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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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gemacht, auf die schon Hatzfeldt Napoleon vorbereitet hatte; er selbst folgte
dem Monarchen wenige Tage später mit Se. Marsan; eine Regierungskommission
unter Graf v. d. Goltz blieb zurück.*) Schon am 26. entwickelte der König
ihm den Plan zum Systemwechsel: da die russische Armee von etwa hundert tausend
Murr^) erst Anfang Februar an der Weichsel stehen könne, und die
preußischen Rüstungen erst Mitte desselben Monats vollendet sein würden,
so müsse man vor allem noch ein Paar Wochen Zeit gewinnen und deshalb
Verhandlungen mit Frankreich eröffnen, ihm vorschlagen, daß Preußen sich
verpflichte, die Russen an der Ueberschreitung der Weichsel zu verhindern,
um den Ausgang der österreichischen Friedensvermittlungen abzuwarten, unter
der Bedingung, daß die Franzosen das preußische Gebiet vollstüudig räumten.
Werde Preußen damit zurückgewiesen oder gingen die Ereignisse zu rasch, dann
müsse es sofort an Rußland sich anschließend)

In denselben Wochen war Metternich beschäftigt, Oesterreich langsam aus
den Fessln des französischen Bündnisses zu lösen, ohne doch den Bruch her¬
beizuführen; seine "modilitc';' wollte er wiedergewinnen. Deshalb galt es
vor allem, das Schwarzenbergsche Corps von den Franzoseu zu trennen.
Was York ans eigne Faust, ohne den Befehl des Königs gethan, das sollte
der österreichische General auf direkte Weisung seines Kabinets thun. Von Wien
her wies man ihn an, auf K'raknu zu weichen und Stillstand mit den Russen
M schließen; auch etwaige französische Befehle denen aus Wien unterzuordnen.
Indem Schwarzenberg dies ausführte, gab er dem Nest des Herzogthums
Warschau den Russen zurück, öffnete ihnen den Weg nach der Oder.s) Gene¬
ral Bnbna erhielt den heikeln Auftrag, diesen unverhüllten Abfall Oesterreichs
Napoleon gegenüber zu vertreten, indem er ihm vorstelle, bei dem raschen
Vordringen der Russen und der gewaltigen Aufregung, die Yorks Konvention
hervorgerufen, sei es unmöglich, noch länger "ein österreichisches Heer für eine
fremde Sache in fremden Sold zu stellen." Zugleich hatte er zwei Schreiben
Kaiser Franz I. an Napoleon zu übergeben. Graf Bubna entledigte sich seines
Auftrages in geschicktester Weise. In der Audienz, welche ihm der Kaiser
N"> Abend des 3. Februar gewährte, übergab er ihm zunächst den ersten Brief
seines Herrn (vom 23. Januar), der sich lebhaft über das beinahe drohende
Schreiben Napoleons vom 7. Januar beklagte und hervorhob, für den Frieden,
den allein es wolle, thue Oesterreich mehr, als seine Vertragspflicht fordere,






*) Duncker 484.
**) So hoch -- viel zu hoch -- hatte Kaiser Alexander Natzmer die Zahl seiner Truppen
""gegeben, N-ebener 100.
*
**) Duncker 486 f.
f) Oncken 99.

gemacht, auf die schon Hatzfeldt Napoleon vorbereitet hatte; er selbst folgte
dem Monarchen wenige Tage später mit Se. Marsan; eine Regierungskommission
unter Graf v. d. Goltz blieb zurück.*) Schon am 26. entwickelte der König
ihm den Plan zum Systemwechsel: da die russische Armee von etwa hundert tausend
Murr^) erst Anfang Februar an der Weichsel stehen könne, und die
preußischen Rüstungen erst Mitte desselben Monats vollendet sein würden,
so müsse man vor allem noch ein Paar Wochen Zeit gewinnen und deshalb
Verhandlungen mit Frankreich eröffnen, ihm vorschlagen, daß Preußen sich
verpflichte, die Russen an der Ueberschreitung der Weichsel zu verhindern,
um den Ausgang der österreichischen Friedensvermittlungen abzuwarten, unter
der Bedingung, daß die Franzosen das preußische Gebiet vollstüudig räumten.
Werde Preußen damit zurückgewiesen oder gingen die Ereignisse zu rasch, dann
müsse es sofort an Rußland sich anschließend)

In denselben Wochen war Metternich beschäftigt, Oesterreich langsam aus
den Fessln des französischen Bündnisses zu lösen, ohne doch den Bruch her¬
beizuführen; seine „modilitc';' wollte er wiedergewinnen. Deshalb galt es
vor allem, das Schwarzenbergsche Corps von den Franzoseu zu trennen.
Was York ans eigne Faust, ohne den Befehl des Königs gethan, das sollte
der österreichische General auf direkte Weisung seines Kabinets thun. Von Wien
her wies man ihn an, auf K'raknu zu weichen und Stillstand mit den Russen
M schließen; auch etwaige französische Befehle denen aus Wien unterzuordnen.
Indem Schwarzenberg dies ausführte, gab er dem Nest des Herzogthums
Warschau den Russen zurück, öffnete ihnen den Weg nach der Oder.s) Gene¬
ral Bnbna erhielt den heikeln Auftrag, diesen unverhüllten Abfall Oesterreichs
Napoleon gegenüber zu vertreten, indem er ihm vorstelle, bei dem raschen
Vordringen der Russen und der gewaltigen Aufregung, die Yorks Konvention
hervorgerufen, sei es unmöglich, noch länger „ein österreichisches Heer für eine
fremde Sache in fremden Sold zu stellen." Zugleich hatte er zwei Schreiben
Kaiser Franz I. an Napoleon zu übergeben. Graf Bubna entledigte sich seines
Auftrages in geschicktester Weise. In der Audienz, welche ihm der Kaiser
N"> Abend des 3. Februar gewährte, übergab er ihm zunächst den ersten Brief
seines Herrn (vom 23. Januar), der sich lebhaft über das beinahe drohende
Schreiben Napoleons vom 7. Januar beklagte und hervorhob, für den Frieden,
den allein es wolle, thue Oesterreich mehr, als seine Vertragspflicht fordere,






*) Duncker 484.
**) So hoch — viel zu hoch — hatte Kaiser Alexander Natzmer die Zahl seiner Truppen
""gegeben, N-ebener 100.
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**) Duncker 486 f.
f) Oncken 99.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/67>, abgerufen am 23.07.2024.