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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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rathen konnte, seine großen Geldmittel wohl gestatteten. Herr Hans Rindfleisch
mußte nach dein Schauplatz des Übeln Vorgangs selbst, Plock im Polnischen,
reisen um dort ein verbrieftes Eutlastungszeugniß aufzutreiben. --

Das Resultat dieser Reise war ein sehr günstiges; es liegt uns vor in
dem Wortlaut einer Urkunde in furchtbarem Latein, welche die Rathsherrn von
Plock über den Sachverhalt aufstellten und die in ihren wesentlichen Theilen
etwa folgendermaßen lautet: "Wir Rathmannen von Plock bekennen öffentlich
durch diesen Brief, daß vor uns in sitzendem Rathe erschienen ist, Herr Hans
Rindfleisch, der Sohn des verstorbenen Hans Rindfleisch, Bürgers zu Breslcui,
und uns vorgetragen hat, wie ihn: nud seinen Brüdern der Schimpf der
Ehrlosigkeit angethan worden sei, weil ihr obengenannter Vater im hiesigen
Gericht die Ehrlichkeit verloren habe. Er bat uns dringend um ein
wahrhaftiges Zeugniß über den Sachverhalt -- (veriwtis tsslimonium
MxtÄ rem Zeswm) -- damit er seine und seiner Brüder Ehre gegen alle
Neider vertheidigen könne. Darauf haben wir unsre Senioren und die Ge¬
schwornen znscnnmenberufen und diese haben alle, unter Ablegung eines körper¬
lichen Eides, übereinstimmend und ausdrücklich bekannt, daß vor Zeiten bei
uns die Rechtsgewohnheit bestand, daß wenn Einer den Andern um einen
Diebstahl oder ein anderes Vergehen, das zu Hals und Hand geht, ansprach
und ihn überführte, so daß der Beklagte gerichtet werden mußte, der Kläger
verpflichtet war, wenn ein Henker nicht zur Stelle, das Urtheil selbst wie
Rechtens zu vollstrecken, oder selbst die vom Beklagten verwirkte Strafe zu
erleiden. Die Handlung mache aber weder ihn noch seine Nachkommen unehrlich.
Sie haben auch beschworen, daß Herr Hans Rindfleisch sich bei uus in diesem
Falle befunden hat; er mußte feinen Dieb selbst aufknüpfen, denn es war für
alles Geld kein Henker zu beschaffen. Jetzt freilich ist diese Gewohnheit bei
uns nicht mehr in Kraft, mit wachsendem Wohlstand haben loir einen ständigen
Henker angestellt. Gegeben zu Plock am Luzientage 1501."

Gewiß ein wunderbares Zeugniß thörichten Rechtszustandes, unglaublich,
wenn es uns nicht urkundlich bewiesen wäre.

Dieses Zeugniß beeilte sich jetzt Christoph Rindfleisch dem Könige zu unter¬
breiten, indem er vortrug, "er sei durch etliche Personen angefochten und
bezichtiget worden, er sollte seines Vaters That und Rechtfertigung halb, so
er etwa an seinem Dieb im Königreich zu Polen mit dem Strang begangen,
zu ehrlichen Aemtern und Ständen nicht tüchtig und genugsam sein", er bewies
"was sein Vater gethan, das habe er aus Zwang und Benöthigung des
Rechten müssen thun, habe er anders selbst bei Leben bleiben und nicht sterben
wollen" und König Wladislaw entschied dann "nach vorbedachten zeitigen
Rathe" wie folgt: "Also nachdem bemeldeter Christophs Vater, Hans Rind-


rathen konnte, seine großen Geldmittel wohl gestatteten. Herr Hans Rindfleisch
mußte nach dein Schauplatz des Übeln Vorgangs selbst, Plock im Polnischen,
reisen um dort ein verbrieftes Eutlastungszeugniß aufzutreiben. —

Das Resultat dieser Reise war ein sehr günstiges; es liegt uns vor in
dem Wortlaut einer Urkunde in furchtbarem Latein, welche die Rathsherrn von
Plock über den Sachverhalt aufstellten und die in ihren wesentlichen Theilen
etwa folgendermaßen lautet: „Wir Rathmannen von Plock bekennen öffentlich
durch diesen Brief, daß vor uns in sitzendem Rathe erschienen ist, Herr Hans
Rindfleisch, der Sohn des verstorbenen Hans Rindfleisch, Bürgers zu Breslcui,
und uns vorgetragen hat, wie ihn: nud seinen Brüdern der Schimpf der
Ehrlosigkeit angethan worden sei, weil ihr obengenannter Vater im hiesigen
Gericht die Ehrlichkeit verloren habe. Er bat uns dringend um ein
wahrhaftiges Zeugniß über den Sachverhalt — (veriwtis tsslimonium
MxtÄ rem Zeswm) — damit er seine und seiner Brüder Ehre gegen alle
Neider vertheidigen könne. Darauf haben wir unsre Senioren und die Ge¬
schwornen znscnnmenberufen und diese haben alle, unter Ablegung eines körper¬
lichen Eides, übereinstimmend und ausdrücklich bekannt, daß vor Zeiten bei
uns die Rechtsgewohnheit bestand, daß wenn Einer den Andern um einen
Diebstahl oder ein anderes Vergehen, das zu Hals und Hand geht, ansprach
und ihn überführte, so daß der Beklagte gerichtet werden mußte, der Kläger
verpflichtet war, wenn ein Henker nicht zur Stelle, das Urtheil selbst wie
Rechtens zu vollstrecken, oder selbst die vom Beklagten verwirkte Strafe zu
erleiden. Die Handlung mache aber weder ihn noch seine Nachkommen unehrlich.
Sie haben auch beschworen, daß Herr Hans Rindfleisch sich bei uus in diesem
Falle befunden hat; er mußte feinen Dieb selbst aufknüpfen, denn es war für
alles Geld kein Henker zu beschaffen. Jetzt freilich ist diese Gewohnheit bei
uns nicht mehr in Kraft, mit wachsendem Wohlstand haben loir einen ständigen
Henker angestellt. Gegeben zu Plock am Luzientage 1501."

Gewiß ein wunderbares Zeugniß thörichten Rechtszustandes, unglaublich,
wenn es uns nicht urkundlich bewiesen wäre.

Dieses Zeugniß beeilte sich jetzt Christoph Rindfleisch dem Könige zu unter¬
breiten, indem er vortrug, „er sei durch etliche Personen angefochten und
bezichtiget worden, er sollte seines Vaters That und Rechtfertigung halb, so
er etwa an seinem Dieb im Königreich zu Polen mit dem Strang begangen,
zu ehrlichen Aemtern und Ständen nicht tüchtig und genugsam sein", er bewies
„was sein Vater gethan, das habe er aus Zwang und Benöthigung des
Rechten müssen thun, habe er anders selbst bei Leben bleiben und nicht sterben
wollen" und König Wladislaw entschied dann „nach vorbedachten zeitigen
Rathe" wie folgt: „Also nachdem bemeldeter Christophs Vater, Hans Rind-


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[0128] rathen konnte, seine großen Geldmittel wohl gestatteten. Herr Hans Rindfleisch mußte nach dein Schauplatz des Übeln Vorgangs selbst, Plock im Polnischen, reisen um dort ein verbrieftes Eutlastungszeugniß aufzutreiben. — Das Resultat dieser Reise war ein sehr günstiges; es liegt uns vor in dem Wortlaut einer Urkunde in furchtbarem Latein, welche die Rathsherrn von Plock über den Sachverhalt aufstellten und die in ihren wesentlichen Theilen etwa folgendermaßen lautet: „Wir Rathmannen von Plock bekennen öffentlich durch diesen Brief, daß vor uns in sitzendem Rathe erschienen ist, Herr Hans Rindfleisch, der Sohn des verstorbenen Hans Rindfleisch, Bürgers zu Breslcui, und uns vorgetragen hat, wie ihn: nud seinen Brüdern der Schimpf der Ehrlosigkeit angethan worden sei, weil ihr obengenannter Vater im hiesigen Gericht die Ehrlichkeit verloren habe. Er bat uns dringend um ein wahrhaftiges Zeugniß über den Sachverhalt — (veriwtis tsslimonium MxtÄ rem Zeswm) — damit er seine und seiner Brüder Ehre gegen alle Neider vertheidigen könne. Darauf haben wir unsre Senioren und die Ge¬ schwornen znscnnmenberufen und diese haben alle, unter Ablegung eines körper¬ lichen Eides, übereinstimmend und ausdrücklich bekannt, daß vor Zeiten bei uns die Rechtsgewohnheit bestand, daß wenn Einer den Andern um einen Diebstahl oder ein anderes Vergehen, das zu Hals und Hand geht, ansprach und ihn überführte, so daß der Beklagte gerichtet werden mußte, der Kläger verpflichtet war, wenn ein Henker nicht zur Stelle, das Urtheil selbst wie Rechtens zu vollstrecken, oder selbst die vom Beklagten verwirkte Strafe zu erleiden. Die Handlung mache aber weder ihn noch seine Nachkommen unehrlich. Sie haben auch beschworen, daß Herr Hans Rindfleisch sich bei uus in diesem Falle befunden hat; er mußte feinen Dieb selbst aufknüpfen, denn es war für alles Geld kein Henker zu beschaffen. Jetzt freilich ist diese Gewohnheit bei uns nicht mehr in Kraft, mit wachsendem Wohlstand haben loir einen ständigen Henker angestellt. Gegeben zu Plock am Luzientage 1501." Gewiß ein wunderbares Zeugniß thörichten Rechtszustandes, unglaublich, wenn es uns nicht urkundlich bewiesen wäre. Dieses Zeugniß beeilte sich jetzt Christoph Rindfleisch dem Könige zu unter¬ breiten, indem er vortrug, „er sei durch etliche Personen angefochten und bezichtiget worden, er sollte seines Vaters That und Rechtfertigung halb, so er etwa an seinem Dieb im Königreich zu Polen mit dem Strang begangen, zu ehrlichen Aemtern und Ständen nicht tüchtig und genugsam sein", er bewies „was sein Vater gethan, das habe er aus Zwang und Benöthigung des Rechten müssen thun, habe er anders selbst bei Leben bleiben und nicht sterben wollen" und König Wladislaw entschied dann „nach vorbedachten zeitigen Rathe" wie folgt: „Also nachdem bemeldeter Christophs Vater, Hans Rind-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/128>, abgerufen am 24.08.2024.