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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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man möchte wirklich ebenso gut Gift essen als solches Fleisch. Mein Koch
ärgert sich gleichfalls darüber, und statt in einem Laden zu kaufen, der ganz nahe
bei der Hand ist, läßt er sich die Mühe nicht verdrießen, in ein entferntes
Quartier zu gehen und seinen Bedarf bei einem Manne zu holen, der so vor¬
sichtig ist, sein Fleisch vor den Augen der Vorbeigehenden zu verbergen." Aus
demselben Grunde sieht man wohl auch in den Bazaren die schönsten und
theuersten Waaren niemals ausgelegt.

Besonders deutlich äußert sich der Glaube an den Augenzauber bei Ge¬
burten und Beschneidnngsfesten. Im alten Rom machte nach Persius die
Großmutter über dem Neugebornen das Zeichen der Feige und spuckte aus.
>in Kairo statten nach der Geburt eines Kindes die Freundinnen des Hauses
der Mutter am siebenten Tag ihren Besuch ab. Nach mancherlei andern
Förmlichkeiten trägt man das Kind in Prozession durch alle Zimmer des
Harems, wobei die Hebamme aus einem Säckchen, welches dem .Kleinen in
der vorhergehenden Nacht als Kopfkissen gedient hat,, Salz und Fenchelsamen
streut. Sie sagt dabei: "Das schmutzige Salz sei in den Augen des Neiters!",
vorauf alle anwesenden Frauen antworten: "O Gott, sei unserm Herrn Mu-
hamed günstig!" Dann erst wird das Kind herumgezeigt, und die Frauen be¬
schenken es mit Tüchern, in welche Geldstücke eingeknüpft sind. Bei Beschneid¬
eten vornehmer Kinder führt man den (gewöhnlich fünf bis sechs Jahre
"^en) Knaben in großem Auszüge, begleitet von seinen Freunden und Mit-
'chiilern, Dienern, Musikanten n. d., besonders aber auch von Frauen, zu
Hserde dnrch mehrere Straßen. Er ist dabei aus dein oben erwähnten Grunde
^' Frauenkleidern und mit Frauenschmuck bedeckt, und eine der Weiber streut
^ jedem Schritte Salz auf den Weg, um allen üblen Wirkungen eines
'"idUM Blickes, der den Knaben treffen könnte, fofort ein Ende zu
'"ander.

Zum Schlüsse werfen wir noch einen Blick auf die Neste des Aber¬
glaubens vom bösen Auge in Deutschland, Hier findet sich zunächst in wei¬
tster Verbreitung, und zwar selbst unter Gebildeten, jene altgriechische Scheu
b°r Ueberhebung oder jene unklare Furcht vor einem neidischen Uebermensch-
^chen, welche sich darin ausspricht, daß man sich hütet, sich seines Wohlbe-
lMdens, des guten Erfolgs seiner Geschäfte, des Gedeihens seiner Kinder zu
Muhmen, und daß man sich, wo dies in einem unbewachten Augenblicke doch
^Seschen ist, sofort eine Formel hinzusetzt, welche nach dem Herkommen die
"us solche Weise herausgeforderte Schicksalsinacht beschwichtigt. Wer seine Ge¬
sundheit preist, sich des schönen Standes seiner Saaten lant freut, sein Glück
'u Handel und Wandel lobt, der muß, um nicht bald das Gegentheil aller
dieser Verhältnisse zu erfahren, sogleich ein "Unberufen!", ein "Unbeschrien!"
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Grmzlwtm II. 1877. 8

man möchte wirklich ebenso gut Gift essen als solches Fleisch. Mein Koch
ärgert sich gleichfalls darüber, und statt in einem Laden zu kaufen, der ganz nahe
bei der Hand ist, läßt er sich die Mühe nicht verdrießen, in ein entferntes
Quartier zu gehen und seinen Bedarf bei einem Manne zu holen, der so vor¬
sichtig ist, sein Fleisch vor den Augen der Vorbeigehenden zu verbergen." Aus
demselben Grunde sieht man wohl auch in den Bazaren die schönsten und
theuersten Waaren niemals ausgelegt.

Besonders deutlich äußert sich der Glaube an den Augenzauber bei Ge¬
burten und Beschneidnngsfesten. Im alten Rom machte nach Persius die
Großmutter über dem Neugebornen das Zeichen der Feige und spuckte aus.
>in Kairo statten nach der Geburt eines Kindes die Freundinnen des Hauses
der Mutter am siebenten Tag ihren Besuch ab. Nach mancherlei andern
Förmlichkeiten trägt man das Kind in Prozession durch alle Zimmer des
Harems, wobei die Hebamme aus einem Säckchen, welches dem .Kleinen in
der vorhergehenden Nacht als Kopfkissen gedient hat,, Salz und Fenchelsamen
streut. Sie sagt dabei: „Das schmutzige Salz sei in den Augen des Neiters!",
vorauf alle anwesenden Frauen antworten: „O Gott, sei unserm Herrn Mu-
hamed günstig!" Dann erst wird das Kind herumgezeigt, und die Frauen be¬
schenken es mit Tüchern, in welche Geldstücke eingeknüpft sind. Bei Beschneid¬
eten vornehmer Kinder führt man den (gewöhnlich fünf bis sechs Jahre
"^en) Knaben in großem Auszüge, begleitet von seinen Freunden und Mit-
'chiilern, Dienern, Musikanten n. d., besonders aber auch von Frauen, zu
Hserde dnrch mehrere Straßen. Er ist dabei aus dein oben erwähnten Grunde
^' Frauenkleidern und mit Frauenschmuck bedeckt, und eine der Weiber streut
^ jedem Schritte Salz auf den Weg, um allen üblen Wirkungen eines
'"idUM Blickes, der den Knaben treffen könnte, fofort ein Ende zu
'"ander.

Zum Schlüsse werfen wir noch einen Blick auf die Neste des Aber¬
glaubens vom bösen Auge in Deutschland, Hier findet sich zunächst in wei¬
tster Verbreitung, und zwar selbst unter Gebildeten, jene altgriechische Scheu
b°r Ueberhebung oder jene unklare Furcht vor einem neidischen Uebermensch-
^chen, welche sich darin ausspricht, daß man sich hütet, sich seines Wohlbe-
lMdens, des guten Erfolgs seiner Geschäfte, des Gedeihens seiner Kinder zu
Muhmen, und daß man sich, wo dies in einem unbewachten Augenblicke doch
^Seschen ist, sofort eine Formel hinzusetzt, welche nach dem Herkommen die
"us solche Weise herausgeforderte Schicksalsinacht beschwichtigt. Wer seine Ge¬
sundheit preist, sich des schönen Standes seiner Saaten lant freut, sein Glück
'u Handel und Wandel lobt, der muß, um nicht bald das Gegentheil aller
dieser Verhältnisse zu erfahren, sogleich ein „Unberufen!", ein „Unbeschrien!"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/61>, abgerufen am 23.07.2024.