlich, mitunter aber geradezu lächerlich sind. In Tirol trügt
man bei Husten und Athembeklemmung in einem SKckcheu eine Adlerzunge am
Halse. In Schlesien und der Lausitz heißt es, man könne sich dadurch von
der Gelbsucht befreien, daß man in ein Faß mit Theer hineinsehe. In der
Wettercin wird man Zahnschmerzen los, wenn man -- einem Esel einen Kuß
gibt. In der Mark nehmen Leute, die an schlimmen Angen, leiden, eine Spinne,
thun sie in eine Nußschale, kleben oder binden diese zu und hängen sie sich dankt
an den Hals. Die Gicht beseitigt die ostfriesische Volksmedizin dadurch, daß
sie dem von Podagra oder Chiragra Geplagten den Rath ertheilt, sich drei
Kartoffeln zu erbetteln und diese dann bis zu völligem Verwelken auf dem
bloßen Leibe zu tragen. Blutungen werden in Schlesien und Mecklenburg
dadurch gestillt, daß man zwei weiße oder blaue Kornblumen, die am Johannis¬
tage Mittags Schlag zwölf Uhr gepflückt find, und die man dann aufbewahrt
hat, in die Hand nimmt, sobald einem die Nase oder eine Wunde zu blicken
angefangen hat und damit nicht aufhören will. Wunden werden in Tirol ge¬
heilt, indem man 77 Blätter vom Gundermann ((Flecllamk) darauflegt. Magen¬
leiden und Verdauungsbeschwerden verschwinden nach mecklenburgischem Volks¬
glauben, wenn der Betreffende ein gefundenes halbes Hufeisen glühend macht,
Bier darauf gießt und dieses dann trinkt. Den Kropf bringt man in Hesse"


richtete ferner noch vor fünfzehn oder sechzehn Jahren in Danzig ein katho¬
lischer Geistlicher mit Weihwasser allerlei staunenswerthe Kuren. In Mecklen-
burg wird krankes Vieh gesund, wenn es mit einer Hostie berührt wird. Noch
vielfach gilt das Abendmahl als magisches Mittel in schweren Krankheiten.
Wuttke kennt Beispiele, daß Pastoren sich sagen lassen mußten, man habe sie
mit ihrem Brod und Wein gerufen, weil der Doktor zu theuer sei, und im
Wupperthal haben ungläubige Aerzte ihren Patienten das Abendmahl „ver¬
ordnet", um die Krisis herbeizuführen. Das Wachs von Altarkerzen gilt i»
der Lausitz sowie in Ostpreußen als ein wirksames Mittel zur Heilung von
Nabelbrüchen bei den Kindern. In Ostfriesland kocht man das an Kircheu-
inanern wachsende Moos aus und gibt den Absud Kranken als Thee ein. Die
Epilepsie wird vertrieben durch konsekrirten Abendmahlsweiu (Lausitz), durch
ein Stück scharlachrothes Tuch von einem katholischen Altar, durch etwas vom
Altar Abgeschabtes (Lauenburg), durch Pulver von Todtenknochen, die auf dem
Kirchhofe gefunden worden sind; dasselbe muß aber bei abnehmendem Monde
eingenommen werden. Hat ein Kind in Ostpreußen die fallende Sucht, so
müssen die Eltern etwas an die Kirche zahlen und nüchtern zum heiligen
Abendmahle gehen.

Ich nenne nach Wuttke in bunter Reihe noch eine Anzahl in diesen Zu¬
sammenhang gehöriger Vorschriften und Bräuche, die größtenteils sehr seltsam
und ganz unerklärlich, mitunter aber geradezu lächerlich sind. In Tirol trügt
man bei Husten und Athembeklemmung in einem SKckcheu eine Adlerzunge am
Halse. In Schlesien und der Lausitz heißt es, man könne sich dadurch von
der Gelbsucht befreien, daß man in ein Faß mit Theer hineinsehe. In der
Wettercin wird man Zahnschmerzen los, wenn man — einem Esel einen Kuß
gibt. In der Mark nehmen Leute, die an schlimmen Angen, leiden, eine Spinne,
thun sie in eine Nußschale, kleben oder binden diese zu und hängen sie sich dankt
an den Hals. Die Gicht beseitigt die ostfriesische Volksmedizin dadurch, daß
sie dem von Podagra oder Chiragra Geplagten den Rath ertheilt, sich drei
Kartoffeln zu erbetteln und diese dann bis zu völligem Verwelken auf dem
bloßen Leibe zu tragen. Blutungen werden in Schlesien und Mecklenburg
dadurch gestillt, daß man zwei weiße oder blaue Kornblumen, die am Johannis¬
tage Mittags Schlag zwölf Uhr gepflückt find, und die man dann aufbewahrt
hat, in die Hand nimmt, sobald einem die Nase oder eine Wunde zu blicken
angefangen hat und damit nicht aufhören will. Wunden werden in Tirol ge¬
heilt, indem man 77 Blätter vom Gundermann ((Flecllamk) darauflegt. Magen¬
leiden und Verdauungsbeschwerden verschwinden nach mecklenburgischem Volks¬
glauben, wenn der Betreffende ein gefundenes halbes Hufeisen glühend macht,
Bier darauf gießt und dieses dann trinkt. Den Kropf bringt man in Hesse»


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[0150] richtete ferner noch vor fünfzehn oder sechzehn Jahren in Danzig ein katho¬ lischer Geistlicher mit Weihwasser allerlei staunenswerthe Kuren. In Mecklen- burg wird krankes Vieh gesund, wenn es mit einer Hostie berührt wird. Noch vielfach gilt das Abendmahl als magisches Mittel in schweren Krankheiten. Wuttke kennt Beispiele, daß Pastoren sich sagen lassen mußten, man habe sie mit ihrem Brod und Wein gerufen, weil der Doktor zu theuer sei, und im Wupperthal haben ungläubige Aerzte ihren Patienten das Abendmahl „ver¬ ordnet", um die Krisis herbeizuführen. Das Wachs von Altarkerzen gilt i» der Lausitz sowie in Ostpreußen als ein wirksames Mittel zur Heilung von Nabelbrüchen bei den Kindern. In Ostfriesland kocht man das an Kircheu- inanern wachsende Moos aus und gibt den Absud Kranken als Thee ein. Die Epilepsie wird vertrieben durch konsekrirten Abendmahlsweiu (Lausitz), durch ein Stück scharlachrothes Tuch von einem katholischen Altar, durch etwas vom Altar Abgeschabtes (Lauenburg), durch Pulver von Todtenknochen, die auf dem Kirchhofe gefunden worden sind; dasselbe muß aber bei abnehmendem Monde eingenommen werden. Hat ein Kind in Ostpreußen die fallende Sucht, so müssen die Eltern etwas an die Kirche zahlen und nüchtern zum heiligen Abendmahle gehen. Ich nenne nach Wuttke in bunter Reihe noch eine Anzahl in diesen Zu¬ sammenhang gehöriger Vorschriften und Bräuche, die größtenteils sehr seltsam und ganz unerklärlich, mitunter aber geradezu lächerlich sind. In Tirol trügt man bei Husten und Athembeklemmung in einem SKckcheu eine Adlerzunge am Halse. In Schlesien und der Lausitz heißt es, man könne sich dadurch von der Gelbsucht befreien, daß man in ein Faß mit Theer hineinsehe. In der Wettercin wird man Zahnschmerzen los, wenn man — einem Esel einen Kuß gibt. In der Mark nehmen Leute, die an schlimmen Angen, leiden, eine Spinne, thun sie in eine Nußschale, kleben oder binden diese zu und hängen sie sich dankt an den Hals. Die Gicht beseitigt die ostfriesische Volksmedizin dadurch, daß sie dem von Podagra oder Chiragra Geplagten den Rath ertheilt, sich drei Kartoffeln zu erbetteln und diese dann bis zu völligem Verwelken auf dem bloßen Leibe zu tragen. Blutungen werden in Schlesien und Mecklenburg dadurch gestillt, daß man zwei weiße oder blaue Kornblumen, die am Johannis¬ tage Mittags Schlag zwölf Uhr gepflückt find, und die man dann aufbewahrt hat, in die Hand nimmt, sobald einem die Nase oder eine Wunde zu blicken angefangen hat und damit nicht aufhören will. Wunden werden in Tirol ge¬ heilt, indem man 77 Blätter vom Gundermann ((Flecllamk) darauflegt. Magen¬ leiden und Verdauungsbeschwerden verschwinden nach mecklenburgischem Volks¬ glauben, wenn der Betreffende ein gefundenes halbes Hufeisen glühend macht, Bier darauf gießt und dieses dann trinkt. Den Kropf bringt man in Hesse»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/150>, abgerufen am 22.07.2024.