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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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oder "Gott behüt's!" oder auch einen Ausdruck scheinbarer Unzufriedenheit, wie
"Gestern war's besser", folgen lassen. Auch bei der Rückkehr von der besten
Messe wird der kleine Verkäufer ans die Frage, wie dieselbe ausgefallen, mit
"so so, la la" oder "'s hätte besser gehen können" antworten, und wenn sich darin
allerdings ein ungenügsamer Sinn äußert, so läßt sich doch zugleich ein Anklang
an die allgemeine Furcht vor Erweckung des Neides im Frager oder vor
sträflichen Wohlgefühl gegenüber dem Schicksal heraus hören. Maßvoll sein
ist eine der ersten Regeln der volksthümlichen Ethik, "Hochmuth kommt vor dem
Fall" eins der am häufigsten gebrauchten Sprichwörter, und in Holstein kann
man den Bauer sogar die ganz entschieden auf eine ähnliche Vorstellung wie
die antike vom Neid der Götter hindeutende Redensart brauchen hören: "Allens
met Maler, uns Herrgott de kunst" -- "Alles mit Maßen, unser Herrgott lügt
oder täuscht."

Gleichfalls hierher gehört der weitverbreitete Glaube, daß man die Kinder
nicht wägen und nicht messen soll, man könnte sich über das Ergebniß zu sehr
freuen und die Kleinen "beschreien". Ebenso ist hierher zu stellen, daß alt¬
gläubige Leute das Zählen des Obstes an reichtragenden Vünmen untersagen,
weil man den Baum durch "Berufen" verderben kann.

Wie man sich selbst durch zu starke Kundgebung der Freude über sein
Wohlergehen oder das Gedeihen der Seinen schadet, so wird dies anch durch
derartige unvorsichtige Aeußerungen Anderer bewirkt. Spricht man einem
Waidmann, der auf die Jagd geht, die Hoffnung aus, er werde recht viel
Glück haben, so trifft er nichts. (Oberlausitz.) Lobt man unsre Gesundheit,
so muß man ausspucken, am besten dreimal, oder "Gott behüte" sagen, oder
auch sich mit der Hand über den Mund fahren. (Erzgebirge.) Schaut ein
Fremder dem Bauern in den Stall und sagt: "Hast Dn schönes Vieh!",
dann mag der Besitzer zusehen, daß den Thieren kein Schaden geschieht. (Tirol.)
Bewundert jemand die vollen Wangen eines Kindes, sein schnelles Laufen-
oder Sprechenlernen, so fügt die gewissenhafte Amme oder Muhme in Sachsen
sicher unverzüglich ein "Unbeschriggen" hinzu, weil das Kleine "sonst drei
Tage nicht wächst".

Diese unwillkürliche Bezauberung durch Bewundern eines Menschen oder
einer Sache, dieses Beschreien in gutem Glauben, ohne irgend welche schlimme
Absicht hat aber auch in Deutschland neben sich den neidischen Blick und den
Hexen- oder Basiliskenblick. Für jenen führen wir die Meinung an, daß das
Essen, um welches mau von einem Andern beneidet wird, nicht gedeiht. Dieser
aber -- beiläufig auch unseren englischen Vettern unter dem Namen coll e./o
bekannt und von ihrem Sprichworte "nodoclz? can Saz? znur ez^ is black"
gemeint -- ist wie im Alterthume ein rein magisches, außerhalb des bewußten


oder „Gott behüt's!" oder auch einen Ausdruck scheinbarer Unzufriedenheit, wie
„Gestern war's besser", folgen lassen. Auch bei der Rückkehr von der besten
Messe wird der kleine Verkäufer ans die Frage, wie dieselbe ausgefallen, mit
„so so, la la" oder „'s hätte besser gehen können" antworten, und wenn sich darin
allerdings ein ungenügsamer Sinn äußert, so läßt sich doch zugleich ein Anklang
an die allgemeine Furcht vor Erweckung des Neides im Frager oder vor
sträflichen Wohlgefühl gegenüber dem Schicksal heraus hören. Maßvoll sein
ist eine der ersten Regeln der volksthümlichen Ethik, „Hochmuth kommt vor dem
Fall" eins der am häufigsten gebrauchten Sprichwörter, und in Holstein kann
man den Bauer sogar die ganz entschieden auf eine ähnliche Vorstellung wie
die antike vom Neid der Götter hindeutende Redensart brauchen hören: „Allens
met Maler, uns Herrgott de kunst" — „Alles mit Maßen, unser Herrgott lügt
oder täuscht."

Gleichfalls hierher gehört der weitverbreitete Glaube, daß man die Kinder
nicht wägen und nicht messen soll, man könnte sich über das Ergebniß zu sehr
freuen und die Kleinen „beschreien". Ebenso ist hierher zu stellen, daß alt¬
gläubige Leute das Zählen des Obstes an reichtragenden Vünmen untersagen,
weil man den Baum durch „Berufen" verderben kann.

Wie man sich selbst durch zu starke Kundgebung der Freude über sein
Wohlergehen oder das Gedeihen der Seinen schadet, so wird dies anch durch
derartige unvorsichtige Aeußerungen Anderer bewirkt. Spricht man einem
Waidmann, der auf die Jagd geht, die Hoffnung aus, er werde recht viel
Glück haben, so trifft er nichts. (Oberlausitz.) Lobt man unsre Gesundheit,
so muß man ausspucken, am besten dreimal, oder „Gott behüte" sagen, oder
auch sich mit der Hand über den Mund fahren. (Erzgebirge.) Schaut ein
Fremder dem Bauern in den Stall und sagt: „Hast Dn schönes Vieh!",
dann mag der Besitzer zusehen, daß den Thieren kein Schaden geschieht. (Tirol.)
Bewundert jemand die vollen Wangen eines Kindes, sein schnelles Laufen-
oder Sprechenlernen, so fügt die gewissenhafte Amme oder Muhme in Sachsen
sicher unverzüglich ein „Unbeschriggen" hinzu, weil das Kleine „sonst drei
Tage nicht wächst".

Diese unwillkürliche Bezauberung durch Bewundern eines Menschen oder
einer Sache, dieses Beschreien in gutem Glauben, ohne irgend welche schlimme
Absicht hat aber auch in Deutschland neben sich den neidischen Blick und den
Hexen- oder Basiliskenblick. Für jenen führen wir die Meinung an, daß das
Essen, um welches mau von einem Andern beneidet wird, nicht gedeiht. Dieser
aber — beiläufig auch unseren englischen Vettern unter dem Namen coll e./o
bekannt und von ihrem Sprichworte „nodoclz? can Saz? znur ez^ is black"
gemeint — ist wie im Alterthume ein rein magisches, außerhalb des bewußten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/62>, abgerufen am 23.07.2024.