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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Trotz ihre Nachtlampe nicht auslöschen wollte. Erst als sie mit der zwei¬
stündigen Qual der Feuerbereiter und ihrer dringender werdenden Bitten Mit¬
leid hatte und das Lämpchen auslöschte, brachte der gesteigerte Muth der
Bauern ein Feuer zu Stande, und die Schweine wurden hindurchgetriebeii,
die kranken hindurchgezogen, wobei einige ihr Leben einbüßten. Geholfen hat
das Mittel trotz der obrigkeitlichen Anordnung nicht." Im Harze wird er-
krnuttes Federvieh über einem Kohlenfeuer in einem Siebe hin und herge-
schwenkt. In der Altmark gilt Asche von den Osterfenern für heilsam bei
Viehkrankheiten. Die Rose wird im Brandenburgischen sowie in Schlesien da¬
durch beseitigt, daß ein Junggesell stillschweigend und ohne daß der Kranke
etwas davon weiß, mit einem Feuerstahl dreimal Funken ans den leidenden
Theil schlägt.

Das Johanniskraut (u/rxzrieum pertorg-wen) ist ein treffliches Mittel bei
allerlei Schäden, die Johcmniswurzel aber (die Wurzel des Farrenkrautes, po-
iWväium lllix ing,s) wird bei Teilchen der Rinder, Schafe und Schweine an¬
gewendet. Der Meinwurmkäfer oder die Oelmutter (Rökos) ist unter den
schlesischen Bauern und Kleinstädtern ein Mittel zur Beseitigung des Fiebers,
und zwar muß man sich zu diesem Zwecke den ersten, dessen man im Jahre
ansichtig wird, in ein Leinwandsäckchen einbinden und dann dieses auf der
Brust tragen.

Wenn die Schwalben, so heißt es in Tirol, sieben Jahre in einem Neste
gebrütet haben, so lassen sie darin den Schwalbenstein zurück, der außerordent¬
liche Heilkräfte besitzt und besonders gegen allerhand Augenleiden hilft. Nach
anderer Meinung wird er einer jungen Schwalbe aus dem Leibe geschnitten,
und verhütet, am Halse getragen, bei Epileptischen, daß sie in ihre Krämpfe
verfallen. Im Kopfe der großen Kröte, so sagt man eben daselbst, liegt der
Krötenstein, den man aber nur erlangt, wenn man das Thier in einem Ameisen¬
haufen bis auf das Knochengerüst zerfressen läßt. Bestreicht man mit diesem
köstlichen Steine eine Wunde, so heilt sie im Handumdrehen, und kommt Gift
in seine Nähe, so beginnt er zu schwitzen.

Eine ganz besondere Heilkraft wohnt ferner Leichen und Theilen derselben
bei, doch waltet dabei die Vorstellung ob, daß es Leichen von junge" und
plötzlich gestorbenen Leuten sein müssen, wenn diese Kraft bemerkbar werden
soll. Die von Selbstmördern sind dabei ausgeschlossen (was ehedem vermuth¬
lich uicht der Fall war), dagegen haben die Leichen von Hingerichteten, d:e
in alter Zeit als Opfer aufgefaßt wurden, unter allen für die Zwecke der
Volksmedizin den höchsten Werth. In Mecklenburg und ebenso in Schlesien
glaubt mau, daß der Zahn eines im Kriege oder sonstwie gewaltthätig Ange¬
kommenen Zahnschmerzen heilt, wenn man mit ihm über die kranke Kinnlade


Trotz ihre Nachtlampe nicht auslöschen wollte. Erst als sie mit der zwei¬
stündigen Qual der Feuerbereiter und ihrer dringender werdenden Bitten Mit¬
leid hatte und das Lämpchen auslöschte, brachte der gesteigerte Muth der
Bauern ein Feuer zu Stande, und die Schweine wurden hindurchgetriebeii,
die kranken hindurchgezogen, wobei einige ihr Leben einbüßten. Geholfen hat
das Mittel trotz der obrigkeitlichen Anordnung nicht." Im Harze wird er-
krnuttes Federvieh über einem Kohlenfeuer in einem Siebe hin und herge-
schwenkt. In der Altmark gilt Asche von den Osterfenern für heilsam bei
Viehkrankheiten. Die Rose wird im Brandenburgischen sowie in Schlesien da¬
durch beseitigt, daß ein Junggesell stillschweigend und ohne daß der Kranke
etwas davon weiß, mit einem Feuerstahl dreimal Funken ans den leidenden
Theil schlägt.

Das Johanniskraut (u/rxzrieum pertorg-wen) ist ein treffliches Mittel bei
allerlei Schäden, die Johcmniswurzel aber (die Wurzel des Farrenkrautes, po-
iWväium lllix ing,s) wird bei Teilchen der Rinder, Schafe und Schweine an¬
gewendet. Der Meinwurmkäfer oder die Oelmutter (Rökos) ist unter den
schlesischen Bauern und Kleinstädtern ein Mittel zur Beseitigung des Fiebers,
und zwar muß man sich zu diesem Zwecke den ersten, dessen man im Jahre
ansichtig wird, in ein Leinwandsäckchen einbinden und dann dieses auf der
Brust tragen.

Wenn die Schwalben, so heißt es in Tirol, sieben Jahre in einem Neste
gebrütet haben, so lassen sie darin den Schwalbenstein zurück, der außerordent¬
liche Heilkräfte besitzt und besonders gegen allerhand Augenleiden hilft. Nach
anderer Meinung wird er einer jungen Schwalbe aus dem Leibe geschnitten,
und verhütet, am Halse getragen, bei Epileptischen, daß sie in ihre Krämpfe
verfallen. Im Kopfe der großen Kröte, so sagt man eben daselbst, liegt der
Krötenstein, den man aber nur erlangt, wenn man das Thier in einem Ameisen¬
haufen bis auf das Knochengerüst zerfressen läßt. Bestreicht man mit diesem
köstlichen Steine eine Wunde, so heilt sie im Handumdrehen, und kommt Gift
in seine Nähe, so beginnt er zu schwitzen.

Eine ganz besondere Heilkraft wohnt ferner Leichen und Theilen derselben
bei, doch waltet dabei die Vorstellung ob, daß es Leichen von junge» und
plötzlich gestorbenen Leuten sein müssen, wenn diese Kraft bemerkbar werden
soll. Die von Selbstmördern sind dabei ausgeschlossen (was ehedem vermuth¬
lich uicht der Fall war), dagegen haben die Leichen von Hingerichteten, d:e
in alter Zeit als Opfer aufgefaßt wurden, unter allen für die Zwecke der
Volksmedizin den höchsten Werth. In Mecklenburg und ebenso in Schlesien
glaubt mau, daß der Zahn eines im Kriege oder sonstwie gewaltthätig Ange¬
kommenen Zahnschmerzen heilt, wenn man mit ihm über die kranke Kinnlade


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[0148] Trotz ihre Nachtlampe nicht auslöschen wollte. Erst als sie mit der zwei¬ stündigen Qual der Feuerbereiter und ihrer dringender werdenden Bitten Mit¬ leid hatte und das Lämpchen auslöschte, brachte der gesteigerte Muth der Bauern ein Feuer zu Stande, und die Schweine wurden hindurchgetriebeii, die kranken hindurchgezogen, wobei einige ihr Leben einbüßten. Geholfen hat das Mittel trotz der obrigkeitlichen Anordnung nicht." Im Harze wird er- krnuttes Federvieh über einem Kohlenfeuer in einem Siebe hin und herge- schwenkt. In der Altmark gilt Asche von den Osterfenern für heilsam bei Viehkrankheiten. Die Rose wird im Brandenburgischen sowie in Schlesien da¬ durch beseitigt, daß ein Junggesell stillschweigend und ohne daß der Kranke etwas davon weiß, mit einem Feuerstahl dreimal Funken ans den leidenden Theil schlägt. Das Johanniskraut (u/rxzrieum pertorg-wen) ist ein treffliches Mittel bei allerlei Schäden, die Johcmniswurzel aber (die Wurzel des Farrenkrautes, po- iWväium lllix ing,s) wird bei Teilchen der Rinder, Schafe und Schweine an¬ gewendet. Der Meinwurmkäfer oder die Oelmutter (Rökos) ist unter den schlesischen Bauern und Kleinstädtern ein Mittel zur Beseitigung des Fiebers, und zwar muß man sich zu diesem Zwecke den ersten, dessen man im Jahre ansichtig wird, in ein Leinwandsäckchen einbinden und dann dieses auf der Brust tragen. Wenn die Schwalben, so heißt es in Tirol, sieben Jahre in einem Neste gebrütet haben, so lassen sie darin den Schwalbenstein zurück, der außerordent¬ liche Heilkräfte besitzt und besonders gegen allerhand Augenleiden hilft. Nach anderer Meinung wird er einer jungen Schwalbe aus dem Leibe geschnitten, und verhütet, am Halse getragen, bei Epileptischen, daß sie in ihre Krämpfe verfallen. Im Kopfe der großen Kröte, so sagt man eben daselbst, liegt der Krötenstein, den man aber nur erlangt, wenn man das Thier in einem Ameisen¬ haufen bis auf das Knochengerüst zerfressen läßt. Bestreicht man mit diesem köstlichen Steine eine Wunde, so heilt sie im Handumdrehen, und kommt Gift in seine Nähe, so beginnt er zu schwitzen. Eine ganz besondere Heilkraft wohnt ferner Leichen und Theilen derselben bei, doch waltet dabei die Vorstellung ob, daß es Leichen von junge» und plötzlich gestorbenen Leuten sein müssen, wenn diese Kraft bemerkbar werden soll. Die von Selbstmördern sind dabei ausgeschlossen (was ehedem vermuth¬ lich uicht der Fall war), dagegen haben die Leichen von Hingerichteten, d:e in alter Zeit als Opfer aufgefaßt wurden, unter allen für die Zwecke der Volksmedizin den höchsten Werth. In Mecklenburg und ebenso in Schlesien glaubt mau, daß der Zahn eines im Kriege oder sonstwie gewaltthätig Ange¬ kommenen Zahnschmerzen heilt, wenn man mit ihm über die kranke Kinnlade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/148>, abgerufen am 22.07.2024.