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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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indem es durch Aufstellung von hunderttausend Mann den Russen Halt gebiete.
Der Kaiser, sichtlich betroffen, ließ sich darauf das Konzept jenes Schreibens
bringen, ging es mit Bnbna dnrch und kritisirte es selbst unbarmherzig; seine
historische Auseinandersetzung über die Gründe der russischen Katastrophe nannte
er ein "Geschwätz" (ve.i.'den,A<z), die prahlerische Aufzählung seiner Streitkräfte
für 1813 eine "Dummheit" (follis"?); er war in fast "bußfertiger" Stimmung.
Da zog Bubna den zweiten Brief seines Herrn hervor: er meldete kurz den
auf direkten Befehl erfolgten Rückzug Schwarzeubergs nach Krakau und moti-
virte ihn mit der Niederlegung des Kommandos seitens König Murats. Hastig
griff Napoleon nach dem Briefe und den beiliegenden Ordres; dann fuhr er
auf: "Das ist ein schlechter Streich; es ist gegen den Vertrag, das ist der erste
Schritt zum Abfall. Sie haben das System gewechselt; die Hoffnung anf
Frieden ist dahin." Das Hilfseorps sei ihm ganz nutzlos, wenn es nicht ihm
unbedingt zur Verfügung stehe: die Weichsellinie sei nun ohnehin verloren. In
großer Erregung, ja Bestürzung entließ er den Gesandten. Mochte er dann
auch die ganze Sache scheinbar ignoriren, er vergaß nie diesen Freundschafts¬
dienst seines Schwiegervaters, der das selber befahl, was König Friedrich Wilhelm
an seinem General als ein Verbrechen hatte ahnden müssen.*)

Preußen und Oesterreich hatten ihre Heeresfolge eingestellt, aber wie in
dieser Beziehung das letztere dem ersteren erst nach Monatsfrist nachfolgte,
so blieb es auch im übrigen stets eiuen Schritt hinter Preußen zurück und
überließ es ihm, allein mit Rußland abzuschließen. Deal darauf lief die
Schlußautwort hinaus, die nach längeren Bemühungen W. v. Humboldt und
Knesebeck in Wien empfingen auf die beiden Fragen: Wird Oesterreich den
Uebertritt Preußens zu Rußland mit günstigen Augen betrachten? und kann
in diesem Falle Preußen seiner Neutralität sicher sein? Dem gegenüber ver¬
sicherte Kaiser Franz in einem Schreiben an den König: ein Wechsel in der poli¬
tischen Haltung Preußens ändere nichts an seinem Verhältniß zu Oesterreich;
Metternich aber führte in einer Note vom 30. Januar aus: Napoleon habe
feine Vermittlung angenommen, also könne Oesterreich sich jetzt nicht gegen
ihn erklären, aber seine Interessen seien mit den preußischen so übereinstimmend,
daß ein Wechsel in der politischen Haltung das Verhältniß weder zerstören
noch beeinträchtigen könne.**) In ähnlichem Sinne hatte sich Freiherr v.
Wessenberg in London zu erkläre", die österreichische Vermittelung auch hier
anzubieten***); nach Rußland aber ging zu demselben Zwecke Freiherr v. Leb-





Oncken 100 ff.
**) Oncken 147 ff.
***) Oncken 201 ff.

indem es durch Aufstellung von hunderttausend Mann den Russen Halt gebiete.
Der Kaiser, sichtlich betroffen, ließ sich darauf das Konzept jenes Schreibens
bringen, ging es mit Bnbna dnrch und kritisirte es selbst unbarmherzig; seine
historische Auseinandersetzung über die Gründe der russischen Katastrophe nannte
er ein „Geschwätz" (ve.i.'den,A<z), die prahlerische Aufzählung seiner Streitkräfte
für 1813 eine „Dummheit" (follis«?); er war in fast „bußfertiger" Stimmung.
Da zog Bubna den zweiten Brief seines Herrn hervor: er meldete kurz den
auf direkten Befehl erfolgten Rückzug Schwarzeubergs nach Krakau und moti-
virte ihn mit der Niederlegung des Kommandos seitens König Murats. Hastig
griff Napoleon nach dem Briefe und den beiliegenden Ordres; dann fuhr er
auf: „Das ist ein schlechter Streich; es ist gegen den Vertrag, das ist der erste
Schritt zum Abfall. Sie haben das System gewechselt; die Hoffnung anf
Frieden ist dahin." Das Hilfseorps sei ihm ganz nutzlos, wenn es nicht ihm
unbedingt zur Verfügung stehe: die Weichsellinie sei nun ohnehin verloren. In
großer Erregung, ja Bestürzung entließ er den Gesandten. Mochte er dann
auch die ganze Sache scheinbar ignoriren, er vergaß nie diesen Freundschafts¬
dienst seines Schwiegervaters, der das selber befahl, was König Friedrich Wilhelm
an seinem General als ein Verbrechen hatte ahnden müssen.*)

Preußen und Oesterreich hatten ihre Heeresfolge eingestellt, aber wie in
dieser Beziehung das letztere dem ersteren erst nach Monatsfrist nachfolgte,
so blieb es auch im übrigen stets eiuen Schritt hinter Preußen zurück und
überließ es ihm, allein mit Rußland abzuschließen. Deal darauf lief die
Schlußautwort hinaus, die nach längeren Bemühungen W. v. Humboldt und
Knesebeck in Wien empfingen auf die beiden Fragen: Wird Oesterreich den
Uebertritt Preußens zu Rußland mit günstigen Augen betrachten? und kann
in diesem Falle Preußen seiner Neutralität sicher sein? Dem gegenüber ver¬
sicherte Kaiser Franz in einem Schreiben an den König: ein Wechsel in der poli¬
tischen Haltung Preußens ändere nichts an seinem Verhältniß zu Oesterreich;
Metternich aber führte in einer Note vom 30. Januar aus: Napoleon habe
feine Vermittlung angenommen, also könne Oesterreich sich jetzt nicht gegen
ihn erklären, aber seine Interessen seien mit den preußischen so übereinstimmend,
daß ein Wechsel in der politischen Haltung das Verhältniß weder zerstören
noch beeinträchtigen könne.**) In ähnlichem Sinne hatte sich Freiherr v.
Wessenberg in London zu erkläre», die österreichische Vermittelung auch hier
anzubieten***); nach Rußland aber ging zu demselben Zwecke Freiherr v. Leb-





Oncken 100 ff.
**) Oncken 147 ff.
***) Oncken 201 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/68>, abgerufen am 23.07.2024.