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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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in Tirol empfohlen.) Man esse Brot, von dein eine Maus abgebissen hat,
oder stecke einen ausgefallenen Milchzahn in ein Mausloch. In der Mark
gehen altgläubige Leute, wenn sie sich einen Zahn haben ausziehen lassen,
damit hinter den Ofen, werfen ihn sich über den Kopf und sprechen: "Maus,
gieb mir deinen eisernen Zahn, ich will dir meinen bemerlten geben" - - eine
Prozedur, mit der man die übrigen Zähne vor dem Angefressenwerden sicher
stellt. Am Rhein singen die Kinder bei demselben Verfahren: "Maus, Maus,
komm heraus, bring mir einen neuen Zahn heraus", in Schlesien: "Mauset,
ich geb dir ein Beindel, gieb mir dafür ein Steindel", im Aargau: "Mufti,
Mufti, nimm de Zäh, gimmer e schöne goldige dra, frei e schöne wiße, aß
ach's Brod ka biße." Gegen Schlaflosigkeit schützt man sich in Tirol dadurch,
daß man sich einen "Schlafäpfel" oder Schlafputzen", d. h. eine Hagebutte
oder deu moosartigen Auswuchs am wilden Rosenstrauch unter das Kopfkissen
legt, im Brandenburgischen sowie in Sachsen und Schlesien dadurch, daß man
beim Schlafengehen die Schuhe so hinstellt, daß sie die Spitzen dem Bette
zukehren.

Wenn eine schwangere Frau nach etwas gelüstet, oder wenn eine solche
Wer etwas erschrickt, so bekommt nach weit verbreitetem Volksglauben das
Kind ein Maal in Gestalt des betreffenden Gegenstandes, einer Erd- oder
Himbeere, einer Maus u. d. ins Gesicht, und um das zu vermeiden, hat sie
sofort nach Aufsteigen der Begierde, oder inmittelbar nach dem Schreck sich
über den Rücken zu fahren, wo dann beim Kinde das Maal eine harmlose
Stelle findet. In einigen Gegenden ist Ausspucken in solchen Füllen genügend.
Wer sich damit versieht, daß er sich seiner Gesundheit berühmt, kann sich vor
der dann drohenden Krankheit ebenfalls dnrch Ausspucken oder auch damit
schützen, daß er: "Unberufen!" "Unbeschrien!" oder: "Gestern war's besser!"
ausruft. Im Brandenburgschen herrscht der Aberglaube, man könne Krank¬
heiten dadurch bekommen, daß einem ein Anderer über dieselben klage, und
um diese Uebertragung abzuwenden, erwidert ihm der solcher Dinge Kundige:
"Behält Deine Schmerzen alleine und klage sie (ein sehr alter Zug, der auch
in mehreren Sagen vorkommt) dem Steine." In Tirol und Schlesien meint
vns Volk, daß Wiesel, Kröten und Schlangen durch "Anblasen" oder "Anfauchen,,
Menschen dermaßen vergiften können, daß Geschwulst des Gesichtes eintritt,
daß aber denen, die den Balg eines Wiesels bei sich tragen, nichts der Art
geschieht. Das beste Mittel gegen Ansteckung durch böse Seuchen ist in Tirol
Krcmewitt (Wachholder) und Bibernellwurzel. In der Wetterau sind Salz
und Brot, den Kindern in einem Beutelchen angehängt oder in die Windeln
gelegt, ein vorzügliches Amulet gegen Erkrankung, namentlich gegen solche,
die ihnen von bösen Leuten "angethan" werden kann. Wie vor jedem andern


in Tirol empfohlen.) Man esse Brot, von dein eine Maus abgebissen hat,
oder stecke einen ausgefallenen Milchzahn in ein Mausloch. In der Mark
gehen altgläubige Leute, wenn sie sich einen Zahn haben ausziehen lassen,
damit hinter den Ofen, werfen ihn sich über den Kopf und sprechen: „Maus,
gieb mir deinen eisernen Zahn, ich will dir meinen bemerlten geben" - - eine
Prozedur, mit der man die übrigen Zähne vor dem Angefressenwerden sicher
stellt. Am Rhein singen die Kinder bei demselben Verfahren: „Maus, Maus,
komm heraus, bring mir einen neuen Zahn heraus", in Schlesien: „Mauset,
ich geb dir ein Beindel, gieb mir dafür ein Steindel", im Aargau: „Mufti,
Mufti, nimm de Zäh, gimmer e schöne goldige dra, frei e schöne wiße, aß
ach's Brod ka biße." Gegen Schlaflosigkeit schützt man sich in Tirol dadurch,
daß man sich einen „Schlafäpfel" oder Schlafputzen", d. h. eine Hagebutte
oder deu moosartigen Auswuchs am wilden Rosenstrauch unter das Kopfkissen
legt, im Brandenburgischen sowie in Sachsen und Schlesien dadurch, daß man
beim Schlafengehen die Schuhe so hinstellt, daß sie die Spitzen dem Bette
zukehren.

Wenn eine schwangere Frau nach etwas gelüstet, oder wenn eine solche
Wer etwas erschrickt, so bekommt nach weit verbreitetem Volksglauben das
Kind ein Maal in Gestalt des betreffenden Gegenstandes, einer Erd- oder
Himbeere, einer Maus u. d. ins Gesicht, und um das zu vermeiden, hat sie
sofort nach Aufsteigen der Begierde, oder inmittelbar nach dem Schreck sich
über den Rücken zu fahren, wo dann beim Kinde das Maal eine harmlose
Stelle findet. In einigen Gegenden ist Ausspucken in solchen Füllen genügend.
Wer sich damit versieht, daß er sich seiner Gesundheit berühmt, kann sich vor
der dann drohenden Krankheit ebenfalls dnrch Ausspucken oder auch damit
schützen, daß er: „Unberufen!" „Unbeschrien!" oder: „Gestern war's besser!"
ausruft. Im Brandenburgschen herrscht der Aberglaube, man könne Krank¬
heiten dadurch bekommen, daß einem ein Anderer über dieselben klage, und
um diese Uebertragung abzuwenden, erwidert ihm der solcher Dinge Kundige:
"Behält Deine Schmerzen alleine und klage sie (ein sehr alter Zug, der auch
in mehreren Sagen vorkommt) dem Steine." In Tirol und Schlesien meint
vns Volk, daß Wiesel, Kröten und Schlangen durch „Anblasen" oder „Anfauchen,,
Menschen dermaßen vergiften können, daß Geschwulst des Gesichtes eintritt,
daß aber denen, die den Balg eines Wiesels bei sich tragen, nichts der Art
geschieht. Das beste Mittel gegen Ansteckung durch böse Seuchen ist in Tirol
Krcmewitt (Wachholder) und Bibernellwurzel. In der Wetterau sind Salz
und Brot, den Kindern in einem Beutelchen angehängt oder in die Windeln
gelegt, ein vorzügliches Amulet gegen Erkrankung, namentlich gegen solche,
die ihnen von bösen Leuten „angethan" werden kann. Wie vor jedem andern


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[0143] in Tirol empfohlen.) Man esse Brot, von dein eine Maus abgebissen hat, oder stecke einen ausgefallenen Milchzahn in ein Mausloch. In der Mark gehen altgläubige Leute, wenn sie sich einen Zahn haben ausziehen lassen, damit hinter den Ofen, werfen ihn sich über den Kopf und sprechen: „Maus, gieb mir deinen eisernen Zahn, ich will dir meinen bemerlten geben" - - eine Prozedur, mit der man die übrigen Zähne vor dem Angefressenwerden sicher stellt. Am Rhein singen die Kinder bei demselben Verfahren: „Maus, Maus, komm heraus, bring mir einen neuen Zahn heraus", in Schlesien: „Mauset, ich geb dir ein Beindel, gieb mir dafür ein Steindel", im Aargau: „Mufti, Mufti, nimm de Zäh, gimmer e schöne goldige dra, frei e schöne wiße, aß ach's Brod ka biße." Gegen Schlaflosigkeit schützt man sich in Tirol dadurch, daß man sich einen „Schlafäpfel" oder Schlafputzen", d. h. eine Hagebutte oder deu moosartigen Auswuchs am wilden Rosenstrauch unter das Kopfkissen legt, im Brandenburgischen sowie in Sachsen und Schlesien dadurch, daß man beim Schlafengehen die Schuhe so hinstellt, daß sie die Spitzen dem Bette zukehren. Wenn eine schwangere Frau nach etwas gelüstet, oder wenn eine solche Wer etwas erschrickt, so bekommt nach weit verbreitetem Volksglauben das Kind ein Maal in Gestalt des betreffenden Gegenstandes, einer Erd- oder Himbeere, einer Maus u. d. ins Gesicht, und um das zu vermeiden, hat sie sofort nach Aufsteigen der Begierde, oder inmittelbar nach dem Schreck sich über den Rücken zu fahren, wo dann beim Kinde das Maal eine harmlose Stelle findet. In einigen Gegenden ist Ausspucken in solchen Füllen genügend. Wer sich damit versieht, daß er sich seiner Gesundheit berühmt, kann sich vor der dann drohenden Krankheit ebenfalls dnrch Ausspucken oder auch damit schützen, daß er: „Unberufen!" „Unbeschrien!" oder: „Gestern war's besser!" ausruft. Im Brandenburgschen herrscht der Aberglaube, man könne Krank¬ heiten dadurch bekommen, daß einem ein Anderer über dieselben klage, und um diese Uebertragung abzuwenden, erwidert ihm der solcher Dinge Kundige: "Behält Deine Schmerzen alleine und klage sie (ein sehr alter Zug, der auch in mehreren Sagen vorkommt) dem Steine." In Tirol und Schlesien meint vns Volk, daß Wiesel, Kröten und Schlangen durch „Anblasen" oder „Anfauchen,, Menschen dermaßen vergiften können, daß Geschwulst des Gesichtes eintritt, daß aber denen, die den Balg eines Wiesels bei sich tragen, nichts der Art geschieht. Das beste Mittel gegen Ansteckung durch böse Seuchen ist in Tirol Krcmewitt (Wachholder) und Bibernellwurzel. In der Wetterau sind Salz und Brot, den Kindern in einem Beutelchen angehängt oder in die Windeln gelegt, ein vorzügliches Amulet gegen Erkrankung, namentlich gegen solche, die ihnen von bösen Leuten „angethan" werden kann. Wie vor jedem andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/143>, abgerufen am 23.07.2024.