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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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mit England, bereit. Aber was war das doch für ein "Friedensprogramm",
das er dem Oesterreicher entwickelte! Vom französischen Reiche und vom Her¬
zogtum Warschau wollte er kein Dorf abtreten. Ebensowenig sollte die
Herrschaft der napoleoniden über Spanien und Neapel angetastet, höchstens
Portugal den Braganzas zurückgegeben werden. Brachte Oesterreich auf dieser
Grundlage den Frieden zu Stande, so sollte es das 1809 verlorene Jllyrien
wieder haben, wenn nicht, weitere 30,000 Mann gegen Rußland stellen, falls
dies die Bedingungen verwerfe, falls England dies thue, neutral bleiben*).
Welchen Eindruck aber mußte erst das Handschreiben Napoleons in Wien
machen, mit welchem er am 7. Januar 1813 jenen Brief seines kaiserlichen
Schwiegervaters beantwortete! Prahlerisch sprach er darin von seiner "großen
Armee", die noch 200,000 Mann stark an der Weichsel stehe (eine bewußte
Lüge, deren tropische Ueppigkeit selbst bei Napoleon kaum ihresgleichen
findet), von fünf Heeren, die er um Hamburg, an der Oder, um Erfurt,
Mainz, Wesel, Verona bilde, von der Treue Preußens und Dänemarks, dem
Eifer Frankreichs, dem glänzenden Stande seiner Finanzen, die ihm für 1813
ein Einkommen von 1100 Millionen Franks zur Verfügung stellten. Trotz¬
dem sei er zum Frieden bereit, wenn Rußland ihn biete; weigere sich dies,
auf seine Bedingungen einzugehen, so solle Oesterreich weitere 30,000
Mann aufstellen, gegen einen Subsidienvertrag; von Jllyrien war keine Rede
mehr**).

Es ist begreiflich, daß man von französischer Seite zwar nicht in Abrede
gestellt hat, daß der Brief geschrieben worden -- denn das Konzept befindet
sich im französischen Archiv -- wohl aber, daß er an seine Adresse abgesendet
worden sei. Denn es gibt kaum ein Dokument, aus welchem -- sagen wir
es kurz -- die Gefühllosigkeit des Imperators dem furchtbaren Gottesgerichte
in Rußland gegenüber, seine Selbstüberhebung und seine Unfähigkeit, die sitt¬
lichen Kräfte der Völker zu verstehen, deutlicher und unwiderlegbarer entgegen¬
traten als diesen Brief. Und doch hat er ihn abgesendet: das Original liegt
noch im Wiener Archiv. Die Wirkung konnte nicht ausbleiben. Es kann
keinem Zweifel unterliegen: von Haus aus war es dem Wiener Hofe mit
seiner Friedensvermittlung völlig Ernst***). Der traditionelle Widerstreit der
russischen und österreichischen Interessen, der durch die -- freilich seit dem
Frieden von Bukarest vorläufig wenigstens vertagten -- Pläne Rußlands auf





Oncken "1 ff.
**) Oncken 70 ff,
***) Oncken 199. 321 bestreitet das und meint, Metternich habe alles das nur als Ein¬
leitung zu einem Bündniß gegen Napoleon angesehen, s, dagegen Banken, Historische Zeit¬
schrift 1877, 148 f.

mit England, bereit. Aber was war das doch für ein „Friedensprogramm",
das er dem Oesterreicher entwickelte! Vom französischen Reiche und vom Her¬
zogtum Warschau wollte er kein Dorf abtreten. Ebensowenig sollte die
Herrschaft der napoleoniden über Spanien und Neapel angetastet, höchstens
Portugal den Braganzas zurückgegeben werden. Brachte Oesterreich auf dieser
Grundlage den Frieden zu Stande, so sollte es das 1809 verlorene Jllyrien
wieder haben, wenn nicht, weitere 30,000 Mann gegen Rußland stellen, falls
dies die Bedingungen verwerfe, falls England dies thue, neutral bleiben*).
Welchen Eindruck aber mußte erst das Handschreiben Napoleons in Wien
machen, mit welchem er am 7. Januar 1813 jenen Brief seines kaiserlichen
Schwiegervaters beantwortete! Prahlerisch sprach er darin von seiner „großen
Armee", die noch 200,000 Mann stark an der Weichsel stehe (eine bewußte
Lüge, deren tropische Ueppigkeit selbst bei Napoleon kaum ihresgleichen
findet), von fünf Heeren, die er um Hamburg, an der Oder, um Erfurt,
Mainz, Wesel, Verona bilde, von der Treue Preußens und Dänemarks, dem
Eifer Frankreichs, dem glänzenden Stande seiner Finanzen, die ihm für 1813
ein Einkommen von 1100 Millionen Franks zur Verfügung stellten. Trotz¬
dem sei er zum Frieden bereit, wenn Rußland ihn biete; weigere sich dies,
auf seine Bedingungen einzugehen, so solle Oesterreich weitere 30,000
Mann aufstellen, gegen einen Subsidienvertrag; von Jllyrien war keine Rede
mehr**).

Es ist begreiflich, daß man von französischer Seite zwar nicht in Abrede
gestellt hat, daß der Brief geschrieben worden — denn das Konzept befindet
sich im französischen Archiv — wohl aber, daß er an seine Adresse abgesendet
worden sei. Denn es gibt kaum ein Dokument, aus welchem — sagen wir
es kurz — die Gefühllosigkeit des Imperators dem furchtbaren Gottesgerichte
in Rußland gegenüber, seine Selbstüberhebung und seine Unfähigkeit, die sitt¬
lichen Kräfte der Völker zu verstehen, deutlicher und unwiderlegbarer entgegen¬
traten als diesen Brief. Und doch hat er ihn abgesendet: das Original liegt
noch im Wiener Archiv. Die Wirkung konnte nicht ausbleiben. Es kann
keinem Zweifel unterliegen: von Haus aus war es dem Wiener Hofe mit
seiner Friedensvermittlung völlig Ernst***). Der traditionelle Widerstreit der
russischen und österreichischen Interessen, der durch die — freilich seit dem
Frieden von Bukarest vorläufig wenigstens vertagten — Pläne Rußlands auf





Oncken «1 ff.
**) Oncken 70 ff,
***) Oncken 199. 321 bestreitet das und meint, Metternich habe alles das nur als Ein¬
leitung zu einem Bündniß gegen Napoleon angesehen, s, dagegen Banken, Historische Zeit¬
schrift 1877, 148 f.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/9>, abgerufen am 23.07.2024.