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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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häuslichen Uebel sichert man sich und seine Familie mich vor Krankheiten
dadurch, daß man über die Thür drei Kreuze oder die Anfangsbuchstaben der
Namen Kaspar, Melchior und Bcilthasar oder einen sogenannten "Trndenfuß"
malt, der in zwei in einander geschobenen Dreiecken besteht, welche einen fünf¬
zakkigen Stern bilden. In Hessen hängen vorsichtige Hausväter oder Gro߬
mütter zu diesem Zwecke "Hexenkraut", in Schlesien und Franken eine
"Unruhe", d. h. einen Distelkopf, der an einem Faden baumelt, an der Stuben-
decke auf, indem sie wissen, daß die stete Bewegung durch den Zugwind die
Hexe vertreibt, die unsichtbar kommt, um den Leuten "was anzuthun." Anderswo
nagelt man ein Hufeisen ans die Schwelle der Hausthür oder legt neunerlei
Holz unter dieselbe oder stellt einen Besen so in die Stube, daß der Stiel
uach unten zu stehen kommt -- eine Sitte, der wir in Franken und Hessen
sowie in Tirol begegnen.

Ungemein zahlreich sind die Methoden, dnrch die man sich in den Kreisen
der Altgläubigen gegen Wunden schützen zu können vermeint, und viele davou
haben ein recht wunderliches Aussehen. In Hessen z. B. trägt man ein
Stückchen Nabelschnur oder Nachgeburt oder einen Fledermauskvps in den
Kleidern. In Tirol hängen sich die Bauernburschen eine ans der Wunde
eines Erschossenen gezogene Kugel an, oder sie schlitzen sich den Ballen der
Hand auf, stecken in den Schnitt ein konsekrirte Hostie und lassen die Wunde
darüber zuseiten und verwachsen. Im Brandenburgischen zieht man zu diesem
Zwecke ein Hemd an, welches aus Garn gewebt ist, das ein Kind unter sieben
Jahren gesponnen hat. Noch häufiger machte man sich einst und macht man
sich ohne Zweifel hier und da noch jetzt "fest" oder "gefroren" durch Zauber¬
zettel oder Segensspruche, die man in der Tasche oder in einem Säckchen auf
der Brust mit sich führte. Einer von diesen, wahrscheinlich aus einem süd¬
deutschen Kloster stammend und für Soldaten bestimmt, lautet charakteristisch:
"Die himmlischen und heiligen Posaunen, die blasen, die blasen alle Kngeln
und Unglück von mir und gleich von mir ab. Ich fliehe unter den Baum
des Lebens, der zwölferlei Frucht trägt; ich fliehe hinter den heiligen Altar
der christlichen Kirche; ich befehle mich der heiligen Dreifaltigkeit; ich verberge
mich hinter den Fronleichnam Jesu Christi, daß ich von keines Menschen Hand
werde gefangen und gebunden, nicht gehalten, nicht gestochen, nicht geworfen,
nicht geschlagen und überhaupt nicht verwundet werde. Das helfe mir Gott
der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen." Ein westfälischer
Segensspruch, welcher verhütet, daß eine Wunde in gefährliche Eiterung übergeht,
heißt: "Wunde, Dn sollst nicht Hitzen, Dn sollst nicht schwitzen, Du sollst nicht
gähren, Du sollst nicht Schwären, bis. die Mutter Gottes wird "och ein Kind
gebären. Im Namen Gottes" u. s. w.


häuslichen Uebel sichert man sich und seine Familie mich vor Krankheiten
dadurch, daß man über die Thür drei Kreuze oder die Anfangsbuchstaben der
Namen Kaspar, Melchior und Bcilthasar oder einen sogenannten „Trndenfuß"
malt, der in zwei in einander geschobenen Dreiecken besteht, welche einen fünf¬
zakkigen Stern bilden. In Hessen hängen vorsichtige Hausväter oder Gro߬
mütter zu diesem Zwecke „Hexenkraut", in Schlesien und Franken eine
„Unruhe", d. h. einen Distelkopf, der an einem Faden baumelt, an der Stuben-
decke auf, indem sie wissen, daß die stete Bewegung durch den Zugwind die
Hexe vertreibt, die unsichtbar kommt, um den Leuten „was anzuthun." Anderswo
nagelt man ein Hufeisen ans die Schwelle der Hausthür oder legt neunerlei
Holz unter dieselbe oder stellt einen Besen so in die Stube, daß der Stiel
uach unten zu stehen kommt — eine Sitte, der wir in Franken und Hessen
sowie in Tirol begegnen.

Ungemein zahlreich sind die Methoden, dnrch die man sich in den Kreisen
der Altgläubigen gegen Wunden schützen zu können vermeint, und viele davou
haben ein recht wunderliches Aussehen. In Hessen z. B. trägt man ein
Stückchen Nabelschnur oder Nachgeburt oder einen Fledermauskvps in den
Kleidern. In Tirol hängen sich die Bauernburschen eine ans der Wunde
eines Erschossenen gezogene Kugel an, oder sie schlitzen sich den Ballen der
Hand auf, stecken in den Schnitt ein konsekrirte Hostie und lassen die Wunde
darüber zuseiten und verwachsen. Im Brandenburgischen zieht man zu diesem
Zwecke ein Hemd an, welches aus Garn gewebt ist, das ein Kind unter sieben
Jahren gesponnen hat. Noch häufiger machte man sich einst und macht man
sich ohne Zweifel hier und da noch jetzt „fest" oder „gefroren" durch Zauber¬
zettel oder Segensspruche, die man in der Tasche oder in einem Säckchen auf
der Brust mit sich führte. Einer von diesen, wahrscheinlich aus einem süd¬
deutschen Kloster stammend und für Soldaten bestimmt, lautet charakteristisch:
„Die himmlischen und heiligen Posaunen, die blasen, die blasen alle Kngeln
und Unglück von mir und gleich von mir ab. Ich fliehe unter den Baum
des Lebens, der zwölferlei Frucht trägt; ich fliehe hinter den heiligen Altar
der christlichen Kirche; ich befehle mich der heiligen Dreifaltigkeit; ich verberge
mich hinter den Fronleichnam Jesu Christi, daß ich von keines Menschen Hand
werde gefangen und gebunden, nicht gehalten, nicht gestochen, nicht geworfen,
nicht geschlagen und überhaupt nicht verwundet werde. Das helfe mir Gott
der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen." Ein westfälischer
Segensspruch, welcher verhütet, daß eine Wunde in gefährliche Eiterung übergeht,
heißt: „Wunde, Dn sollst nicht Hitzen, Dn sollst nicht schwitzen, Du sollst nicht
gähren, Du sollst nicht Schwären, bis. die Mutter Gottes wird »och ein Kind
gebären. Im Namen Gottes" u. s. w.


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[0144] häuslichen Uebel sichert man sich und seine Familie mich vor Krankheiten dadurch, daß man über die Thür drei Kreuze oder die Anfangsbuchstaben der Namen Kaspar, Melchior und Bcilthasar oder einen sogenannten „Trndenfuß" malt, der in zwei in einander geschobenen Dreiecken besteht, welche einen fünf¬ zakkigen Stern bilden. In Hessen hängen vorsichtige Hausväter oder Gro߬ mütter zu diesem Zwecke „Hexenkraut", in Schlesien und Franken eine „Unruhe", d. h. einen Distelkopf, der an einem Faden baumelt, an der Stuben- decke auf, indem sie wissen, daß die stete Bewegung durch den Zugwind die Hexe vertreibt, die unsichtbar kommt, um den Leuten „was anzuthun." Anderswo nagelt man ein Hufeisen ans die Schwelle der Hausthür oder legt neunerlei Holz unter dieselbe oder stellt einen Besen so in die Stube, daß der Stiel uach unten zu stehen kommt — eine Sitte, der wir in Franken und Hessen sowie in Tirol begegnen. Ungemein zahlreich sind die Methoden, dnrch die man sich in den Kreisen der Altgläubigen gegen Wunden schützen zu können vermeint, und viele davou haben ein recht wunderliches Aussehen. In Hessen z. B. trägt man ein Stückchen Nabelschnur oder Nachgeburt oder einen Fledermauskvps in den Kleidern. In Tirol hängen sich die Bauernburschen eine ans der Wunde eines Erschossenen gezogene Kugel an, oder sie schlitzen sich den Ballen der Hand auf, stecken in den Schnitt ein konsekrirte Hostie und lassen die Wunde darüber zuseiten und verwachsen. Im Brandenburgischen zieht man zu diesem Zwecke ein Hemd an, welches aus Garn gewebt ist, das ein Kind unter sieben Jahren gesponnen hat. Noch häufiger machte man sich einst und macht man sich ohne Zweifel hier und da noch jetzt „fest" oder „gefroren" durch Zauber¬ zettel oder Segensspruche, die man in der Tasche oder in einem Säckchen auf der Brust mit sich führte. Einer von diesen, wahrscheinlich aus einem süd¬ deutschen Kloster stammend und für Soldaten bestimmt, lautet charakteristisch: „Die himmlischen und heiligen Posaunen, die blasen, die blasen alle Kngeln und Unglück von mir und gleich von mir ab. Ich fliehe unter den Baum des Lebens, der zwölferlei Frucht trägt; ich fliehe hinter den heiligen Altar der christlichen Kirche; ich befehle mich der heiligen Dreifaltigkeit; ich verberge mich hinter den Fronleichnam Jesu Christi, daß ich von keines Menschen Hand werde gefangen und gebunden, nicht gehalten, nicht gestochen, nicht geworfen, nicht geschlagen und überhaupt nicht verwundet werde. Das helfe mir Gott der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen." Ein westfälischer Segensspruch, welcher verhütet, daß eine Wunde in gefährliche Eiterung übergeht, heißt: „Wunde, Dn sollst nicht Hitzen, Dn sollst nicht schwitzen, Du sollst nicht gähren, Du sollst nicht Schwären, bis. die Mutter Gottes wird »och ein Kind gebären. Im Namen Gottes" u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/144>, abgerufen am 23.07.2024.